AfD weit vorn, Wagenknecht stark Der Osten koppelt sich vor Landtagswahlen vom Westen ab


Zerstörtes CDU-Wahlplakat in Dresden
(Foto: picture alliance/dpa)
Das Kommunal- und Europawahlergebnis in Brandenburg, Sachsen und Thüringen ist wegweisend für die dortigen Landtagswahlen im September. Alle drei amtierenden Ministerpräsidenten müssen die AfD genauso fürchten wie das Bündnis Sahra Wagenknecht.
Die Ampel mag trotz desaströser Europawahlergebnisse noch eine Resthoffnung haben auf eine Trendwende im Bund. Bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen hingegen deutet nach dem 9. Juni alles auf einen Sieg der AfD hin. Zudem dürften in allen drei Ländern Regierungsbildungen ohne das frisch aus der Taufe gehobene Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) extrem schwierig werden. Die Landtage in Erfurt und Dresden werden am 1. September neu gewählt, der in Potsdam drei Wochen später. Angesichts der wenigen Wochen bis dahin sind die Ergebnisse der Europa- und Kommunalwahlen im Osten mehr als nur ein Fingerzeig für die Parlamentswahlen.
Dass die Wähler mit ihren Kreuzchen "nur" Protestnoten nach Europa geschickt hätten, taugt nicht als Erklärung: Im Schnitt wollten zwei von fünf Wählern die AfD oder das BSW in ihren kommunalen Parlamenten sehen; sie vertrauten diesen Parteien die vielen kleinen, aber für das Alltagsleben in ihrer Heimat wichtigen Entscheidungen an. In Thüringen standen zehn AfD-Kandidaten und ein bekannter Neonazi in der Stichwahl um einen Landratsposten. Sie unterlagen nur, weil sich die Wähler der anderen großen Parteien relativ geschlossen auf die Seite des jeweiligen Gegenkandidaten gestellt haben.
Die vielleicht größte Verschiebung bahnt sich in Sachsen an: Mit 31,8 Prozent landete die AfD bei der Europawahl zehn Punkte vor der zweitplatzierten CDU von Ministerpräsident Michael Kretschmer. Der ist beliebt, dürfte so den Rückstand auf die AfD bei der Landtagswahl zumindest verkürzen. Dieser liegt derzeit laut dem Umfrageinstitut Infratest Dimap bei vier Prozentpunkten. Das ist nicht unaufholbar, wenn die Menschen in Sachsen über ihren künftigen Regierungschef abstimmen.
CDU-Hochburg Sachsen: Das war einmal
Dennoch ist das Ergebnis auch für die CDU Anlass zur Sorge. Die in Sachsen über drei Jahrzehnte dominanten Christdemokraten haben bei den Kommunalwahlen nur noch in 11 von 418 Kreisen eine Mehrheit bekommen. In allen übrigen wurde die AfD stärkste Kraft. Nicht minder bedrohlich für die CDU: Das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht wurde bei der Europawahl in allen elf Flächenwahlkreisen drittstärkste Kraft mit zumeist zweistelligen Ergebnissen und landete nur in Dresden und Leipzig hinter den Grünen.
Mit einem Gesamtergebnis von 12,8 Prozent wie bei der Europawahl könnte das BSW bei der kommenden Regierungsbildung ein großes Wort mitreden: Bei der Europawahl gingen gerade einmal 6,9 Prozent der Stimmen an die SPD, die Grünen holten in Sachsen 5,9 Prozent. Ob beide überhaupt wieder in den Landtag einziehen, ist ungewiss. Und selbst dann könnte es nicht für eine Fortsetzung der Koalition aus CDU, SPD und Grünen reichen. Die ist vielen sächsischen Christdemokraten ohnehin zu links. Die Wagenknecht-Partei könnte so zur Königsmacherin im Freistaat werden. Auch die AfD dürfte das BSW in diesem Sinne umwerben und zumindest auf die Tolerierung einer AfD-Regierung hoffen.
BSW wirbelt Thüringen durcheinander
Komplizierte Regierungsverhältnisse drohen ferner in Thüringen. Das kennen die Menschen dort aber schon gar nicht mehr anders: Seit 2020 regiert Linke-Ministerpräsident Bodo Ramelow zusammen mit SPD und Grünen in einer Minderheitsregierung. Ramelow ist zwar beliebt, seine Partei kassierte bei der Europawahl in Thüringen mit 5,7 Prozent trotzdem eine heftige Klatsche. Das BSW dagegen landete auf Anhieb mit 15 Prozent auf Platz drei, wurde in der Stadt Suhl mit 20,1 Prozent gleichauf mit der CDU zweitstärkste Partei.
Die AfD von Landeschef Björn Höcke kommt in der Europawahl auf 30,7 Prozent. Seine jüngste Verurteilung wegen Verwendens einer NS-Parole schreckte Wähler offenbar nicht ab. Auch der Erfolg des BSW geht viel weniger auf Kosten der AfD als auf die Stimmenanteile anderer Parteien. Viele Wähler im Osten scheinen sich von Wagenknechts Ablehnung der Ukraine-Hilfen und der Forderung nach einer restriktiveren Migrationspolitik angesprochen zu fühlen, ohne dafür AfD wählen zu müssen.
Gemeinsam kommen beide Parteien in der Europawahl in Thüringen auf fast 46 Prozent. Höcke hatte Wagenknecht schon im vergangenen Jahr eine Zusammenarbeit angeboten. Diese lehnte aber ab und bekräftigte am Sonntagabend in der Elefantenrunde bei ntv, dass sie nicht alle in der AfD für Nazis halte, Höcke sei aber für sie ein Faschist.
Voigts Pläne wackeln
Ramelow im Amt ablösen will CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt. Dessen Partei fuhr bei der Europawahl landesweit 23,2 Prozent ein. Das ist etwas mehr als in den Umfragen zur Landtagswahl. Doch eine Regierungsmehrheit ist nicht in Sicht: Die Grünen kratzen im Freistaat ausweislich des Europawahlergebnisses und der Umfragen zu den Landtagswahlen an der Fünfprozentmarke, die SPD ist einigermaßen stabil einstellig. Mit der Linken, die wegen Ramelow in Thüringen-Umfragen bei 16 Prozent liegt, kooperiert die CDU aus Prinzip nicht. Aus gutem Grund hat Voigt eine Zusammenarbeit mit dem BSW bislang nicht ausgeschlossen.
Voigt reklamiert insbesondere das Kommunalwahlergebnis als CDU-Erfolg, weil die sieben christdemokratischen Kandidaten in den Kreis-Stichwahlen den jeweiligen AfD-Kandidaten beziehungsweise Kandidaten der Freien Wähler besiegt haben. Zudem konnte CDU-Herausforderer Andreas Horn dem Amtsinhaber der SPD das Oberbürgermeisteramt der Landeshauptstadt Erfurt abjagen. Doch vielerorts sind die CDU-Erfolge vor allem der mehrheitlichen Ablehnung der AfD geschuldet.
Wie viele Menschen in Thüringen bewusst rechtsradikal wählen, zeigt die Stichwahl um den Landrat von Hildburghausen: Von 33.850 Wählerinnen und Wählern stimmte dort fast ein Drittel für Tommy Frenck statt für den CDU-Kandidaten als Landrat. Dabei ist Frenck seit Jahren ein dem Verfassungsschutz bekannter Neonazi. Er kokettiert mit NS-Anspielungen und ist prägender Aktivist der militanten Szene in Mitteldeutschland. Die AfD verzichtete angesichts von Frencks Kandidatur auf einen eigenen Kandidaten.
Woidke muss zittern
In Brandenburg führt die AfD der ebenfalls schon länger vom Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestufte Hans-Christoph Berndt an. Dennoch wurde die Partei stärkste Kraft - mit 25,7 Prozent in den Kommunalwahlen sowie 27,5 Prozent in den Europawahlen. In 16 von 18 Landkreisen und kreisfreien Städten des Bundeslands wurde die AfD stärkste Kraft.
Zweite Kraft wurde die CDU mit 19,3 Prozent der Kommunalwahlstimmen und 18,4 Prozent bei den Europawahlen. Dagegen kassierte die SPD von Ministerpräsident Dietmar Woidke eine herbe Niederlage: Bei den Kommunalwahlen reichte es nur für 16,6 Prozent. Mit 13,1 Prozent bei den Europawahlen landete die Kanzlerpartei sogar noch 0,7 Prozentpunkte hinter dem BSW, das in der Kommunalwahl nicht unter eigenem Namen angetreten ist und stattdessen Kandidaten in den jeweiligen kommunalen Listen und Wählervereinigungen aufbot.
Woidke, der seit Monaten Distanz zur Ampel hält, hat damit alles andere als Rückenwind für seine eigene Wiederwahl erhalten. Weil die Brandenburger Grünen ihr Europawahlergebnis auf sechs Prozent halbierten, kommt die Koalition aus SPD, CDU und Grünen bei den Europawahlen in der Mark auf gerade einmal rund 38 Prozent Stimmenanteil. In der letzten Umfrage von Infratest Dimap vom April erreichten die drei immerhin 48 Prozent. Die SPD des beliebten Woidke führte gar mit 22 Prozent, doch der Trend für Brandenburgs Sozialdemokraten ist negativ. Wie auch in Thüringen und Sachsen erlitt die Linke große Verluste. Die Partei ist neben den Grünen der große Verlierer dieser Wahl. Doch während die Grünen in den Städten stark bleiben, taumelt die Linke auch in ihrer einstigen Hochburg, dem Osten, der Bedeutungslosigkeit entgegen.
Geteiltes Deutschland
Die Tendenzen dieser Wahl zeigen sich auch in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und dem Ostteil der Stadt Berlin. Fast überall ging dort die AfD als stärkste Kraft aus den Europawahlen hervor. Die SPD bangt um ihren erst 2021 zurückeroberten Status als Volkspartei. Dass sie wie damals erneut fast alle ostdeutschen Direktmandate für den Bundestag erobern könnte, scheint ausgeschlossen. Zumal es die Partei auch programmatisch zerreißt: Die Sozialdemokraten erfahren im Osten etwa viel Gegenwind für die militärische Unterstützung der Ukraine. Ob aus Angst vor oder Sympathie für Russland: Die Ostdeutschen lehnen Waffenlieferungen an die Ukraine mehrheitlich ab.
Schaut man auf die politische Landkarte der Bundesrepublik, bilden die Wahlergebnisse fast exakt die einstige Teilung wieder. Im Osten dominiert das Blau der AfD, im Westen das Schwarz von CDU und CSU. AfD und BSW kommen im Westen nicht ansatzweise auf Ergebnisse wie in den neuen Bundesländern. Das BSW hat sich mit Blick auf die Landtagswahlen auf die drei Ostländer fokussiert. Auch die AfD begreift den Osten als Machtbasis. Beide Parteien verfolgen erkennbar eine Strategie in der Region. Die übrigen Parteien im Bundestag haben diese ausweislich der Wahlergebnisse nicht.
Quelle: ntv.de