
Scholz nimmt den Applaus seiner Partei dankbar entgegen.
Umfragentief, Landtagswahlklatschen, Regierungskrise: Bundeskanzler Olaf Scholz hätte Grund zu leisen Tönen auf dem Bundesparteitag seiner SPD. Doch Deutschlands Regierungschef präsentiert sich denkbar selbstbewusst - und wird von der überwiegenden Mehrheit seiner Genossen in seinem Kurs bestärkt.
Nein, eine Abreibung wird sich Bundeskanzler Olaf Scholz bei diesem SPD-Bundesparteitag nicht abholen. Das machen die rund 600 Delegierten im Berliner Messezentrum noch vor Beginn von dessen Rede am Samstagmorgen deutlich. Eine Minute lang regnet es stehende Ovationen für den Regierungschef, noch bevor der nur ein einziges Wort an seine Genossinnen und Genossen richten kann. Es folgt eine Rede, die auch parteiinterne Kritiker als stark einschätzen. Saskia Esken, Gesicht der Parteilinken in der Doppelspitze mit Lars Klingbeil, attestiert hernach: "Du hast unsere Herzen erwärmt."
Dass Scholz in der anschließenden Aussprache von einigen Jungsozialisten scharfe Kritik entgegenschlägt: geschenkt. Der Kanzler weiß nach zwei Jahren im Amt und inmitten der schweren Haushaltskrise die Partei geschlossen und hinter sich. "Das haben wir selten so gut geschafft", sagt Scholz mit Blick auf frühere Bundesregierungen mit SPD-Beteiligung über den gegenwärtigen Zusammenhalt zwischen Kabinettsmitgliedern, Fraktion und Partei. "Insbesondere die vielen, die von uns gerne berichten und das auch tun sollen", müssten nun feststellen, dass es auch nach dem SPD-Bundesparteitag bei dieser Geschlossenheit bleibe, stellt Scholz zufrieden fest.
SPD fordert Aussetzung der Schuldenbremse 2024
In der Tat: Obwohl die SPD in den Umfragen nicht einmal halb so stark wie CDU und CSU ist, sogar weit abgeschlagen hinter der AfD liegt und schmerzhafte Landtagswahlen kassiert hat, hält keine sichtbare Unruhe Einzug: Esken und Klingbeil werden am Freitag, zum Auftakt des dreitägigen Parteitags, mit jeweils über 80 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Generalsekretär Kevin Kühnert erhält sogar 93 Prozent der Stimmen. Auch die Bundesminister Klara Geywitz und Hubertus Heil werden mit starken Ergebnissen als Partei-Vize bestätigt.
Scholz betritt daher am folgenden Tag mit einiger Gewissheit, dass ihm die Arena gewogen sein wird, das Podium. Er sieht auch nicht mehr so müde aus wie noch am Freitag, als er von den späten Sitzungen mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesfinanzminister Christian Lindner zur Lösung der Haushaltskrise noch reichlich übernächtigt wirkt. "Wir stehen nicht vor einer unlösbaren Aufgabe", sagt Scholz über den mit Spannung erwarteten Unterpunkt seiner Rede namens Haushalt 2024. Zuvor hat er noch einmal die Erfolge der Regierung zur Einhegung der russischen Aggression und der Energiepreiskrise referiert und die Ukraine der nicht nachlassenden Unterstützung versichert.
Zu dieser Unterstützung müsse Deutschland aber auch in Zukunft noch in der Lage sein, genauso wie zu Investitionen in den Umbau der Wirtschaft und in Klimaschutzmaßnahmen, sagt Scholz. Er braucht Geld, denn eines macht er - zur Erwärmung der sozialdemokratischen Herzen - auch deutlich: "Es wird in einer solchen Situation keinen Abbau des Sozialstaats in Deutschland geben." Bleibt eigentlich nur, im kommenden Jahr erneut die Schuldenbremse auszusetzen, was die FDP mit Lindner an der Spitze bislang ablehnt. Die SPD wird später am Tag ein Papier verabschieden, dass genauso diese Aussetzung unter Verweis auf die Kosten des Ukraine-Kriegs fordern wird. Der sogenannte Initiativantrag ist nicht gegen den Wunsch des SPD-Kanzlers kurzfristig auf die Tagesordnung gebracht worden.
Wann kommt Einigung zum Haushalt?
Ob es Lindner beeindruckt, dass seine Verhandlungspartner von SPD und Grünen jeweils erfolgreiche Parteitage und die Zustimmung ihrer Parteien zur Aussetzung der Schuldenbremse im Rücken haben, während Teile der eigenen Partei den Abschied der FDP aus der Ampel fordern? Bis Dienstag soll nun eine Vereinbarung kommen, das fordert auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich auf dem Parteitag: Er will zumindest noch vor Weihnachten den Haushaltsausschuss mit einem Entwurf zur Bereinigung des Haushalts befassen. Scholz setzt sich und den Koalitionspartnern in seiner Rede keine Frist.
"Manches, von dem, was da so passiert ist, hätte ich echt nicht gebraucht", sagt Scholz über die zahlreichen Konflikte in seiner Ampelkoalition. Der Saal quittiert es mit wissenden Lachern. In anderen Ländern werde aber auch gestritten in der Regierung, das sähen die mit sich selbst beschäftigten Deutschen nur nicht, sagt Scholz. Selbstkritik oder andere Demutsgesten ob der schwierigen Situation der SPD und der von ihr geführten Regierung bietet Scholz in seiner Rede nicht an. "Sorry, not sorry", heißt es gerne in sozialen Medien, wenn jemand so gar keinen Grund sieht, sich zu entschuldigen. "Scholz, not sorry", ist eine Botschaft dieser Rede des Bundeskanzlers.
Die andere Botschaft, die angesichts der Wahlerfolge der AfD hörbar verfängt unter den Parteitagsdelegierten: Die SPD mit ihrem antifaschistischen Erbe steht wieder vor einer Aufgabe von historischer Dimension. Scholz verweist auf den Aufstieg der Rechtspopulisten in Deutschland, Europa und den USA und fordert, den Menschen Grund zu "Optimismus" und "Zuversicht" sowie "Perspektiven" zu geben. Diese Vokabeln bilden den roten Faden in Scholz' Rede. "Wir sind für euch da", müsse die Botschaft der SPD lauten.
Jusos gehen Scholz hart an
Dass die SPD tatsächlich für die Menschen da ist, zweifelt der neu gewählte Vorsitzende des SPD-Parteinachwuchses Jusos in seiner Rede an. Die Menschen stünden vor der Essensausgabe der Tafeln Schlange, das sei ein "Armutszeugnis für die Sozialdemokratie", sagt Philipp Türmer. Er wirft dem Kanzler Führungsschwäche und fehlende Empathie vor. Auch andere der zahlreich vertretenen Jusos - sie stellen rund jeden fünften Delegierten in Berlin - gehen mit Scholz hart ins Gericht: "Für die schlechte Stimmung" im Land und "für die schlechten Umfragewerte der SPD" sei auch Olaf Scholz mitverantwortlich, sagt Mareike Engel, Juso-Landesvorsitzende in Sachsen.
Türmers Rede erhält nur schwachen Applaus, die von Engel wird sogar mit Buhrufen quittiert. Kritik am Kanzler findet am ehesten Zuspruch, wenn sie sich auf den Asylrechtskurs der Bundesregierung bezieht. "Das ist nicht das Wording der SPD", sagt etwa die Delegierte Stella Kirgiane-Efremidou über Scholz' Äußerung im "Spiegel", als er sagte: "Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben." Sie meint damit aber auch die von vielen SPD-Politikern verwendete Formulierung von der "irregulären Migration", die es zu stoppen gelte. Praktisch können Asyl- und Schutzsuchende aus den meisten Ländern nicht legal nach Deutschland einreisen.
Das Thema dürfte auch am Samstagabend noch einmal im Zuge eine Programmdebatte hochkochen. Scholz wird es sich anhören können, wenn er mag. Die Verhandlungen zur Haushaltskrise gehen erst am Sonntagabend weiter.
Quelle: ntv.de