Wachstumschancengesetz-Streit Die Union kramt Merkels unselige Blockadepolitik wieder raus


Söder und die Union verknüpfen das Wachstumschancengesetz mit den Klagen der Bauern.
(Foto: IMAGO/Björn Trotzki)
Um an die Macht zu kommen, ist Politikern wie Markus Söder fast alles recht. Nun hält er über den Bundesrat Steuererleichterungen für den Mittelstand auf, um den Bauern die Dieselbeihilfe zu retten. Wie passt das mit den ständigen Forderungen zusammen, Unternehmen zu entlasten?
Kompromissbereit zu tun, ohne es zu sein, war schon immer eine Strategie der Politik. Angela Merkel bediente sich ihrer vor mehr als 20 Jahren im Ringen um die Agenda 2010. Das Gesetzespaket war eigentlich ganz nach dem Geschmack der CDU, doch gönnte sie Kanzler Gerhard Schröder und der SPD den Erfolg nicht und blockierte das Vorhaben im Bundesrat.
Die Erinnerung daran wird in diesen Tagen wach - denn wieder hält die Union im Bundesrat ein Gesetz auf, das sie - gemessen an ihren bisherigen Aussagen - sofort durchwinken müsste. Das Wachstumschancengesetz sollte die Wirtschaft ursprünglich um rund 7 Milliarden Euro entlasten, ein Kompromissvorschlag sieht nur noch 3,2 Milliarden vor. Dennoch hängt es seit vielen Wochen im Bundesrat fest. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder will es nur durchwinken, wenn die Subventionen für Agrardiesel nicht gestrichen werden.
Vor zwei Jahrzehnten hielten die von CDU und CSU geführten Länder die rot-grüne Agenda 2010 auf. Dazu zählten Eingriffe in Sozialgesetze (Hartz IV), die Erneuerung des Arbeitsmarktes und der Gewerbesteuer, Subventionsabbau und das Vorziehen der letzten Entlastungsstufe bei der Einkommensteuer um ein Jahr. Merkel blieb hart - trotz aller Mahnungen auch aus Union und FDP. Nach schier endlosem und teils unwürdigem Feilschen gab es am 10. Dezember 2003 einen Kompromiss.
Hauptsache Schröder schaden
Zugespitzt kann man das Gesamtergebnis so zusammenfassen: Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber - flankiert von Friedrich Merz - ließen das unverwässert durchgehen, was Schröder schadete, weil klar war, dass er damit die eigenen Wähler verärgern würde. Der linke SPD-Flügel und Gewerkschaften liefen Sturm gegen das Projekt, vor allem die Hartz-IV-Gesetze und die Steuerreform, von der Konzerne profitierten. Prompt sackte die SPD in den Umfragen ab. Merkels Strategie ging auf. 2005 verloren die Sozialdemokraten erst die Wahl zum Landtag Nordrhein-Westfalens, wenige Monate später die zum Bundestag. Ironie der Geschichte: Merkel profitierte als Kanzlerin über Jahre hinweg von Schröders Reformen.
Nun schickt sich die Union an, die Länderkammer erneut zur Showbühne umzufunktionieren. Die Schwesterparteien - allen voran CSU-Chef Söder - torpedieren dringend notwendige Erleichterungen für die Wirtschaft, indem sie die Rücknahme der geplanten Streichung des Steuergeschenks an die Landwirte zur Bedingung für ihre Zustimmung an das Wachstumschancengesetz machen. Von keinem Bundesland wird erwartet, Vorhaben der Regierung einfach durchzuwinken - dafür ist der Bundesrat schließlich da. Doch ist hier das Ziel offensichtlich. Söders Herz für Landwirte schlägt plötzlich lauter, weil er den Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, im Nacken hat.
Dabei wartet der Mittelstand dringend auf das Gesetz. 18 Wirtschaftsverbände appellierten gemeinsam an die Ministerpräsidenten, die Blockade aufzuheben. "Es steht nichts weniger auf dem Spiel als die Rettung des deutschen Mittelstands", erklärten sie. Mit dem Vorhaben sind Steuererleichterungen für Unternehmen verbunden, die Milliarden-Entlastungen bringen sollen - trotz allem ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der hohen Energiekosten und der Konjunkturflaute.
Trotzdem heißt es überall in der Wirtschaft: Wir warten alle sehr auf das Gesetz, denn es ist grundsätzlich ein kleiner Lichtblick in schwerer Zeit. Söder hat recht, wenn er sagt, "eine ernsthafte große Verbesserung bringt" es nicht: "Das ist ja letztlich ein Gesetzchen". Aber es deshalb in so durchschaubarer Manier aufzuhalten, ist stillos. Es ist genau die Politik, die die Union insbesondere den Grünen ständig um die Ohren haut: Bedient wird eine - gerade sehr laute - Klientel, während der Blick auf das Große und Ganze verloren geht. Damit Söder öffentlich zeigen kann, dass Bauern seine besten Freunde sind und er bundespolitisch mitspielen darf, muss der Mittelstand warten, wie es weitergeht.
Trauriges Taktieren
Zu Fall bringen kann es die Union wegen der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat nicht. Wichtige entlastende Regelungen können auch rückwirkend, also zum 1. Januar 2024, in Kraft treten. Die meisten Länder - nicht nur die unionsgeführten - haben Einwände, die Motive sind unterschiedlich. Mal geht es um Korrekturen und weitere finanzielle Erleichterungen. Wieder anderen waren die ursprünglich sieben Milliarden Euro zu viel, sie wollen ihre Kassen schonen. Wie gesagt: Dafür ist der Vermittlungsausschuss da.
Die Unsicherheit durch ein langes Hin und Her - eigentlich das Markenzeichen der Ampelkoalition - wird allerdings dadurch nur weiter verstärkt. Wenn man sich dann noch vor Augen führt, wie oft CDU und CSU die Bedeutung der Psychologie für die Konjunktur hervorheben und erklären, dass der Mittelstand als Rückgrat der deutschen Wirtschaft entlastet werden muss, ist das Taktieren umso trauriger. Bezeichnete die CDU doch bisher - wie etwa Generalsekretär Carsten Linnemann - Wettbewerb als "das geeignetste Instrument", um Innovationen zu ermöglichen, nicht aber "regulieren, planen, subventionieren".
Ein Rätsel bleibt auch, wie die Blockade zum Zwölf-Punkte-Plan zur Belebung der Wirtschaft passen soll, den Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kürzlich vorlegten. Dobrindt hatte ntv.de gesagt: "Die Ampel zeigt sich abermals als mutlose und kraftlose Regierung. Unsere Vorschläge aus der Krise raus sind notwendig, um den Ampel-Abschwung in Deutschland zu stoppen." Da mag er recht haben. Aber deshalb Erleichterungen aufzuhalten und wegen wütender Landwirte, die schon viele Subventionen bekommen, den gesamten übrigen Mittelstand hängenzulassen, kann nicht die Lösung sein - und erst recht kein Signal, dass Deutschland mit dem Rest an Gemeinsamkeit, der noch existiert, Probleme lösen will.
Quelle: ntv.de