Hamilton tritt in Schumis Reich Die Formel 1 bekommt die denkbar größte Geschichte
01.02.2024, 20:35 Uhr
Michael Schumacher und Lewis Hamilton teilen sich den Titel des Rekordweltmeisters in der Formel 1.
(Foto: imago sportfotodienst)
Es ist das größte Fahrerbeben in der Formel 1 seit dem Wechsel von Ayrton Senna von McLaren zu Williams zur Saison 1994: Lewis Hamilton lässt Mercedes hinter sich und nistet sich im nächsten Jahr in Michael Schumachers F1-Wohnzimmer ein. Was dahintersteckt.
Die Formel 1 mag boomen, vor allem in den arabischen Staaten und den USA. Aber ihr fehlt seit Jahren eine große Erzählung, die die Menschen überall auf der Welt fasziniert. Erst Lewis Hamilton im Mercedes und dann Max Verstappen im Red Bull haben die Königsklasse des Motorsports zu einer Monarchie an der Spitze gemacht. Der Sieg bin ich. Danach wurden die Ränge ausgefahren, aber nicht selten war die grobe Verteilung der Plätze auf dem Podest und drum herum klar. Und auch sonst gab es wenig Spektakel auf der Strecke.
Umso größer wirkt das, was an diesem Donnerstag völlig überraschend im Fahrerlager einschlug. Aus dem ewigen Flirt von Sir Lewis Hamilton und der Scuderia Ferrari wird eine feste Beziehung. Ab der Saison 2025 steigt der dann 40-Jährige in den roten Boliden und möchte der darbenden Traditionsmarke den Staub von Frust und Fehlern wegpusten. Das Schwarze Pferd auf gelbem Grund soll wieder den Takt auf der Strecke vorgeben, der Konkurrenz davon galoppieren. Ob das klappen kann? Diese große Frage kann an diesem 1. Februar 2024 niemand beantworten. Und sie stellt sich (nun noch) gar nicht. Seit der Ankündigung zum Comeback von Michael Schumacher im 2009 hat keine Nachricht die Königsklasse mehr so durchgerüttelt.
Erstmal ist die Schlagzeile in der Welt und die Fantasie der Fans dreht frei. Da ist sie also, die große Erzählung, auf die so sehnsüchtig gewartet worden war. Hamilton nimmt künftig Platz im Formel-1-Wohnzimmer von Michael Schumacher, mit dem er sich noch den Titel des Rekordweltmeisters teilt. Beide waren je sieben Mal Champion. Dass der Brite in dieser Saison, die Anfang März Bahrain beginnt, an der Legende vorbeizieht, scheint angesichts der absurden Dominanz von Verstappen und Red Bull nicht wahrscheinlich. Aber was kommt dann? Und warum wechselt Hamilton trotz gültigen Vertrags zu einem Team, das zuletzt kaum etwas auf die Kette bekommen hat?
Warum Hamiltons Kalkül voll aufgehen kann
Der vielleicht spektakulärste Wechsel in der Geschichte der Königsklasse, mindestens aber der größte seit Ayrton Sennas Abgang von McLaren zu Williams 1994, zeigt, welch große Magie noch immer von Ferrari ausgeht. Der Rennstall ist ein Mythos, ein Lebensziel für jeden Fahrer. Ganz gleich, wie wettbewerbsfähig das rote Auto auch sein mag. Dieser Mythos ist robust gegen alle Rückschläge, Debakel und Blamagen. Er hat mehr Strahlkraft als Mercedes oder das Red-Bull-Imperium. Wer es bei Ferrari schafft, also Weltmeister wird, der ist noch mehr Legende als anders wo. Schumacher hatte das Team 2000 nach 21 Jahren von der Last der Titellosigkeit befreit. Sein Platz auf dem Olymp war ihm sicher. Dass vier weitere Triumphe in Rot folgten, es machte ihn unangreifbar.
Ob das aber auf ewig so bleibt, ist seit diesem Donnerstag wieder ein bisschen fraglicher. Denn natürlich kommt Hamilton mit großer Angriffslust. Sein Wechsel zu Ferrari ist nicht bloß eine Liebesgeschichte, sondern mit einem eiskalten Kalkül verbunden. Der Brite wittert seine Chance auf den alleinigen Platz im Formel-1-Olymp. Dass er "Schumi" ausgerechnet in dessen Boliden stürzen würde, ist dann eben die ganz große Geschichte der Jahre 2025 und 2026. Eine höchst emotionale, über die auch die GOAT (Greatest of all time)-Frage schwebt, die sehr leidenschaftlich ausdiskutiert werden wird. Denn die Schumacher-Fans verehren ihren Michael bis in alle Ewigkeit. Hamiltons Vertrag bei Ferrari ist (erst mal) auf zwei Jahre beschränkt. Es ist der umgekehrte Schumacher-Weg, der ja bei Ferrari reüssierte und dann bei Mercedes sein Glück nicht mehr fand.
Wieder das richtige Näschen?
Und das zweite Vertragsjahr dürfte das deutlich spannendere werden. Denn mit der Saison 2026 greift in der Formel 1 die große Motorenreform. Die Antriebe werden deutlich elektrischer. Die Statik der Macht in der Königsklasse wird sich verändern und bietet Ferrari die ganz große Chance zur Rückkehr an die Spitze. Denn bei der Motorenentwicklung liegt die Scuderia immer noch weit vorne, ist absolute Weltklasse und kann sich dabei auf einen aberwitzigen Erfahrungsschatz stürzen. Und so ist nicht auszuschließen, dass Ferrari im Jahr 2026 das beste Paket stellt.
Schon bei seinem Wechsel zu Mercedes hatte Hamilton das richtige Näschen gehabt. Als er sich 2012 von Niki Lauda überreden ließ, McLaren zu verlassen und sich den Silberpfeilen anzuschließen, war der britische Traditionsrennstall noch klar stärker als Mercedes. Aber auch damals stand eine große Motoren-Revolution an. Nach einem Überbrückungsjahr 2013 fuhr das von Lauda und Toto Wolff angetriebene Team 2014 dank der neuen, vorgeschriebenen Hybrid-Motoren allen voran. Bis 2021. Bis Verstappen und Red Bull in einem dramatischen Saisonfinale den Machtwechsel einläuteten.
Große Namen scheiterten bei Ferrari
Die Erwartungen an Hamilton sind indes gigantisch. Wie immer bei Ferrari. Und es gibt mahnende Beispiele von Topfahrern, die bei der Scuderia gescheitert sind: Sebastian Vettel, Fernando Alonso, Alain Prost oder aber Nigel Mansell. Sie kamen, verzweifelten und gingen. Hamilton hat keine Scheu vor der Herausforderung, die eben noch immer der größte Ritterschlag in der Formel 1 ist. Mit Teamchef Fred Vasseur weiß er jemanden an seiner Seite, der wie er denkt. Der starke Mann baut den Rennstall gerade um, "britiannisiert" ihn. So kommt etwa Loic Serra, der Performance-Chef der Silberpfeile, ebenfalls 2025 zu Ferrari.
Der Wechsel von Hamilton wird das Fahrerfeld durcheinanderwürfeln. An seiner Seite wird Charles Leclerc bleiben, das Eigengewächs. Ein echter Ferrari-Junge, der nicht kampflos der Wingman werden wird. Spannender aber ist die Frage, was bei Mercedes passiert. Öffnet sich nun die Tür für Mick Schumacher, den Teamchef Toto Wolff ja seit Jahren über den grünen Klee lobt und der als Testfahrer schon in die Arbeit involviert ist? Der dann womöglich im Duell mit Hamilton auch um den Rekordtitel seines Vaters kämpft?
Der Name von F1-Methusalem Fernando Alonso dürfte ebenfalls schon bald heiß gehandelt werden. Sein Vertrag bei Aston Martin läuft aus. Dort sind seine Leistung in der vergangenen Saison großartig gewesen, trotz seiner mittlerweile 42 Jahre. Aber die Liste der Name ist damit nicht erschöpft: Esteban Ocon und Alex Albon schwirren im Kosmos der Silberpfeile und haben sich sehr verdient gemacht. Carlos Sainz jr. , der für Hamilton räumen muss, könnte ebenfalls als Übergangslösung interessant werden, bis das von Wolff gepriesene Mercedes-Supertalent Andrea Kimi Antonelli (seit diesem Jahr in der Formel 2) die nötige Reife hat. Aber über allem strahlt Hamilton und die große Erzählung, dass der personifizierte Silberpfeil ab 2025 den roten Baron Schumacher im roten Boliden vom Formel-1-Thron wegkomplementieren könnte.
Quelle: ntv.de