Redelings Nachspielzeit

DFB-Team am "Schlucksee" Die kurioseste WM-Vorbereitung aller Zeiten

"Sexy Knees" sang das englische Popduo Alan & Denise einst über Karl-Heinz Rummenigge. Am "Schlucksee" präsentierte er sie. Daneben: Eike Immel (l.).

"Sexy Knees" sang das englische Popduo Alan & Denise einst über Karl-Heinz Rummenigge. Am "Schlucksee" präsentierte er sie. Daneben: Eike Immel (l.).

(Foto: imago images/Sportfoto Rudel)

Angeln, Saufen und Prostituierte - die WM-Vorbereitung für das Turnier 1982 in Spanien war "miserabel", wie sich Torwart Toni Schumacher erinnert - und ist deshalb vielleicht bis heute legendär. Das Trainingslager am Schluchsee wurde noch vor Ort in "Schlucksee" umgetauft. "Aktive Erholung" mal anders als eigentlich vorgesehen!

"Einige Spieler wie der junge Gladbacher Lothar Matthäus und das Lauterer Kraftpaket Hans-Peter Briegel sind zu den wenigen Waldläufen nur aus optischen Gründen mit angetreten. Eigentlich wären sie besser auf ihren Zimmern geblieben, um sich zu erholen." Das Konzept der "aktiven Erholung" ging laut Erich Ribbeck, dem damaligen Assistenten des Bundestrainers Jupp Derwall, im legendären Trainingslager im "Heilklimatischen Luftkurort" am Schluchsee vor der WM 1982 voll auf.

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Nach einer langen Saison und dem gemeinsamen Abschiedsspiel für Franz Beckenbauer gegen den HSV am 01. Juni in Hamburg sollten sich die DFB-Kicker im idyllischen Schwarzwald auf das kommende Turnier vorbereiten. Und dieses Mal war der Ansatz ein völlig anderer als sonst. Bayern-Star Karl-Heinz Rummenigge zeigte sich auf jeden Fall begeistert: "Eine solche Vorbereitung finde ich viel besser als vor vier Jahren in der Sportschule Malente. Hier ist alles da, was die Spieler aufmuntern und in Laune bringen kann."

Und tatsächlich: Was sich da Anfang Juni vor vierzig Jahren am Schluchsee abspielte, hatte es so in der langen Geschichte des Deutschen Fußballbunds nie zuvor gegeben - und sollte vieles beim DFB im Nachhinein verändern. Der "Kicker" schrieb damals: "Eine Mischung aus Volksfest und Wallfahrt - so ungefähr lässt sich mit wenigen Worten die Stimmung beschreiben, die unserer Nationalmannschaft im Hochschwarzwald entgegenschlägt."

Hrubesch, Dremmler gehen Fischen, Immel nicht

Das DFB-Team hatte sich im "Hotel Vier Jahrzeiten", einem riesigen Komplex, eingemietet und mitten unter weitere Hunderte Hotelgäste gemischt. Natürlich ebenfalls immer mit dabei: Eine Heerschar von Journalisten, die teilweise selbst nicht glauben und fassen konnten, was sich da vor ihren Augen abspielte.

"Über die Lust und Liebe bei der Ausübung ihrer Hobbys soll die Lust und Liebe zu ihrem Job wieder geweckt werden", hieß das damalige Motto. Und so notierte ein Vertreter des "Kicker" für den 04. Juni 1982: "5.54 Uhr ist es am Freitagmorgen. Über den dunklen Bergen rund um den Schluchsee kriecht die Morgendämmerung herauf, als Horst Hrubesch und Wolfgang Dremmler das Hotel verlassen. Die beiden Angler unter den deutschen Nationalspielern werden von ortskundigen Führern zum Fischen abgeholt."

Harald "Toni" Schumacher erinnerte sich lächelnd im neuen Buch von und über Eike Immel noch gut an diese besonderen Tage: "Einige gingen zum Fischen. Erst gingen zwei Mann angeln, am Schluss waren es acht. Ich habe aber niemals einen Fisch gesehen." Der DFB-Keeper weiß noch, dass am Schluchsee "die verrücktesten Dinge" passierten: "Für eine WM war das eine miserable Vorbereitung. Jeder machte, was er wollte."

Mit Campari-Soda gegen Tischtennisverletzungen

Sein späterer Zimmernachbar in Spanien, Eike Immel, diktierte damals den Journalisten in ihre Notizblöcke: "Am Ende der Bundesligasaison habe ich mich total ausgelaugt gefühlt. Ich war ziemlich lustlos. Doch jetzt macht Fußball wieder Spaß." Viele Jahre später, mit dem nötigen Abstand, sagt er nun in seinem Buch selbstkritisch über diese ganz spezielle Zeit vor der WM 1982 in Spanien: "Disziplin war praktisch nicht vorhanden. Die meisten waren nachtaktiv, es wurde gefeiert. Wir spielten Karten, logisch. Es gab auch eine Modenschau von einem Designer aus Düsseldorf. Die Models sind bis zum Endspiel in Madrid immer wieder mal bei uns aufgetaucht. Hinzu kamen Besuche von Prostituierten, nächtliche Ausgänge und vieles mehr."

Bis heute erzählt man sich die Geschichte von den Nationalspielern Hrubesch, Kaltz und Reinders, die sich so manche Nacht nach ein paar kühlen Getränken 100 Spiegeleier vom Hotelkoch aufs Zimmer bringen ließen. Nachdem sie aufgrund der vorgerückten Stunde nur noch ein bis zwei Stück pro Person verspeisen konnten, gingen knapp 90 Eier unangerührt zurück. Man genoss das Leben eben in vollen Zügen. Und in dieser gelösten Freizeitstimmung kam es vermutlich auch dazu, dass sich Uwe Reinders eines Nachmittags bei einer kuriosen Aktion verletzte. Beim Tischtennisspiel (!) zog sich der DFB-Nationalspieler eine schwere Bänderdehnung im Fuß zu und fiel einige Tage aus. Sein Motto für eine schnelle Genesung lautete wortwörtlich: "Zwei Campari-Soda wären das Beste für mein Bein."

Was von 1982 in Erinnerung blieb

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Und auch ein anderer Nationalspieler fiel damals besonders auf. Rückkehrer Paul Breitner sorgte nicht nur bei den Journalisten, sondern auch bei seinen Kollegen für Unmut. Toni Schumacher schrieb später in seinem Buch "Anpfiff" über Breitner: "Er soff wie ein Kosake". Und auch der spätere Bundestrainer Berti Vogts regte sich über den ewig nörgelnden Teamkollegen auf: "Breitner war es doch, der zu besoffen war zum Trainieren."

Schon früh war klar, dass dem ganzen Treiben eigentlich Einhalt geboten werden musste, doch dafür gab es beim DFB in diesen legendären Tagen vom "Schlucksee" niemanden. Toni Schumacher: "Derwall hat das so nicht mitbekommen. Er war wie ein gütiger Vater zu uns, er hatte für alles Verständnis. Und wir waren wie Kinder, die ausprobieren, wie weit sie gehen können. Wir haben ihn geliebt, nicht gefürchtet und nicht respektiert. Sanktionen gegen undisziplinierte, willensschwache oder faule Spieler gab es nie."

Da kann es im Wissen um das legendäre Trainingslager vom "Schlucksee" kaum verwundern, dass die anschließende WM in Spanien neben den sportlichen Highlights wie der "Nacht von Sevilla" im Halbfinale gegen Frankreich heute vor allem wegen weiterer schlagzeilenträchtiger Eskapaden und dem Skandalspiel gegen Österreich, besser bekannt unter dem Namen "Die Schande von Gijon", in Erinnerung geblieben ist.

Quelle: ntv.de

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