Das ewige Phänomen Thomas Müller Der Mann, der sich beim FC Bayern um alles kümmert
19.12.2023, 19:36 Uhr
Spielt seit dem Jahr 2000 für den FC Bayern: Thomas Müller.
(Foto: Sven Hoppe/dpa)
Der FC Bayern macht seinen Fans ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk: Thomas Müller verlängert seinen auslaufenden Vertrag um ein weiteres Jahr und bleibt bis 2025. Über einen Fußballer, der seine Unverzichtbarkeit beim Rekordmeister neu definiert hat.
Am vergangenen Sonntag hatte Thomas Müller ein Tor geschossen. Es wäre das dritte in dieser Saison gewesen, doch es zählte nicht. Der Mann, den sie Raumdeuter nennen, hatte den Raum, in dem er sich befand, falsch gedeutet. Er stand im Abseits. Schön war der Treffer dennoch, Müller hatte sich clever durchgesetzt, Torwart Alexander Nübel ausgeguckt und den Ball im langen Eck versenkt. Ein bisschen bitter sei es gewesen, fand der Offensivspieler. Er zog aber gute Dinge aus seinem Nicht-Treffer: "Ich weiß, dass ich könnte, wenn ich müsste, wenn ich nicht im Abseits stehen würde." Das war auch ein Gruß an Thomas Tuchel, unter dem die Rolle von Müller immer kleiner geworden war. Aber offenbar immer noch groß genug, um gemeinsam weiterzumachen.
An diesem Dienstag hat der FC Bayern öffentlich gemacht, was jeder geahnt und manche bereits vorab gewusst hatten. Der auslaufende Vertrag des 34-Jährige wurde um ein Jahr verlängert, bis zum Sommer 2025 geht die gemeinsame Reise weiter und könnte dann das kitschigste Ende finden. Denn in jenem Frühsommer wird das Finale der Champions League abermals in München ausgetragen. Ein Abgang mit dem Henkelpott in der Hand, gemeinsam womöglich mit Manuel Neuer, das wäre so ganz nach dem Geschmack des Vereins und seiner Fans, für die Müller zum lebenden Ein-und-Alles geworden ist. Zum Raumdeuter, zum Gaudibursch, zum Radiosender, zum Mahner und Verbindungsmann. Als sich ein Großteil seiner Teamkollegen nach der Pokalblamage in dieser Saison bei Drittligist Saarbrücken nicht in der Kurve bei den Fans blicken ließ, rüffelte er diese öffentlich.
Müller steht immer seinen Mann
Müller weiß um die Seele des Klubs, die zerbrechlicher ist, als man angesichts der gigantischen Erfolge und der selbstbewussten Alphatiere auf allen Ebenen denken würde. Müller ist ein Mann, mit dem sich viele Menschen identifizieren können. Nicht nur beim FC Bayern. Auch als Nationalspieler genießt er einen großen Kredit, der weit über Vereinsgrenzen hinausgeht. Weil dieser Müller keine unnahbare Kunstfigur ist. Niemand, der sich in inhaltslosen Phrasen verstrickt. Müller stellt sich immer, mal witzelt er, manchmal schimpft er auch. Wenn ihm Journalisten mit Fragen auf den Keks gehen, dann spricht er das offen aus. Vielen Menschen gefällt so etwas.
Gefallen hatten die Fußball-Fans aber nicht nur an dem Lautsprecher Müller gefunden, der während der Corona-Zeit so laut und klar zu hören gewesen war, wie nie zuvor. Das gab vor den Geisterkulissen interessante Einblicke in die Macht des Müllers auf dem Feld. Er war Dirigent und Motivator. Und natürlich immer auch ein Fußballer, der seiner Mannschaft etwas Besonderes gab und gibt (auch wenn es weniger wird, im Klub und im DFB-Team), weil er das Spiel anders interpretiert als viele andere Fußballer. Müller ist in vielen Phasen nicht greifbar, taucht an Orten auf, die manche nicht als Ort erkennen. So hat er sich in München weit über zehn Jahre unverzichtbar gemacht. Er spielte und glänzte an der Seite von Franck Ribéry und Arjen Robben. Er war der kongeniale Partner von Robert Lewandowski. Und kann es auch mit Jamal Musiala, Leroy Sané und Harry Kane.
"Wie die Frauenkirche zu München"
Allerdings das nur noch selten. Zumindest von Anfang an. Müller, der Unverzichtbare, hat sich unter Tuchel mit einer neuen Rolle anfreunden müssen und nimmt das klaglos hin. Dass er gerne mehr spielen würde, ist kein Geheimnis. Aber er platziert diesen Hinweis mit seinem ihm eigenen Charme, nicht mit Wut und Wucht. Auch weil er weiß, dass die Münchner in der Offensive herausragend bestückt sind. Gerade Musiala, Sané und Kane liefern dem Trainer kaum Argumente, an der Statik des Angriffsspiels nachhaltig etwas zu ändern. Und dann ist da auch noch Kingsley Coman, der mit seiner Dribbelstärke und seinem Tempo ebenfalls eine tragende Säule ist.
Angesichts seiner 684 Pflichtspiele für die Münchner - nur noch ein paar weniger als Torwart-Legende Sepp Maier (706) - war es kaum verwunderlich, dass die Verantwortlichen nicht mit Huldigungen sparten. Müller gehöre "zum FC Bayern wie die Frauenkirche zu München", sagte Präsident Herbert Hainer nach Bekanntgabe des neuen Vertrags: "Einen Spieler wie Thomas Müller wird es nie wieder geben." Und der möchte die Fans "mit Toren, Torbeteiligungen, meiner Liebe zum Spiel, meiner Leidenschaft für den Fußball begeistern – und mit hoffentlich noch vielen Titeln." 32 sind es bereits. Eine unglaubliche Zahl. Die auch seiner Widerstandkraft zugeschrieben werden kann. Unter Coach Niko Kovac wurde er einst zum Notnagel ernannt. Kovac ging, Hansi Flick kam und Müller wurde wieder prägend. Dann folgte Nagelsmann, auch unter dem jungen Trainer war es nicht immer einfach. Aber Müller machte Müller-Dinge und das half dem FC Bayern. Und auch das DFB-Team, aus dem er einst von Joachim Löw blitzrasiert worden war, konnte nicht ohne ihn. Löw selbst holte ihn zurück.
Der Wut-Motor des FC Bayern
Sportlich haben andere Spieler den 34-Jährigen überholt, aber abhängen lässt er sich eben nicht. Und wenn er denn spielt, dann sammelt er meist auch Argumente für sich. Wie gegen Stuttgart, wo er als Vorbereiter starke Aktionen hat. In einer Woche, die für die Münchner entscheidet war, weil sie diese mit dem 1:5-Debakel bei der Eintracht aus Frankfurt in den Knochen steckend begonnen hatten, war Müller zur Stelle. Gegen Manchester United, im Spiel eins nach der Bundesliga-Watschn, wurde er eingewechselt und hatte seine Füße beim Siegtor durch Kingsley Coman maßgeblich im Spiel. Und gegen den VfB glänzte er mit seiner ständigen Gefahr.
Wichtiger als auf dem Platz erscheint Müller aber mittlerweile abseits davon. In der Kabine, die ja das Heiligtum einer jeden Mannschaft ist, dürfte sein Wort nach wie vor eines der schwersten sein. Der Rüffel nach dem Pokal-Aus hat das eindrucksvoll untermauert. Und auch nach der Klatsche gegen Frankfurt beschwor er den Münchner Wut-Motor. Und jeder wusste, was passiert, wenn er anspringt. In dieser Saison hatte das der BVB erlebt, der von den angeschossenen Münchnern in Trümmer gelegt worden war. Erfüllt Müller seinen Vertrag, wäre der Mann mit der Trikotnummer "25" auch 25 Jahre im Verein. Vorstandschef Jan-Christian Dreesen huldigte den Anführer als einzigartigen "Spieler, Persönlichkeit und Identifikationsfigur", Trainer Tuchel nennt Müller eine "spielende Legende". Spannend, vielleicht ein Fingerzeig?
Quelle: ntv.de, tno