In Europa nur noch zweite Liga FC Bayern kämpft panisch gegen den Kontrollverlust
13.04.2023, 10:47 Uhr
Sind die Bayern noch die Champions? Die Pleite gegen City spricht dagegen.
(Foto: IMAGO/kolbert-press)
Der FC Bayern München gehört zur absoluten internationalen Spitze. Der deutsche Rekordmeister ist Teil der elitären Superklubs. Aber die Zeiten haben sich geändert. In Europa ist der FCB in der entscheidenden Saisonphase nicht mehr Favorit, nur noch Außenseiter. Wohin führt der Weg?
Jahrelang erdrückt Bayern München die Bundesliga. Nach dem Dortmunder Double im Jahr 2012 lassen sie nichts unversucht, ihre Vormachtstellung im deutschen Fußball zu zementieren. Der Rekordmeister gewinnt Meisterschaft um Meisterschaft, rennt der nationalen Konkurrenz davon. Der FC Bayern zahlt Gehälter, von denen anderen Vereine in Deutschland nicht einmal mehr träumen können. Er ist das Aushängeschild der Liga und setzt auch international immer wieder Ausrufezeichen. Doch die neureichen, von Staaten finanzierten Vereine Europas drängen die Münchener immer weiter zurück. Die Pleite bei Manchester City mit all ihren Folgen steht dabei sinnbildlich für den Verlust der Strahlkraft des besten deutschen Vereins. Aus einem ewigen Favoriten wird ein Außenseiter. In Europa ist Bayern München das, was Borussia Dortmund in der Bundesliga ist.
Dabei ist der Abstieg der Bayern von den Gipfeln des europäischen Fußballs ein schleichender, kein krachender. Sie stürzen nicht, sie hangeln sich hinunter. Beinahe verzweifelt müssen sie Meter für Meter preisgeben. Ihre Aussagen spiegeln dabei den Verlust wider. Seit der letzten Hochphase unter Pep Guardiola von 2014 bis 2016 gibt es nur noch selten Grund zur Euphorie. Dem Katalanen war die Bundesliga nach nur drei Jahren zu klein geworden. Er hatte zwar nicht alles erreicht, war jedoch in seinen drei Spielzeiten konstant ins Halbfinale eingezogen.
Wie Jürgen Klopps Schatten viel zu lange über Borussia Dortmund hing, so vernebeln nun in München die Erinnerungen an den großen Taktiker Guardiola den klaren Blick auf die Zukunft. Für den kurzen Moment dieser drei Jahre spielte der Stern des Südens den perfekten Fußball. Sie waren in Europa gefürchtet, der Gegenentwurf zu den mit immer mehr Macht in den Markt drängenden neureichen Staatenklubs. Wie jedoch die Bayern die Bundesliga mit geschickter und gezielter Transferpolitik kleinhalten konnten, so waren sie auf europäischer Ebene bald schon Leidtragende der sich verändernden Ökonomie des Fußballs.
Die Erosion des Kaders schreitet voran
Guardiola ging zu Manchester City, dem Klub mit den Milliarden aus den Emiraten. Dem Klub, der schon bald von der UEFA und dann von der Premier League wegen finanziellen Unregelmäßigkeiten genauer unter die Lupe genommen wurde. Dem Klub, der bislang jedoch noch ungeschoren davongekommen ist. Guardiola ging und Bayern hechelte dem Traum hinterher. Carlo Ancelotti, noch einmal Jupp Heynckes, Niko Kovac, Julian Nagelsmann und jetzt Thomas Tuchel. Kein Trainer blieb lange. In der Champions League ging es unter Heynckes, dem Ancelotti-Nachfolger, noch einmal ins Halbfinale, doch seit der Saison 2018/2019 finden sich die Münchener nicht mehr in der europäischen Elite wieder.
Klar: Da war der Sieg in der Champions League im Sommer 2020. Es ist ein Titel, der für immer bleiben wird. Aber es ist auch ein Titel, der in den Wirrungen der ersten Pandemiephase einen anderen sportlichen Wert erhält. Das Coronavirus hatte das Spielfeld verändert. In dieser Ausnahmesituation gelang den Bayern der große Coup, inklusive der historischen 8:2-Demütigung des verzwergten katalanischen Giganten Barcelona. Es war ein Erfolg, den die Münchener nicht mehr wiederholen konnten. Ein Jahr später ging Hansi Flick, der Erfolgstrainer, von Bord. Kompetenzstreitigkeiten mit Sportvorstand Hasan Salihamidžić hatten ihn aufgerieben. Sportlich waren die Münchener da längst wieder auf dem Vorpandemie-Niveau angekommen.
Die Erosion des Kaders, der jeden Sommer wieder in höchsten Tönen gelobt wurde, schritt unterdessen voran. Die Bayern investierten hohe Summen in Verteidiger und Spieler wie David Alaba verließen den Klub ablösefrei. Parallel dazu begab sich die neue sportliche Führung auf die Ebene der Dortmunder, investierte in junge Spieler. Aber auf einen Alphonso Davies kommen in den vergangenen Jahren all die Rocas, Gravenberchs, Dantas', Cuisances und Arps. Jungstars, denen der Durchbruch nicht gelingen wollte. Bei Mathys Tel ist die Jury noch im Entscheidungsfindungsprozess.
Bayerns neues Selbstverständnis
Und so stehen die Bayern in diesem April nach der Ansammlung von kleineren und größeren Skandalen und Katastrophen seit Dezember 2022 vor dem Scherbenhaufen der letzten Jahre. Die Handlungen der letzten Wochen vermitteln den Eindruck eines zunehmend panischen Klubs, der die Kontrolle über seine eigene Zukunft verloren hat.
Nach dem kommenden Mittwoch droht ihnen die volle Konzentration auf das überraschend enge Meisterschaftsrennen. In der Kabine entlädt sich die tiefe Frustration mittlerweile in Handgreiflichkeiten. Auf dem Platz wollen die ersten Beobachter die Tuchel-Revolution in den kommenden Sommer schieben. Dabei war der ehemalige Mainzer doch als Titelgarantie für das Hier und Jetzt angetreten. Nach weniger als einem Monat im Amt bleibt ihm nur noch Zweckoptimismus und Disruption.
"Heute bin ich schockverliebt in meine Mannschaft", waren Tuchels jetzt schon berühmte Worte nach dem 0:3 bei Manchester City. Es war eine Niederlage, die die neuen Machtverhältnisse in Europa zementierte. Zudem war es ein Spiel, nach dem die Bayern so klangen, wie sonst nur die Verantwortlichen des BVB klingen, wenn sie sich mal wieder ihre traditionelle Klatsche in der Allianz Arena abgeholt haben. Dann ist auch von "70 guten Minuten" die Rede, dann werden auch die positiven Seiten überhöht und die negativen heruntergespielt. So sahen sich die Bayern am Dienstag auf Augenhöhe über weite Strecken mit "der besten Mannschaft Europas". Es sind Aussagen, die das neue Selbstverständnis des deutschen Rekordmeisters widerspiegeln. Neuerdings blicken sie zu anderen Klubs auf. Sie sind nicht mehr der Favorit, sondern nur noch der Außenseiter.
So wie der Wettbewerb in der Bundesliga seit langer Zeit durch die finanzielle Unwucht zugunsten der Bayern gekippt ist, so befinden sich eben jene Münchener nun in der unangenehmen Position des Hinterherhechelnden in der Champions League. Dabei geben sie zu viel Geld für Transferflops wie João Cancelo oder Sadio Mané aus. Die erratische Trainerpolitik der letzten Jahre tut ihr Übriges. Dazu brechen in den nächsten Jahren Schlüssel- und Identitätsspieler wie Manuel Neuer und Thomas Müller weg.
Dem gegenüber stehen die astronomischen Gehaltsforderungen potenzieller Neuzugänge, die konstant hohen Transfersummen. Bereits in diesem Sommer droht ihnen im Werben um Spieler wie Napolis Victor Osimhen oder Frankfurts Randal Kolo Mouani ein ähnliches Problem. Sie sind die begehrtesten Jungstürmer Europas. Ihnen steht die Welt offen. CEO Oliver Kahn und Hasan Salihamidžić stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Fehler sind dabei kaum noch erlaubt.
Die anderen Klubs wollen es einfach mehr
In dem sich verdichtenden Feld an der europäischen Spitze droht Bayern München die Gipfel aus dem Blick zu verlieren. Als sie im vergangenen Frühjahr um den damaligen Dortmunder Erling Haaland warben, kassierten sie eine bittere Niederlage. Der Norweger wechselte Pep Guardiola "Zumindest haben wir uns unterhalten", sagte Sportvorstand Hasan Salihamidžić über den geplatzten Wechsel, meinte aber auch: "Wir hatten nicht das nötige Kleingeld." Haaland sei ein guter Junge. "Ich glaube schon, dass er darüber nachgedacht hat."
Und weil sie im vergangenen Sommer mit Haaland sprachen, ging das Tormonster Robert Lewandowski. Er fühlte sich nicht mehr wertgeschätzt. Sadio Mané kam. Er wurde in der Münchener Medienlandschaft als "nettester Mensch der Welt" eingeführt. Eine These, die nach den neuesten Enthüllungen um seine Auseinandersetzung mit Leroy Sané womöglich nicht mehr haltbar ist. Mané enttäuschte. Das steht fest.
Noch halten die Bayern sich also auf dem Hochplateau. Die Personalentscheidungen in diesem Sommer werden darüber entscheiden, ob sie einen neuen Angriff auf den Gipfel wagen werden können. Thomas Tuchel, der bei PSG und Chelsea alle finanziellen Freiräume hatte, muss wieder lernen, mit einem bescheideneren Budget zu arbeiten. Fehlschläge wie Sadio Mané und Millionengräber wie Julian Nagelsmann dürfen sich die Bayern-Bosse dabei nicht mehr leisten. "Mit unseren Fans und dem besonderen Geist in unserem Stadion ist immer noch alles möglich. Es ist nicht der Moment, aufzugeben!", schrieb Thomas Müller nach der Niederlage auf Instagram.
Dem größten deutschen Klub geht die Luft aus. Den Bayern bleibt viel zu oft nur noch die Hoffnung auf ein Wunder. Was den 17 anderen Vereinen der Bundesliga widerfahren ist, wird für den Rekordmeister langsam bittere Realität in Europa. Auch sie können nicht mehr mit den Gehältern der Premier League mithalten. Sie müssen, wie der deutsche Fußball in seiner Gesamtheit, Wege finden, mit dieser Situation umzugehen. Akzeptieren sie die Rolle, wehren sie sich mit sportlicher Kompetenz oder greifen sie in ihrem Ringen mit den Realitäten des Fußballs 2023 auf altbekannte Forderungen nach "mehr Geld" zurück? Weiter, immer weiter, forderte Oliver Kahn einst. Das reicht nicht mehr. Die anderen Klubs wollen es einfach mehr. Sie haben ganz andere finanzielle Möglichkeiten.
Quelle: ntv.de