Fußball

Neuer Coach beim BVB Kann Lucien Favre auch Spitzenklub?

Favre ist nun ein Puzzlestück im maladen BVB-System.

Favre ist nun ein Puzzlestück im maladen BVB-System.

(Foto: imago/Moritz Müller)

Der BVB verpflichtet im zweiten Anlauf Lucien Favre als neuen Trainer. Fachlich ist der Schweizer unstrittig, er hat allerdings noch nie einen Fußballklub von europäischem Spitzenformat trainiert. Dass er auch das kann, muss er nun beweisen.

Nur kein weiterer Fehlgriff. Das dürfte Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc durch den Kopf gegangen sein, als sie sich auf die Suche nach einem neuen Fußballehrer für den Ballspielverein Borussia 09 e. V. Dortmund gemacht haben. Entschieden hat sich die sportliche Leitung nun für Lucien Favre. Jenen akribischen Fußball-Taktiker, den der Bundesligist im Sommer 2017 schon einmal verpflichten wollte. Überraschend ist die Entscheidung für Favre, der zum 1. Juli die Nachfolge von Peter Stöger antritt, somit nicht. Sie kann jedoch - in Anbetracht der komplizierten Tätigkeitsbeschreibung, die die Dortmunder Borussia für ihren Übungsleiter auszuweisen hat - durchaus zum Wagnis werden. Kann Favre also BVB?

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Kann Lucien Favre den BVB tatsächlich wieder zu einem echten Bayern-Herausforder formen?

Favres Verpflichtung sei "ein wichtiger Teil unseres sportlichen Neustarts in diesem Sommer", kündigte Sportdirektor Zorc an. In der Tat kommen auf den 60-Jährigen, für den eine kolportierte Ablöse von drei Millionen Euro an den OGC Nizza überwiesen wurde, arbeitsintensive Wochen mit intensiven Umbauarbeiten zu. Dem BVB mangelt es an Führungsspielern, der Mannschaft wird nachgesagt, in Grüppchen zerfallen zu sein. Auf fast allen Positionen im Dortmunder Kader herrscht Bedarf. Die Neubesetzung des Trainerpostens ist damit nur eines der Puzzlestückchen im maladen BVB-System. "Es wird personelle Veränderungen geben. Auch inhaltlich wollen wir uns verändern: Die Stichworte sind Disziplin, Teamgeist, Robustheit und Mentalität. Das steht im Vordergrund", sagte Zorc, der die Personalplanung derzeit intensiv vorantreibt. Ihm zur Seite gestellt sind mit Matthias Sammer (externer Berater) und Sebastian Kehl (Leiter der Lizenzspielerabteilung) erstmals zwei Führungskräfte, die knallhart und schonungslos analysieren sollen, woran es dem Verein fehlt, und, die zur Not auch mal unbequeme Personalentscheidungen propagieren werden. Hinzu kommt nun Favre, der sich zumindest um die finanzielle Ausstattung seines neuen Arbeitgebers keine Sorgen machen muss.

Die Massen reißt Favre nicht mit

Von einem Typen wie Klopp, könnte Favre nicht weiter entfernt sein.

Von einem Typen wie Klopp, könnte Favre nicht weiter entfernt sein.

(Foto: imago/Sven Simon)

"Es ist eine reizvolle Aufgabe, Borussia Dortmund trainieren zu dürfen. Ich freue mich sehr", wird Favre in einer offiziellen Mitteilung des börsennotierten Vereins zitiert. Er übernimmt eine Aufgabe, an der seit dem Weggang von Jürgen Klopp 2015 gleich drei Trainer gescheitert sind. Es gilt, dem Klub endlich wieder die schwarzgelbe Euphorie zurückzugeben, die den BVB in der Ära Klopp so sensationell erfolgreich machte. Allerdings ohne einen Typen wie den derzeitigen Trainer des FC Liverpool zu haben, der die Massen auf der Südtribüne mitreißt. Denn von einem Klopp, das werden sie auch beim BVB wissen, könnte Favre nicht weiter entfernt sein. Somit bleibt der Auftrag, den BVB nach der vielleicht chaotischsten Saison seit der Fast-Insolvenz des Vereins 2005 zurück in die sportliche Erfolgsspur zu führen. Klappt das, werden wohl auch die Fans darüber hinwegzutrösten sein, dass Favre nicht die emotionale Identifikationsfigur fürs schwarzgelbe Herz ist. Dass er für die zu bewältigende Aufgabe fachlich geeignet ist, daran bestehen kaum Zweifel. Er gilt als nahezu besessen, wenn es darum geht, Gegner im Vorfeld durch intensives Videostudium auszulesen, als "akribischer Trainer, zu dessen Stärke es zählt, einzelne Spieler, aber auch ganze Mannschaften weiterzuentwickeln", wie der Verein referiert.

Favre ist inzwischen 60 Jahre alt, die letzten 25 hat er als Trainer im Profibereich verbracht. In der Bundesliga zunächst von 2007 bis 2009 bei Hertha BSC, anschließend von 2011 bis 2015 bei der Borussia in Mönchengladbach, die er in drei Jahren vom Abstiegskandidaten zum Champions-League-Teilnehmer formte. Der neuverpflichtete Trainer kennt die nationale Spielklasse. Das hat bei der Entscheidung der BVB-Verantwortlichen sicher eine Rolle gespielt. Jedoch, und das ist wohl eines der größten Fragezeichen hinter Favre: Für die Ansprüche eines Klubs, der sich wie der BVB an nationalen wie internationalen Titeln messen lassen will, ist das eigentlich zu wenig. In Favres Vita ragt bislang vor allem die dreifach verliehene Auszeichnung als "Bundesligatrainer des Jahres" heraus, sieht man mal von der Schweizer Meisterschaft mit dem FC Zürich ab. Eine echte Spitzenmannschaft hat er noch nie trainiert. Den Nachweis, auch das zu können, kann er nun in Dortmund erbringen.  

Die Verantwortlichen in Dortmund werden von ihm erwarten, dass er den Revierklub als Dauerteilnehmer in der K.o.-Runde der Königsklasse etabliert, ihn langfristig in der Bundesliga wieder näher an den FC Bayern heranführt. Dass sie Favre die Bewältigung dieser Mammutaufgabe trotz der mangelnden Erfahrung auf europäischem Spitzenniveau zutrauen, könnte auch an Marco Reus liegen, einem seiner prominenten Fürsprecher in Dortmund. "Er ist ein sensationeller Trainer. Von ihm habe ich in meiner Karriere sicher am meisten gelernt", hatte Reus im Vorfeld der Verkündung geschwärmt. Kein Wunder, unter Favre war er in den Jahren 2011 und 2012 in Mönchengladbach regelrecht aufgeblüht. Reus, der wiedergenesene Leistungsträger, er könnte für Favre zum entscheidenden Faktor in Dortmund werden. Vor allem dann, wenn er den derzeit vakanten Führungsposten beim BVB ausfüllt. Womöglich sogar als Kapitän eines Ensembles an Hochbegabten.

Eher einer wie Tuchel

Allerdings gibt es durchaus Menschen, die Reus' Einschätzung zumindest nicht auf ganzer Linie teilen würden. Favre gilt als spezieller Typ, ein bisschen schrullig und in sich gekehrt. Wollte man einen Vergleich zu früheren Übungsleitern ziehen, dann wäre er wohl eher der Typ Thomas Tuchel. Einer, der sich nicht gerne in seine Arbeit reinreden lässt. So sagte etwa der damalige Gladbacher Kapitän, Martin Stranzl, nach Favres Aus 2015 bei "Sky" über seinen damaligen Übungsleiter: "Es war eine Herausforderung (…) Er ist so wie er ist. Es war immer schwierig, einen Weg gemeinsam zu finden." Favre habe eben so seine Gedankenwege: "Wenn etwas anderes hinzukam, dann war es immer direkt eine Erschütterung." Auch mit den Verantwortlichen auf Vereinsebene eckte der Schweizer in der Vergangenheit immer wieder an. Aus seiner Zeit bei der Hertha halten sich hartnäckig die Gerüchte, dass Favre bei seinen Vorgesetzten Dieter Hoeneß und Michael Preetz gleich mehrfach um die Entbindung von seinen Aufgaben bat. Die damalige Begründung: Die Mannschaft sei einfach nicht bundesligatauglich.

Favre, das ist ein Typ, mit dem Kompromisse schwer möglich zu sein scheinen. Er ist jemand, dessen eigene Unsicherheit sich durch die Karriere zieht. Für seine Vorgesetzten macht ihn das unberechenbar. Er schafft Fakten. Beispielsweise, als er - weil ihn die sportliche Leitung in Mönchengladbach nach sechs aufeinanderfolgenden Pflichtspielniederlagen nicht zurücktreten lassen wollte - kurzerhand über die Presse selbst seinen Rücktritt bekanntgab. Favre ist ein Trainer, der sich mitunter nicht scheut, die sportliche Leitung vor vollendete Tatsachen zu stellen. Eine Eigenschaft, mit dem der BVB beim weggestreikten Abgang der beiden ehemaligen BVB-Profis Pierre-Emerick Aubameyang und Ousmane Dembélé jüngst seine Erfahrungen gemacht hat. Sie haben Favre trotzdem geholt.

Quelle: ntv.de

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