Wirtschaft

Bauern fürchten miese Ernten Die deutsche Nahrungsmittelsouveränität schrumpft - ist das ein Problem?

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Ein Mähdrescher fährt in Niedersachsen die Ernte ein.

Ein Mähdrescher fährt in Niedersachsen die Ernte ein.

(Foto: picture alliance / Countrypixel)

Eine Studie schürt Angst: Deutschland könne sich bald nicht mehr selbst mit Lebensmitteln versorgen und müsse immer mehr importieren. Das liegt auch an Schädlingen wie der Zikade, die ganze Ernten vernichtet. Mehr Pestizide? Nicht die einzige Lösung.

Der Dauerregen im Juli hat vielen Bauern die Ernte verhagelt. Sie konnten das reife Getreide nicht ernten - die Mähdrescher mussten teils wochenlang auf dem Hof bleiben. Schon das Frühjahr hatte keine optimalen Bedingungen: Im Nordosten war es viel zu trocken.

"Wir mussten mindestens 50 Prozent der Weizenernte als Futterweizen einfahren", berichtet Landwirt Carsten Kock aus Schleswig-Holstein bei RTL. Ein ganzes Jahr Arbeit sei weg, für ihn ein großer finanzieller Verlust.

Die lange Regenzeit hat teils die Qualität verschlechtert. Getreide, das zu lange auf dem Feld gestanden hat, sei nicht mehr fürs Brötchen geeignet, sondern "nur noch für den Futtertrog", sagt Bauernpräsident Joachim Rukwied. Das bedeutet: weniger Geld für die Landwirte. Denn Futterweizen müssen sie günstiger verkaufen als Qualitätsweizen. Generell sind die Getreidepreise gerade niedrig, die Bauern machen Verluste. Zudem ist das Angebot am Weltmarkt höher als die Nachfrage.

Bauern besorgt - trotz besserer Ernte

Trotzdem ist die Getreideernte in Deutschland besser ausgefallen als im Jahr davor. Knapp 45 Millionen Tonnen wurden geerntet, sagt das Bundesagrarministerium, rund 15 Prozent mehr als 2024.

Die Kirschernte war so gut wie seit Jahren nicht. Auch die Äpfel- und Birnenernte ist größer ausgefallen. Bei Kartoffeln wird sogar mit rund 13 Millionen Tonnen die größte Ernte seit 25 Jahren erwartet.

Trotz der durchschnittlichen bis guten Ernte ist Joachim Rukwied für die Zukunft wenig optimistisch; er macht sich Sorgen um die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln. Diese spiele eine immer größere Rolle, "denn nur wer die Versorgung über eine starke heimische Produktion sichern kann, ist auch innenpolitisch stabil und verteidigungsfähig. Hier gehen wir langsam ins Risiko", sagt Rukwied.

Äpfel statt Bananen

Der Selbstversorgungsgrad mit Lebensmitteln liegt in Deutschland bei 83 Prozent - das ist der Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Das bedeutet, es müssen noch rund 17 Prozent an Obst und Gemüse zugekauft werden, um den Eigenbedarf zu decken.

Im Detail sind die Unterschiede groß: Bei Getreide gibt es theoretisch genug für den deutschen Markt. Die Erntemenge der Landwirte ist zwar etwas gesunken, deckt unseren Bedarf aber zu 104 Prozent.

Stephan von Cramon ist Professor für Agrarpolitik an der Universität Göttingen.

Stephan von Cramon ist Professor für Agrarpolitik an der Universität Göttingen.

(Foto: Marco Bühl)

Obst und Gemüse müssen zum großen Teil importiert werden - von Zucker, Kartoffeln und Fleisch ist dagegen mehr da, als benötigt wird.

Das liegt unter anderem an unseren Konsumgewohnheiten, sagt Stephan von Cramon, Professor für Agrarpolitik an der Universität Göttingen, im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". "Bei Gemüse und Obst sind viele Produkte dabei, die wir gerne konsumieren, die wir aber in Deutschland gar nicht produzieren können oder nur zu sehr, sehr hohen Kosten." Das seien unter anderem Südfrüchte, Zitrusfrüchte oder Bananen. "Wenn wir uns von Äpfeln und Pflaumen und Kohl und so weiter ernähren würden, was ernährungsphysiologisch möglich ist, könnten wir viel höhere Selbstversorgungsgrade haben."

Klimawandel gefährdet Ernten

Eine neue Studie von HFFA Research im Auftrag des Industrieverbands Agrar warnt davor, dass sich Deutschland bald nicht mehr selbst mit Lebensmitteln wie Weizen versorgen kann.

Ein Grund dafür sei der Klimawandel. Extremwetterereignisse wie Dürre, Hitze oder Starkregen nehmen zu. Dadurch wird weniger geerntet. Wie im Rekordsommer 2018: Bei der extremen Dürre hatte es in manchen Regionen bei Getreide Ernteausfälle von bis zu 30 Prozent gegeben.

Die Prognose der Autoren: Die Bauern könnten in Zukunft in einzelnen Jahren durchschnittlich 20 Prozent weniger ernten. Bei Obst seien sogar Einbußen von über 40 Prozent möglich.

Notfallzulassungen für Pestizide

Schon heute gefährden Schädlinge die Pflanzen. Wie die Zikade, die bakterielle Krankheitserreger überträgt - das führt zu massiven Ernteausfällen. Die Zikaden gefährdeten mittlerweile den Anbau von Kartoffeln, Zuckerrüben, Sellerie, Roter Bete, Zwiebeln und Rotkohl, sagt Rukwied. "Wenn in einer Lieferung mehr als zehn Prozent befallene Knollen sind, dann ist die für die menschliche Verarbeitung und den Verzehr nicht mehr geeignet."

Um die Glasflügelzikade zu bekämpfen, hatte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) im Frühjahr mehrere Pflanzenschutzmittel erlaubt, per begrenzt gültiger Notfallzulassung. Solche Zulassungen seien nur Nothilfemaßnahmen, sagt Rukwied. Er fordert ein schnelleres und europäisches Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel. Das sei zwingend notwendig, um Erträge und Qualitäten zu sichern.

Das Zulassungssystem von Pestiziden ist tatsächlich langwierig. Jeder EU-Staat lässt sie separat zu. Die Wirkstoffe darin, zum Beispiel Glyphosat, werden dagegen EU-weit genehmigt. Die Genehmigung gilt für einen bestimmten Zeitraum: 7 bis 15 Jahre. In der Realität seien sie aber 20 Jahre oder länger auf dem Markt, ohne noch einmal geprüft zu werden, sagt das Umweltbundesamt, weil sich die Wiederzulassung verzögert.

"Unsere Nachbarn bauen auch Weizen an"

Eine breite Palette an Pestiziden ist aber wichtig für die Landwirte, schreiben die Autoren der HFFA-Studie. Es gebe immer weniger Wirkstoffe in der EU. Unter anderem, weil die Genehmigungen in den kommenden Jahren auslaufen. Oder durch strengere EU-Regeln. Auch das könne in Zukunft zu kleineren Ernten führen, von 10 bis 20 Prozent Rückgang bei Weizen, Zwiebeln oder Kartoffeln ist die Rede. Das gefährde die Versorgungssicherheit und mache abhängig von Importen aus dem Ausland.

Von Cramon hält einen Selbstversorgungsgrad von 100 Prozent aber auch nicht für notwendig. "Unsere Nachbarn bauen auch Weizen an. Wenn in Deutschland klimabedingt eine Ernte geringer ausfällt, dann fällt sie vielleicht anderswo in der EU überdurchschnittlich aus." Dafür exportiere Deutschland Kartoffeln und Zucker, der Selbstversorgungsgrad liegt hier bei über 150 Prozent.

Der Agrarexperte spricht sich für eine arbeitsteilige Agrarwirtschaft aus. Und gibt zu bedenken: "Bei Produkten wie Bananen, Tee, Kaffee oder Kakao können wir gar nicht 100 Prozent Selbstversorger werden."

Raps und Soja werden importiert - und verfüttert

Von Cramon kritisiert, Deutschland importiere zu viele Ölsaaten, also Raps oder Sojabohnen, als Futtermittel für die Fleisch- und Milchproduktion. Auch Getreide werde an Tiere verfüttert. Würden wir halb so viel Fleisch essen wie jetzt, würde der Selbstversorgungsgrad steigen.

Das empfiehlt auch eine Studie von Februar 2024, in Auftrag gegeben vom Europäischen Parlament: Wenn die Menschen weniger tierische Produkte essen, wäre die EU unabhängiger von anderen Ländern. Zum Beispiel von den USA und Brasilien. Das sind die größten Produzenten von Sojabohnen - und Hauptlieferanten der EU. Soja wird auch als Tierfutter genutzt. Helfen könnte es, Lebensmittel aus einem breiten Strauß an Ländern zu kaufen. Dann wäre man auch weniger abhängig.

Importieren kann Deutschland und Europa aber nur das, was da ist: Weltweit kämpfen Landwirte mit den Folgen des Klimawandels. Mit jedem Grad Erderwärmung sinken die Erträge, prognostiziert eine Studie im Fachjournal Nature. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts schwanken in Europa die Erträge zwischen plus 10 und minus 40 Prozent.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige. Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.

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Quelle: ntv.de

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