Wirtschaft

EU hat keinen Wasserstoff-Plan "Alle Strategien laufen parallel - das kostet"

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Wasserstoff hilft nur, wenn er "grün" hergestellt wurde, also mit erneuerbaren Energien.

(Foto: picture alliance / Westend61)

Alle Beteiligten sind sich einig: Grüner Wasserstoff ist der Treibstoff der Zukunft. Aber wie er dort ankommt und wo er gebraucht wird, kann niemand sagen - unterschiedliche Interessengruppen plädieren unter anderem in der "Financial Times" für ganz unterschiedliche Strategien. Angehende Wasserstoffnationen wie Spanien wollen sauberen Wasserstoff für Länder wie Deutschland günstig mit ihrer Solarpower herstellen und dann zuliefern - doch dafür fehlen transeuropäische Pipelines. Einige deutsche Unternehmen möchten Wasserstoff am liebsten selbst herstellen, doch dafür fehlt die erneuerbare Energie. Und dann wären da noch die teuren Flüssiggasterminals, die gerade gebaut werden, um Wasserstoff aus Chile oder Afrika zu beziehen, aber: "Bei denen ist gar nicht klar, ob sie sich wirklich für Wasserstoff eignen", erklärt Lisa Fischer von der Denkfabrik E3G im "Klima-Labor" von ntv. Und selbst wenn, wäre der Transport auf See wahrscheinlich von allen Ideen die teuerste, denn Wasserstoff lässt sich gut verbrennen, aber nicht transportieren.

ntv.de: Alle sind sich einig, dass Wasserstoff der Industrietreibstoff der Zukunft ist. Aber erstaunlicherweise kann niemand sagen, wie er eigentlich bei den deutschen Unternehmen ankommen soll - ist das die aktuelle Situation?

Lisa Fischer: Das ist richtig. Alle wissen, dass Wasserstoff für die Energiewende unglaublich wichtig ist. Aber es gibt viele ungeklärte Fragen, denn er lässt sich nicht besonders gut transportieren. Die Pipelines, die wir im Moment für Erdgas nutzen, kann man nicht eins zu eins übertragen. Wo soll er also herkommen? Aus Europa? Von Übersee? Wo geht er hin? Diese Fragen sind offen.

Müsste man eine ganz neue Infrastruktur aufbauen?

Teilweise. Es gibt aber auch Überlegungen, ältere Erdgaspipelines umzurüsten. Im Moment fehlt allerdings die Datengrundlage, um sagen zu können: Wie schnell geht das? Wie viel kostet das? Was ist sinnvoller? Wo wird der Wasserstoff letztendlich gebraucht?

Was spricht denn dagegen, alte Pipelines einfach weiter zu benutzen? Warum müssen die umgerüstet werden?

Wasserstoff kann unter Umständen aus Erdgas hergestellt werden, aber an dieser Stelle enden die Gemeinsamkeiten auch. Das Wasserstoffmolekül ist viel kleiner als Erdgasmoleküle und extrem gefährlich. Man kann es nicht einfach durch Pipelines schicken, die müssen vorher von innen ausgekleidet werden. Das gesamte Netzwerk muss so umgerüstet werden, dass Wasserstoff sicher transportiert werden kann.

Extrem gefährlich?

Das Wasserstoffmolekül ist noch leichter entflammbar als Erdgas. Und weil es so klein ist, kann es ganz schnell durch Löcher und undichte Stellen schlüpfen, die unter Umständen in Pipelines entstehen.

Die bisherigen Pipelines verlaufen höchstwahrscheinlich auch auf Strecken, die wir in Zukunft eigentlich nicht mehr benutzen wollen.

Wasserstoff

Wasserstoff wird durch die Wasserelektrolyse gewonnen: Hierbei werden Wassermoleküle (H2O) in einem Elektrolyseur durch Strom in Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) verwandelt. Anschließend kann Wasserstoff anstelle von Öl, Kohle oder Erdgas in der Industrie eingesetzt oder als chemischer oder synthetischer Kraftstoff wie E-Fuel oder Solarkerosin unkompliziert über lange Zeiträume gespeichert und bei Bedarf zurück in Elektrizität verwandelt werden. Bei jeder Umwandlung verliert Wasserstoff allerdings 25 bis 30 Prozent seiner Energie.

Das ist richtig. Der Vorteil von Wasserstoff ist ja, dass er aus Strom und Wasser hergestellt werden kann. Diese Kombination findet man im Unterschied zum Erdgas fast überall. Günstigen Strom wird es vor allem dort geben, wo wir viel erneuerbare Energie haben. Das gilt für südliche Länder wie Spanien und Portugal mit viel Solarenergie, aber auch für den Windstrom von der Nordsee. Wenn man es schafft, dort günstig Wasserstoff herzustellen, hat man einen großen Vorteil: Der Transport ist viel kürzer, als wenn man grünen Wasserstoff aus Ländern wie Chile mit dem Schiff herbringt. Das wäre extrem teuer.

Was macht es denn so teuer, wenn man Wasserstoff im Ausland einkauft und dann mit dem Schiff nach Europa transportiert? Dafür werden schließlich mehrere LNG-Terminals gebaut.

Länder wie Chile haben bei den Erneuerbaren noch viel bessere Möglichkeiten als Europa, weil die Sonneneinstrahlung dort besonders toll ist. Der Wasserstoff an sich wäre also theoretisch viel günstiger, dafür der Fahrtweg extrem kostenintensiv. Denn Wasserstoff ist nicht besonders gut transportierbar. Er hat eine sehr geringe Dichte, dadurch braucht man sehr viel Platz und große Schiffe. Für den Transport müsste Wasserstoff auch bei Temperaturen von minus 250 Grad verflüssigt werden. Die müssen erstmal erzeugt werden. Man kann Wasserstoff auch für den Transport in Ammoniak umwandeln. Das ist aber ebenfalls ein enormer Energieaufwand mit hohen Kosten. Eigentlich ergibt es dann keinen Sinn mehr, Ammoniak in Deutschland umzuwandeln. Damit fiele aber ein Kerngeschäft der deutschen Chemieindustrie weg. Und bei den LNG-Terminals ist gar nicht klar, ob die sich wirklich für Wasserstoff eignen, auch wenn es immer heißt, die wären "Wasserstoff ready".

Aber warum reisen Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck dann um die ganze Welt und schließen praktisch auf jeder Station Wasserstoffabkommen ab? Sie haben Chile erwähnt. Das trifft aber auch auf Australien, den Nahen und den Mittleren Osten oder Namibia zu.

Für Deutschland ist es wichtig, alle Optionen auszureizen. Es gibt eine sehr energieintensive Industrie und ein Teil davon muss auf Wasserstoff umsteigen. Wo dieser Wasserstoff letztendlich herkommt, ist eine andere Frage. Es sieht eher so aus, als wenn sich die Bundesregierung darum kümmert, dass sich der Markt überhaupt entwickelt: Wir brauchen Wasserstoff. Wir prüfen alle Optionen und gucken, was funktioniert. Denn die Angst ist natürlich, dass es nicht schnell genug klappt und die Industrie sich dann eine andere Heimat wie Spanien sucht, wo sie Wasserstoff günstig vor Ort herstellen kann. Deswegen laufen derzeit alle Strategien parallel. Aber das kostet natürlich. Und wie gesagt: Bei diesen Terminals wissen wir nicht, ob das längerfristig eine gute Option ist.

Man will die Fehler der Gasversorgung nicht wiederholen, sondern sich möglichst divers aufstellen?

Richtig, aber man darf nicht vergessen, dass Länder wie Algerien selbst noch sehr hohe Emissionen haben. Aus klimatechnischer Sicht wäre es sinnvoller, die erneuerbare Energie und den Wasserstoff dort einzusetzen, um die heimische Wirtschaft zu dekarbonisieren. Dort kann man in den nächsten zehn, 20 Jahren viel mehr rausholen als in Deutschland, wo man Wasserstoff lokal produzieren könnte. Dabei fallen aber manchmal zwei Sachen unter den Tisch: Gerade, weil Wasserstoff so kostspielig ist, muss Deutschland sicherstellen, dass er so effizient wie möglich verwendet wird. Der muss in der Industrie eingesetzt werden, nicht zum Wärmen von Häusern. Und für die lokale Wasserstoffproduktion müssen natürlich die Erneuerbaren ausgebaut werden, ansonsten wird dabei nicht viel rumkommen.

Wo finde ich das Klima-Labor?

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Wasserstoffimporte wären aber immerhin eine Möglichkeit, diese saubere Energie überhaupt zu nutzen. Man kann schließlich keinen grünen Strom von Chile nach Deutschland transportieren. Aber welche Rollen spielen denn Spanien und Portugal? Wäre es sinnvoller, wenn die den Wasserstoff aus Algerien abnehmen? Der Transport wäre jedenfalls deutlich kürzer, auch wenn dafür neue Pipelines gebaut werden müssten.

Das ist die spannende Frage. Am günstigsten wäre es wahrscheinlich, wenn Spanien und Portugal den Wasserstoff selbst günstig vor Ort herstellen und dann weiterleiten würden. Bei dieser Option sind allerdings die Interessen der Pipelinebetreiber entscheidend: Wir wissen, dass der Gasbedarf in Europa in den kommenden Jahren extrem sinken wird. Das gefährdet ihr Geschäft. Deswegen müssen diese Unternehmen das Bild aufrechterhalten, dass durch ihre Infrastruktur irgendwann Wasserstoff fließt. Aber wie bereits erwähnt: Es ist nicht gesagt, dass man alte Pipelines für Wasserstofftransporte verwenden kann.

Wo hakt es denn? Warum weiß man das nicht oder nicht genau?

Das große Problem bei den Pipelines ist, dass die Daten grundsätzlich von den Pipelinebetreibern selbst produziert werden. Da besteht ein Interessenskonflikt. Das zweite Problem ist, dass wir bei Infrastrukturplanung auf europäischer Ebene Stromtrassen und Erdgas-Pipelines nicht zusammen betrachten, sondern separat. Wir können gar nicht entscheiden, ob es besser wäre, günstigen Strom von Spanien nach Deutschland zu transportieren und lokal Wasserstoff herzustellen, weil die Modelle nicht miteinander verknüpft sind.

Das dritte Problem sind fehlende Daten zum möglichen Verbrauch. Die Bundesregierung hat gesagt, dass sie den Wasserstoff nicht in Gebäuden verwenden will, weil er dafür zu wertvoll ist. Das ist positiv. Aber auch in der Industrie ist offen, wofür genau er eingesetzt werden soll. Selbst in der Stahl- und in der chemischen Industrie tut sich im Moment enorm viel. Man setzt Wärmepumpen oder andere Lösungen ein.

Man müsste eigentlich drei Karten übereinanderlegen? Die Pipeline-Karte, die Stromtrassen-Karte und die Verbrauchskarte?

Genau. Aber das müsste auch unabhängig passieren. Im Moment ist dieser Prozess von den Unternehmen dominiert, deren wirtschaftliche Interessen daran geknüpft sind. Das war in Großbritannien auch lange so, aber dort wurde jetzt entschieden, dass die Infrastruktur von einer unabhängigen Instanz geplant werden muss und nicht von den Leuten, die sie besitzen. Davon können wir uns sicherlich inspirieren lassen.

Geht das denn jemand an?

Die Bundesregierung hat vorgeschlagen, eine Wasserstoffgesellschaft zu gründen. Aber dieser Plan ist nur etwas wert, wenn die Dimensionen "Strom" und "Nachfrage" mitgedacht werden. Das ist auch auf EU-Ebene im Moment nicht klar.

Das klingt so, als wäre die Wasserstoffproduktion vor Ort vorerst die beste Lösung.

Über die nächsten Jahre ist die lokale Herstellung die wahrscheinlichste Option, zumindest an der deutschen Nordsee, wo es genügend Windenergie gibt. Das würde auch das Risiko minimieren, dass wir zu viel oder zu wenig Wasserstoff herstellen, denn wenn die Produktion von den Unternehmen gezahlt wird, die ihn am Ende abnehmen, ist das der effizienteste Weg. Das ist grundsätzlich das Allerwichtigste: Am Ende darf so wenig Energie wie möglich verschwendet werden. Wir brauchen Energieeffizienz, Energieeffizienz, Energieeffizienz.

Müsste man dafür zusätzlich grünen Strom aus Spanien importieren? Und dafür neue Stromtrassen bauen? Auch das war in den vergangenen Jahren alles andere als einfach.

Der Netzausbau ist schwierig, ja. Man könnte überlegen, die Stromkabel in die Erdgasleitungen zu legen, weil die Trassen teilweise schon da sind. Aber auch das können wir wegen der fehlenden Planung nicht überprüfen.

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Man könnte alte Erdgasleitungen für Stromtransporte nutzen? Das wäre für die Erdgasindustrie doch ein lohnenswertes Geschäft, oder?

Wahrscheinlich. Letztendlich muss die Branche sagen, ob das möglich wäre und sich rechnen würde. Dafür ist meine technische Expertise nicht ausreichend. Aber dass die Idee noch nicht mal betrachtet wird, spricht Bände. Das steht symbolisch für die strukturellen Probleme in Europa: Die Erdgasleute, die Stromleute und die Wasserstoffleute gucken jeder für sich selbst, was sie wollen.

Mit Lisa Fischer sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.

Klima-Labor von ntv

Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Kunstfleisch? Das Grauen 4.0. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. LNG? Teuer.

Das Klima-Labor - jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed

Quelle: ntv.de

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