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Was bei diesem Ausbruch anders istDie Vogelgrippe kehrt mit neuer Wucht zurück

23.11.2025, 11:35 Uhr
Ein-Helfer-sammelt-einen-toten-Kranich-auf-und-wirft-ihn-in-eine-Traktorschaufel-Die-auch-als-Vogelgrippe-bezeichnete-Gefluegelpest-hat-sich-mittlerweile-fast-ueber-ganz-Deutschland-ausgebreitet
Die auch als Geflügelpest bezeichnete Vogelgrippe hat sich mittlerweile fast über ganz Deutschland ausgebreitet. (Foto: picture alliance/dpa)

Die Vogelgrippe trifft Deutschlands Geflügelhalter derzeit härter als in der Vergangenheit. Bereits 1,5 Millionen Tiere mussten getötet werden, was die Weihnachtsgans verteuern könnte. Ein paradoxer Grund erschwert zudem den Schutz der Ställe.

Schon rund 1,5 Millionen Tiere sind in deutschen Geflügelhaltungen in den vergangenen Wochen wegen Vogelgrippe-Nachweisen im Stall getötet worden. Die Fallzahlen steigen dem Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) zufolge steiler als in der Saison 2020/2021, einem der bisher schlimmsten Geflügelpest-Winter für die Betriebe. Schon heißt es, die Weihnachtsgänse könnten knapper und teurer werden. Ein Massensterben etwa unter Seevögeln, wie es das damals an den Nordwestküsten Europas gab, scheint hingegen auszubleiben.

Warum gibt es vergleichsweise wenig tote Wasservögel?

Steil ansteigende Ausbruchszahlen bei Geflügel, viele tote Kraniche, aber vergleichsweise wenig tote Wildenten und -gänse - für diese aktuelle Situation gibt es vermutlich eine einfache Erklärung: "In vielen Wildvogelbeständen ist aufgrund der Ausbrüche in den Vorjahren die Immunität bei den Altvögeln ausgeprägt", erklärt FLI-Präsidentin Christa Kühn. "Die Vögel erkranken nicht, können sich aber weiterhin infizieren und das Virus übertragen."

Es gebe gerade bei Wildenten weniger tote Tiere als Frühwarnsystem, das Virus werde aber weitgehend unauffällig etwa über Kot verteilt. "Geflügelhalter können sich immer weniger sicher sein, dass kein Virus in der Umgebung ihrer Betriebe vorhanden ist", so Kühn.

Die außergewöhnlich hohe Zahl seit Anfang Oktober betroffener Betriebe weise darauf hin, dass die Vogelgrippe derzeit sehr stark bei Wildvögeln kursiert, sagt Kühn. Ein merkliches Abflauen sei bisher nicht festzustellen. Die Immunität vieler Wildvogelpopulationen rührt daher, dass immer noch ein Virus aus der Klade 2.3.4.4b das Infektionsgeschehen bestimmt, eine seit etwa 2020 kursierende, besonders ansteckende Variante des Vogelgrippevirus H5N1.

Warum sterben so viele Kraniche?

Dass in diesem Herbst auf ihrem Zug nach Süden so viele Kraniche sterben, liegt Kühn zufolge womöglich daran, dass die über Deutschland ziehende Population vom Virus in den Vorjahren weitgehend verschont blieb. "Auf anderen Zugrouten waren Kraniche schon eher stark betroffen." Die Hoffnung sei, dass sich die Seuche wegen des großen Bruterfolgs in diesem Jahr in der Summe nicht zu stark auf die übliche Größe des Kranichbestands auswirken wird.

Die Populationen vieler anderer Wildvogelarten hätten sich seit den Ausbrüchen in Wildvogelbrutkolonien im Sommer 2023 erholt, sagt Kühn. Irgendwann werden viele Populationen durch die nachgeborenen Jungvögel aber wieder stärker empfänglich für die nächste tödliche Infektionswelle sein.

Worauf blicken Experten aktuell?

Mit großer Sorge beobachten Experten derzeit ein Massensterben von Robben auf der südöstlich von Australien liegenden Insel Heard Island, für das ein H5-Ausbruch vermutet wird. Das australische Festland ist der letzte Kontinent, der bisher noch als frei von der Vogelgrippe gilt. Würden die Vogelpopulationen dort über Zugvögel mit dem ihrem Immunsystem völlig unbekannten Erreger konfrontiert, wären die Folgen furchtbar. Dass der Kontinent langfristig verschont bleibt, halten Experten allerdings für höchst unwahrscheinlich.

Virusfrei war lange Zeit auch die antarktische Region geblieben. Im Oktober 2023 wurde H5N1 dann aber auf der kleinen, Südgeorgien vorgelagerten Insel Bird Island nachgewiesen. Im Februar 2024 wurde H5N1 erstmals auf dem antarktischen Festland festgestellt. Was der Erreger für die schwer zu beobachtenden Populationen teils extrem seltener Arten dort bedeutet, sei noch nicht klar, sagte Kühn.

In die antarktische Region wiederum gelangte H5N1 von Südamerika aus, wohin es Ende 2022 vorgedrungen war - in den Jahrzehnten davor war Südamerika stets vogelgrippefrei geblieben. In Nordamerika hatte es 2015 erste Vogelgrippe-Nachweise gegeben. Europa sucht das aus Asien stammende Virus schon viele Jahre länger heim. Allerdings gibt es erst seit 2021 das ganze Jahr hindurch Infektionen, davor trat der Erreger fast nur im Zusammenhang mit dem Vogelzug in der kalten Jahreszeit auf.

Wie sieht es in den USA aus?

Die aktuell mangels Daten schwer einschätzbare Entwicklung gibt es wohl in den USA: Im März 2024 waren dort mit Vogelgrippe infizierte Milchkühe entdeckt worden - erste Tiere waren aber wohl schon im Herbst 2023 erkrankt. Rasch waren Hunderte weitere Betriebe betroffen, es folgten Nachweise bei Haustieren wie Katzen und Dutzenden Menschen, meist Farmarbeitern oder Tierärzten. Experten schätzen die Dunkelziffer nicht erfasster Fälle als hoch ein.

Einer im August vorgestellten Analyse zufolge erfolgt die Übertragung wohl unter anderem über virusverseuchte Rohmilch - etwa, wenn ein Farmarbeiter kontaminiertes Melkgeschirr anfasst und dann sein Auge berührt. Auch eine Übertragung über die Luft in Melkständen sei anzunehmen, zudem sei Abwasser eine mögliche Infektionsquelle.

In Deutschland sei intensiv versucht worden, das Geschehen zu stoppen - in den USA seien derlei Maßnahmen kaum zu erkennen gewesen, hatte Martin Beer, Vizepräsident des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), schon im vergangenen Jahr gesagt. Selbst getestet wurde in den USA keineswegs umfassend.

Vor einigen Wochen kam dann noch ein Problem hinzu: Vom längsten Shutdown in der Geschichte der USA war auch die ohnehin unzureichende Erfassung von Vogelgrippe-Fällen im Land betroffen. Von Anfang Oktober bis Mitte November war der reguläre Regierungsbetrieb in großen Teilen lahmgelegt, die Gesundheitsbehörde CDC veröffentlichte auf ihrer Seite nur noch rudimentär neue Informationen.

Könnte die Krankheit im Land unbeobachtet schon außer Kontrolle geraten sein?

FLI-Präsidentin Kühn hält das für unwahrscheinlich - was Haustiere oder den Menschen betrifft. Bei den Milchkühen sei davon auszugehen, dass ein großer Teil der Betriebe zum Beispiel in Kalifornien, einem der wichtigsten Bundesstaaten in Bezug auf Milcherzeugung, längst betroffen gewesen sei. In den USA gibt es etwa 25.000 Milchviehbetriebe. Viele US-Rinderfarmen sind riesig, teils werden deutlich mehr als 1000 Tiere gehalten.

Weltweit gibt es Experten zufolge etwa 1,5 Milliarden Rinder. Trotz des weltweiten Handels mit Tieren und Lebensmitteln sind jedoch H5N1-Infektionen bisher nur von Kühen in den USA bekannt.

Ein vermehrter Kontakt mit dem Geflügelpest-Virus wurde unter anderem auch schon bei wildlebenden Fleischfressern in Deutschland wie Füchsen und Waschbären erfasst, wie Kühn sagt. Bei bis zu 25 Prozent dieser Tiere ließen sich in einem Monitoringprojekt Antikörper gegen den Erreger nachweisen - sie waren also schon einmal infiziert. Um zu verhindern, dass sich das Vogelvirus im Zuge solcher Ansteckungen immer besser an Säugetiere anpasst, sei es wichtig, tote Wildvögel einzusammeln und zu entsorgen, erklärt Kühn.

Warum sollen sich Geflügelhalter impfen lassen?

Eine H5N1-Infektion beim Menschen ist dem Robert Koch-Institut zufolge in Deutschland bisher nicht bekannt geworden. In den USA wurde kürzlich weltweit erstmals eine Ansteckung mit dem Vogelgrippe-Subtyp H5N5 nachgewiesen, der besonders in Nordamerika und Nordeuropa ebenfalls unter Wildvögeln zirkuliert. Betroffen war ein Geflügelhalter im Bundesstaat Washington.

Die Ständige Impfkommission (Stiko) beim Robert Koch-Institut empfiehlt "aufgrund der zunehmenden Zirkulation von Influenza-A-Viren mit zoonotischem Potenzial" seit Juli zusätzlich auch Personengruppen in der privaten sowie wirtschaftlichen Nutztierhaltung eine jährliche Influenza-Impfung. Menschen mit häufigem und direktem Kontakt zu potenziell infizierten Tieren wie Geflügel oder Schweinen hätten ein mögliches Risiko dafür, sich gleichzeitig mit Influenza und einem Vogel- oder Schweinegrippevirus anzustecken.

Warum ist die Sorge bei Schweinen besonders groß?

Solche Koinfektionen können Experten zufolge zu einer Mischung beider Viren führen, aus der ein neuartiges, potenziell sehr gefährliches Virus hervorgeht. Eine große Sorge sei derzeit, dass H5N1 bei Schweinen zu kursieren beginnt - die ideale Mischgefäße für Grippeviren seien, sagt Kühn. Ein so entstehendes Influenza-Virus könnte besser an den Menschen angepasst sein und möglicherweise eine verheerende Grippewelle zur Folge haben. Derzeit sei das Risiko dafür dort am größten, wo Geflügel und Schweine nah beieinander in einem Bestand gehalten würden, sagt Kühn.

Die genauen Eigenschaften eines möglichen neuen Erregers lassen sich nicht voraussagen. Klar ist aber: Es wäre nicht die erste große Influenza-A-Pandemie. Insgesamt vier gab es seit 1900: 1918/19 die Spanische Grippe (H1N1), auf die 1968 die Hongkong-Grippe (H23N2), 1977 die Russische Grippe (H1N1) und 2009/10 die Schweinegrippe (H1N1) folgten.

Quelle: ntv.de, Annett Stein, dpa

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