Universalblut aus dem Labor Enzyme wandeln Blutgruppen A und B in 0 um
30.04.2024, 18:36 Uhr Artikel anhören
In lebensbedrohlichen Notfällen werden Blutkonserven der Blutgruppe 0 bei Patienten mit unbekannter Blutgruppe eingesetzt. Daher besteht in Kliniken meist ein Mangel an dem Universalblut.
(Foto: picture alliance/dpa)
Medizinischer Durchbruch? Forschenden ist es gelungen, mithilfe eines Enzym-Cocktails die Blutgruppen A und B in 0 umzuwandeln. Mit solchem Universalblut könnte die Versorgung mit dringend benötigtem Spenderblut deutlich verbessert werden. Experten sind allerdings noch skeptisch.
Ob nach einem schweren Unfall, während der Geburt oder bei Operationen: Bluttransfusionen können Leben retten - vorausgesetzt, die Blutgruppe des Spenders passt. Eine neue Entdeckung von Forschenden aus Dänemark und Schweden könnte dabei helfen. Mit einem Mix aus Enzymen haben sie Proben der Blutgruppen A und B in die universelle Blutgruppe 0 umgewandelt. Durch diese Methode sei es möglich, die Verfügbarkeit von Spenderblut zu erhöhen und die Blutlogistik für seltene Blutgruppen zu vereinfachen, argumentieren die Forschenden, die ihre Ergebnisse im Fachjournal "Nature Microbiology" veröffentlicht haben.
Wie praktisch alle Zellen im menschlichen Körper haben auch rote Blutkörperchen Antigene auf ihrer Oberfläche. Das sind molekulare Strukturen, an die sich Antikörper im Rahmen einer erworbenen Immunantwort binden können. Diese variieren jedoch von Mensch zu Mensch. Die Antigene der Blutgruppen A und B besitzen ein Zuckermolekül am Ende der Oberflächenmoleküle. Vermischen sich verschiedene Blutgruppen, verklumpt das Blut, was für Menschen bei einer Blutspende tödlich sein kann. Antigene der Blutgruppe 0 haben jedoch kein solches Zuckermolekül. Dadurch nehmen Blutkörperchen anderer Blutgruppen sie nicht als "fremd" wahr und greifen sie nicht an.
Aufgrund dieser Eigenschaft werden die Blutvorräte der Blutgruppe 0 häufig gebraucht, insbesondere in medizinischen Notfällen, in denen die Ärzte schnell handeln müssen, ohne die Blutgruppe des Patienten zu kennen. Die Idee, Spenderblut in die universelle Blutgruppe 0 umzuwandeln, ist dabei nicht neu. Die Technik wurde bereits 1982 entwickelt, als Wissenschaftler ein aus Kaffeebohnen gewonnenes Enzym entdeckten, das den Zellen der Blutgruppe B ihren Oberflächenzucker entziehen konnte. Die Enzymreaktion war jedoch sehr ineffizient, sodass ein praktischer Einsatz nicht möglich war.
Bis zur Anwendung noch ein langer Weg
Die dänischen und schwedischen Forschenden gingen nun einen anderen Weg: Sie konzentrierten sich für ihre Studie auf das Darmbakterium Akkermansia muciniphila, das die Darmschleimhaut stabilisiert. Sie untersuchten 23 Enzyme des Bakteriums, die es zum Abbau von komplexen Zuckern im Schleim verwendet, und identifizierten eine Kombination einzigartiger Enzyme. Diese können sowohl bekannte als auch bisher nicht bekannte Antigene auf menschlichen roten Blutkörperchen umwandeln, um Blut der Gruppe 0 herzustellen.
"Hier berichten wir über die Entdeckung bemerkenswert effizienter Enzyme, die nicht nur gegen A- und B-Antigene, sondern auch gegen deren Verlängerungen wirken", schreiben Mathias Jensen und Linn Stenfelt, zwei Bioingenieure an der Technischen Universität Dänemark, in der Studie. Entscheidend sei, dass die gewählten Enzyme auch alle vier bekannten Verlängerungen der Antigene der Gruppen A und B aus den roten Blutkörperchen entfernten. Dadurch habe sich die Unverträglichkeit der behandelten B-Zellen mit Plasmaproben auf weniger als neun Prozent verringert. Zudem seien Reaktionen weniger schwerwiegend gewesen, wenn sie doch auftraten.
Nach Ansicht Jensens und seiner Kollegen eröffnen die neu identifizierten Enzyme nun einen vielversprechenden Weg, Spenderblut der Blutgruppen A und B effizienter und sicherer als bisher in Universalspenderblut der Gruppe 0 umzuwandeln. "Die dafür nötigen milden Bedingungen ohne Additive zusammen mit der exzellenten Enzym-Effizienz sind wichtige Parameter für eine praktikable klinische Anwendung", resümiert das Forschungsteam. Noch seien allerdings weitere Tests nötig.
Dieser Ansicht ist auch der nicht an der Studie beteiligte Transfusionsmediziner und Hämatologe Markus Müller von der Universitätsklinik der Goethe-Universität in Frankfurt am Main: "Die Ergebnisse der Studie sind wissenschaftlich und versorgungstechnisch interessant", so Müller. Doch wichtige Fragen ließen sich erst im Tierversuch klären. "Es stellen sich Fragen wie: Rufen die so behandelten Erythrozyten (rote Blutkörperchen, Anm. d. Red.) eine Immunreaktion beim Empfänger hervor? Eventuell erst bei mehrmaliger Anwendung? Wie lange überleben solche vorbehandelten Erythrozyten im Empfänger? Wie gut fließen diese Erythrozyten durch die kleinsten Kapillaren?" Bis zur Anwendung am Patienten ist es Müller zufolge somit noch ein weiter Weg.
Quelle: ntv.de, hny