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Sportexperte zu Eriksens Kollaps "Er könnte als Profifußballer weitermachen"

Wird Christian Eriksen wieder aufs Spielfeld zurückkehren?

Wird Christian Eriksen wieder aufs Spielfeld zurückkehren?

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Es war der Schockmoment zum Auftakt der EM: Gegen Ende der ersten Halbzeit sackt der 29-jährige dänische Fußballprofi Christian Eriksen im Spiel gegen Finnland wie leblos zusammen. Welche Ursachen hinter dem Kollaps stecken können und ob Eriksen seine Profisportler-Karriere fortsetzen kann, erklärt Professor Ingo Froböse von der Sporthochschule in Köln ntv.de.

ntv.de: Die dramatischen Bilder, als Christian Eriksen plötzlich auf dem Spielfeld bewusstlos zusammenbrach, schockierten am Samstag die Fußballwelt. Er konnte zum Glück reanimiert werden. Doch was ist passiert?

Professor Ingo Froböse ist Sportwissenschaftler an der Sporthochschule in Köln.

Professor Ingo Froböse ist Sportwissenschaftler an der Sporthochschule in Köln.

(Foto: Ingo Froböse)

Prof. Dr. Ingo Froböse: Eriksen erlitt eine Herzrhythmusstörung. Das ist in der Regel ein Kammerflimmern, also eine zu hohe Herzfrequenz. Da schlägt das Herz nicht mehr ausreichend. Man kann es als eine Art Flattern beschreiben. Dadurch wird das Gehirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Das führte bei Eriksen schließlich zur Bewusstlosigkeit und den dramatischen Bildern.

Nun ist Eriksen nicht der erste Profisportler, der eine Herzattacke erlitten hat. Auch bei den Fußballern ist die Liste derjenigen, die an einem plötzlichen Herztod gestorben sind, erschreckend lang. Kann Leistungssport lebensgefährliche Herzerkrankungen hervorrufen?

Das Gegenteil ist eher der Fall. Statistisch gesehen erleiden von 100.000 Menschen 2 bis 3 Personen einen plötzlichen Herztod. Sportler haben dabei ein fünffach geringeres Risiko. In 60 bis 70 Prozent der Fälle gibt es eine gewisse Form der Vorerkrankung. Das sind gerade bei Sportlern Herzmuskelentzündungen oder verschleppte Infekte, häufig der Atemwege. Ab einem Alter von etwa 30 Jahren kommt noch die Gefahr von Verkalkungen der Herzkranzgefäße hinzu. Als Folge tritt beim Untrainierten der plötzliche Herztod beim Treppensteigen auf und beim Sportler eben im Spiel. Das passiert zwar selten, ist aber leider nichts Ungewöhnliches. Das Besondere im Fall von Eriksen ist, dass Kameras dabei waren. Aber das war vielleicht auch sein Glück.

Warum Glück?

Eriksen hat Glück gehabt, dass es in der Öffentlichkeit passiert ist. Wäre er allein im Wald beim Joggen kollabiert, das hätte ein deutlich schlimmeres Ende nehmen können. Denn so waren genügend Menschen und medizinisches Personal zur Stelle, um sofort zu reagieren und Wiederbelebungsmaßnahmen einzuleiten. Wenn das Herz streikt, kommt es auf jede Sekunde an. Hält das Kammerflimmern längere Zeit an, findet das Herz nicht mehr in seinen eigenen Rhythmus hinein und das zieht dann den Tod nach sich.

2004 hatte der ungarische Nationalspieler Miklós Fehér in einem Spiel seines Vereins Benfica Lissabon nicht so viel Glück: Er starb auf dem Spielfeld an einem plötzlichen Herztod. Was Eriksen das Leben gerettet?

Mittlerweile sind an allen Sportstätten Defibrillatoren zum Glück vorgeschrieben, das war zu Zeiten von Fehér nicht der Fall. Die Fifa stellt immer Notfallmediziner an den Spielfeldrand, damit sie in solchen Fällen schnellstmöglich eingreifen können. Zudem wird darauf geachtet, dass auch beispielsweise Trainer Erste-Hilfe-Maßnahmen beherrschen. Die hat der dänische Kapitän [Simon Kjaer, Anm. d. Red.] auch hervorragend umgesetzt. Er hat sich sofort die Mundhöhle von Eriksen angeschaut und die Zunge herausgenommen, damit die Atemwege frei bleiben.

Profifußballer wie Eriksen werden doch regelmäßig auf gesundheitliche Probleme gecheckt. Sollte die Ursache für seinen Kollaps tatsächlich ein Herzleiden sein, wie konnte das übersehen werden?

Die Fifa schreibt vor, dass alle Spieler regelmäßig eine Untersuchung machen - ein Screening nennen wir das. Die Spieler bekommen ein EKG und auch die Herzfunktion wird untersucht. Sollte er tatsächlich an einer Herzmuskelentzündung gelitten haben, hätten die Ärzte das festgestellt. Allerdings weiß ich nun nicht, wie lange das letzte Screening her war. Das könnte eine Rolle spielen. Zudem muss man bedenken, dass 30 Prozent der Betroffenen gar keine Vorerkrankungen haben.

Da bedeutet, dass wir womöglich die Ursache für Eriksens Kollaps nie erfahren werden, weil es gar keine gibt?

Das kann durchaus sein. Wir nennen es bewusst plötzlicher Herztod, weil Betroffene plötzlich umfallen. Bei ihnen bleibt das Herz einfach stehen, ohne eine erkennbare Ursache.

Die übermäßige Einnahme von Pharmazeutika wie Aspirin, Paracetamol oder Ibuprofen kann zu schweren Nebenwirkungen bis hin zum Herzstillstand führen. Sie stehen nicht auf der Dopingliste und werden daher gerne von Sportlern genommen. Könnten Schmerzmittel auch eine Ursache sein?

Aspirin und ähnliche Blutverdünner dürften eigentlich kein Problem sein, die wirken ja eher prophylaktisch. Aber grundsätzlich gilt: Jede medikamentöse Behandlung hat ihre Nebenwirkungen und das kann sich wiederum unter anderem auf den Herzmuskel niederschlagen. Und nun ist es ja im Sport und auch manchmal im Spitzensport nicht ganz selten, dass Medikamente ohne Kontrolle eingenommen werden. Es gibt allerdings keine Studien, die bestätigen, dass das zwingend daraus resultiert.

Eriksen hat sich inzwischen aus dem Krankenhaus gemeldet. Es gehe ihm "den Umständen entsprechend" gut. Wird er sich vollständig erholen und wieder spielen können?

Er wird keine Schäden davontragen - zumindest keine körperlichen. Er war ja nach dem Vorfall relativ schnell wieder ansprechbar. Somit könnte er als Profifußballer weitermachen. Ob er das auch will, da bin ich mir nicht so sicher. Denn so ein lebensbedrohliches Ereignis hinterlässt Spuren in der Psyche. Er wird in jedem Fall einen Psychotherapeuten brauchen, um die Nahtoderfahrung emotional verarbeiten zu können.

Mit Prof. Dr. Ingo Froböse sprach Hedviga Nyarsik

Quelle: ntv.de

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