Jäger von Milben und Läusen Gift des Bücherskorpions tötet Krankenhauskeime
07.08.2024, 18:46 Uhr Artikel anhören
Der Bücherskorpion gehört zu den Pseudoskorpionen, die keinen Schwanz mit Giftstachel haben. Ihre Giftdrüsen sitzen in den Zangen.
(Foto: Louis Roth)
Deutsche Forschende finden heraus, dass das Gift des Bücherskorpions eine "überraschend stark ausgeprägte Wirksamkeit" gegen einen gefährlichen Krankenhauskeim hat. Die Entdeckung könnte viele Menschenleben retten, doch auf dem Weg zu einem Medikament müssen noch einige Hürden genommen werden.
"Laut Prognosen könnten antibiotikaresistente Infektionen in den nächsten Jahrzehnten zur global häufigsten krankheitsbedingten Todesursache avancieren", sagt Michael Marner. Er ist Co-Autor einer Studie des LOEWE Center for Translational Biodiversity Genomics (LOEWE-TBG), die im Fachjournal "iScience" veröffentlicht wurde. Darin wird die Wirksamkeit des Gifts des Bücherskorpions gegen einen besonders gefährlichen Krankenhauskeim belegt, der gegen das Antibiotikum Methicillin resistent ist.
"Tiergifte sind eine wahre Schatztruhe voller möglicher Wirkstoffkandidaten, doch nur ein kleiner Teil wurde bisher untersucht", erklärt Studienleiter Tim Lüddeck. "In meiner Gruppe haben wir moderne systembiologische und biotechnologische Methoden entwickelt, um gezielt die schwierig zu analysierenden, sehr kleinen Gifttiere zu erforschen. Wir fokussieren uns dabei besonders auf Spinnentiere. Sie sind sozusagen die Meisterchemiker unter den Gifttieren: Ihre Gifte sind besonders komplex und pharmakologisch vielversprechend."
Weit reisen mussten die Wissenschaftler dafür nicht. Denn der nur wenige Millimeter große Bücherskorpion ist weltweit verbreitet und kommt auch in Deutschland vor. Er lebt unter anderem in alten Gebäuden, Bibliotheken, Archiven und Kellern, wo er sich in Ritzen, hinter Büchern oder in anderen dunklen, feuchten Ecken versteckt. Der kleine Krabbler ist nützlich, denn er jagt unter anderem Staubmilben und Läuse.
Er gehört zu den Pseudoskorpionen, die mit mehr als 3000 Arten eine große Gruppe der Spinnentiere darstellen. Echten Skorpionen sehen sie mit den im Vergleich zum Körper langen Scheren zwar ähnlich, aber ihr Hinterleib ist nicht geteilt und sie haben keinen langen Schwanz mit Giftstachel.
Toxine künstlich hergestellt
Bei Pseudoskorpionen befinden sich die Giftdrüsen in den Zangen. Weil sie aber so winzig sind, lässt sich das Gift der Tiere nur schwer analysieren. Dem Forscherteam des LOEWE TBG ist es jetzt dennoch gelungen, alle bekannten Mitglieder einer Giftstoff-Familie des Bücherskorpions im Labor künstlich herzustellen und ihre Aktivität zu untersuchen. Dabei seien sie auf eine überraschend stark ausgeprägte Wirksamkeit gegen einen bekannten Krankenhauskeim gestoßen, den sogenannten Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA), schreiben die Wissenschaftler.
Dabei handelt es sich um häufig vorkommende Bakterien, die vor allem die Haut und Schleimhäute besiedeln. Die Besonderheit der MRSA-Varianten ist dabei, dass sie gegen das Antibiotikum Methicillin resistent sind. Dadurch verursachen sie schwer behandelbare Infektionen beim Menschen, unter anderem nach operativen Eingriffen.
Nicht nur positive Wirkung
Die analysierte Toxin-Familie haben die Wissenschaftler "Checacine" genannt. Um schnell und effizient mehr über die Wirkungsweise dieser bisher unbekannten Toxinklasse herauszufinden, testeten verschiedene Arbeitsgruppen des LOEWE TBG parallel die Aktivität der Toxine gegen Tumorbildung, Bakterien und Entzündungen.
"Unsere Daten zeigen, dass die Checacine leider auch eine gewisse Giftigkeit für menschliche Zellen aufweisen können und unter Umständen selbst Entzündungsreaktionen hervorrufen könnten", so Co-Erstautorin Pelin Erkoc. "Wir müssen also, wie bei anderen Wirkstoffen genauso üblich, ihre Struktur und somit auch ihre Wirkung noch durch biotechnologische Verfahren optimieren."
Bis zu einem möglichen pharmakologischen Einsatz sind also noch einige Hürden zu überwinden, das Potenzial solcher Wirkstoffe sei aber bereits jetzt deutlich zu erkennen, schreibt das Forscherteam. "Unsere neuen Ergebnisse zu den Checacinen zeigen, wie sehr es sich lohnt, einen genauen Blick in das unbekannte Universum der Gifte kleiner Krabbeltiere zu werfen", sagt Studienleiter Tim Lüddecke.
Quelle: ntv.de, kwe