Studie untersucht Zusammenhang Herpesviren können Alzheimer-Risiko verdoppeln
20.02.2024, 18:10 Uhr Artikel anhören
Bis zu 90 Prozent aller Menschen tragen Herpesviren in sich.
(Foto: picture-alliance / OKAPIA KG, Germany)
Wenn die Lippe kribbelt und juckt, kann es meist nur eins bedeuten: Herpes. Hat man sich einmal mit dem Virus infiziert, bleibt er ein Leben lang im Körper und sorgt bei manchen für unangenehme Bläschen. Das sind allerdings nur die sichtbaren Folgen. Laut einer Studie können Herpesviren das Risiko für Alzheimer deutlich erhöhen.
Zuerst kribbelt und juckt die Lippe, dann schwillt sie an und schließlich bilden sich kleine Bläschen: Menschen mit Lippenherpes kennen diese Symptome nur allzu gut. Auslöser ist das Herpes-Simplex-Virus Typ 1 (HSV-1). Schätzungen des Bundesgesundheitsamts zufolge tragen 60 bis 90 Prozent der Menschen diesen Virustyp in sich, häufig unbemerkt. Dabei kann der Erreger nicht nur unangenehme Symptome hervorrufen, sondern auch das Risiko für Alzheimer erheblich steigern, wie eine neue Studie herausgefunden hat.
Das Herpesvirus ist tückisch. Hat man sich einmal infiziert, nisten sich die Viren in den Nervenzellen ein und verbleiben dort ein Leben lang. Häufig treten gar keine Symptome auf und die Herpesviren schlummern im Körper im sogenannten Zustand der Latenz vor sich hin. Erst wenn das Immunsystem durch einen starken Infekt oder durch Stress geschwächt ist, treten Symptome wie die typischen Bläschen auf.
Das sind allerdings nur die sichtbaren Zeichen, die HSV-1 verursacht. Schon länger besteht der Verdacht, dass sie auch an der Entstehung von Alzheimer beteiligt sein könnten. Um diesen Zusammenhang genauer zu untersuchen, haben schwedische Forschende in einer Langzeitstudie, die in der Fachzeitschrift "Journal of Alzheimer's Disease" veröffentlicht wurde, Hunderte 70-Jährige über einen Zeitraum von 15 Jahren beobachtet.
Das Ergebnis: Von den 1002 Teilnehmern waren 82 Prozent Träger von HSV-1-Antikörpern. Das bedeutet, dass ihr Immunsystem dem Erreger irgendwann in der Vergangenheit ausgesetzt war. Bei diesen Patientinnen und Patienten sei die Wahrscheinlichkeit, im Laufe der Studie an Demenz zu erkranken, doppelt so hoch gewesen wie bei denen, die keine HSV-1-Antikörper trugen, schreiben die Autorinnen und Autoren.
Ein Risikofaktor für Demenz?
"Das Besondere an dieser Studie ist, dass die Teilnehmer ungefähr gleich alt sind, da Altersunterschiede, die sonst mit der Entwicklung von Demenz in Verbindung gebracht werden, die Ergebnisse nicht verfälschen können", sagt die Epidemiologin Erika Vestin von der Universität Uppsala in Schweden. Das mache die Ergebnisse noch zuverlässiger. Zudem bestätigten sie frühere Studien. "Es gibt immer mehr Hinweise aus Studien, die wie unsere Ergebnisse darauf hindeuten, dass das Herpes-Simplex-Virus ein Risikofaktor für Demenz ist", so die Co-Autorin.
Die Alzheimer-Demenz (AD) ist eine seit mehr als 100 Jahren beschriebene Erkrankung, deren eigentliche Ursache trotz großer Anstrengungen noch immer nicht bekannt ist. Sie macht zwei Drittel aller Demenzerkrankungen aus. Aktuell wird von mehr als 50 Millionen Erkrankten weltweit ausgegangen. Hochrechnungen zeichnen ein dramatisches Szenario mit 106 bis 360 Millionen Erkrankten im Jahr 2050.
Diese neurodegenerative Erkrankung beginnt schleichend bereits im Alter von 45 bis 50 Jahren. Erst 20 bis 30 Jahre später finden sich die klinischen Symptome im Alltag. Es kann damit beginnen, dass man im Kaufhaus steht und plötzlich nicht mehr aus den Ausgang findet oder den Einkauf an der Kasse stehen lässt. Bereits geringe Störungen des Gedächtnisses, die erstmalig auftreten, können Vorboten dieser Erkrankung sein.
Einen Beleg, dass HSV-1 tatsächlich Demenz auslöst, liefert die schwedische Studie nicht. Dafür sind laut den Forschenden weitere Untersuchungen notwendig. Dennoch zeige sie einen starken Zusammenhang zwischen einer Herpes-Infektion und dem Auftreten von Alzheimer auf. Die Ergebnisse "könnten die Demenzforschung in Richtung einer frühzeitigen Behandlung der Krankheit mit gängigen Anti-Herpes-Virus-Medikamenten vorantreiben oder die Krankheit verhindern, bevor sie auftritt", hofft Vestin.
Was genau Alzheimer auslöst, ist in der Medizin bis heute ein Rätsel. Der größte Risikofaktor ist das Alter. Die meisten Betroffenen sind älter als 80 Jahre, nur in seltenen Fällen beginnt die Krankheit vor dem 65. Lebensjahr. Sie führt zu einem Abbau der Nervenzellen im Gehirn. Charakteristisch sind Eiweiß-Ablagerung zwischen den Nervenzellen, Plaques genannt. Sie bestehen aus einem Amyloid-Kern, der von veränderten Nervenzellfortsätzen und Stützzellen umgeben wird - und führen zur zunehmenden Zerstörung der Nervenzellen des Gehirns.
Sicheren Schutz gibt es nicht
Der Gedanke, dass Infektionen einige Varianten der Alzheimer-Erkrankung auslösen könnten, ist nicht neu: In den 1990er-Jahren wurden erstmals ungewöhnliche Mengen von HSV-1-DNA in den Gehirnen verstorbener Alzheimer-Patienten gefunden. 2008 entdeckten Forscher, dass HSV-1-DNA in 90 Prozent der Protein-Plaques in postmortalen Gehirnen von Alzheimer-Patienten vorhanden war. Mehr noch: 72 Prozent der HSV-1-DNA im Gehirn befand sich innerhalb dieser Plaques. Die Ergebnisse legen nahe, dass die Immunreaktion auf das Herpesvirus eng mit dem kognitiven Verfall verbunden ist.
Einen Impfstoff gegen HSV-1 gibt es bislang nicht. Gleichzeitig ist das Virus sehr leicht übertragbar. Ein besonders hohes Risiko besteht bei direktem Kontakt mit den Bläschen oder Geschwüren, etwa beim Küssen oder beim Sex. Herpesviren können auch durch Tröpfchen- und Schmierinfektion weitergegeben werden, also zum Beispiel durch Husten, Niesen oder das gemeinsame Benutzen von Gläsern oder Besteck.
Weil Herpes so leicht übertragbar ist, gibt es keinen sicheren Schutz. Wichtig ist, den Kontakt mit Herpesbläschen und -geschwüren zu meiden - auch mit den eigenen, um nicht etwa Viren von den Lippen zu den Augen zu übertragen. Hat man die Bläschen berührt, hilft gründliches Händewaschen.
Quelle: ntv.de