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Ja oder Nein? Organspenden hängen an Entscheidungen

Mit Transplantationen können auch Patienten gerettet werden, deren Lungen durch Covid-19 schwer geschädigt sind.

Mit Transplantationen können auch Patienten gerettet werden, deren Lungen durch Covid-19 schwer geschädigt sind.

(Foto: REUTERS)

Prinzipiell stehen die Deutschen der Organspende positiv gegenüber, doch dokumentiert ist das oft nicht. Das macht es auch Ebru Yildiz oft schwer, das Beste für ihre Patienten zu tun. Die Leiterin der Essener Transplantationsmedizin weiß, wie schwer diese Entscheidung fällt. Doch sich nicht zu entscheiden sei fatal.

Anfang des Jahres gab es im Uniklinikum Essen wieder einen dieser erlösenden Anrufe. Für einen Patienten wurde ein Spenderorgan gefunden. In einem der acht europäischen Länder, die in der Stiftung Eurotransplant verbunden sind, gab es eine Lunge, bei der neben anderen Parametern die Blutgruppe und der Gewebetyp passten. Für den 30-Jährigen, dessen Frau das erste Kind erwartete, ein Glückstag.

"Der Mann ist ein sportlicher, komplett gesunder Mensch, der nicht geraucht hat", erinnert sich Dr. Ebru Yildiz, die Leiterin des Westdeutschen Zentrums für Organtransplantation der Universitätsmedizin Essen. Komplett gesund, bis er an Covid-19 erkrankte. Wochenlang wurde sein Blut außerhalb des Körpers an einer ECMO mit Sauerstoff versorgt, doch die geschädigte Lunge erholte sich nicht. Allein in Europa kennt Yildiz sechs Fälle, in denen Patienten nach einem schweren Covid-19-Verlauf Lungen transplantiert wurden. "Das sind Menschen im Alter zwischen 30 und 50, die nur selten Nebenerkrankungen haben. Das ist ja das Fatale an Covid, dass wir nicht im Vorfeld prognostizieren können, wen die schlechten Verläufe genau betreffen."

Bei einem vollständigen Lungenversagen ist die Transplantation die letzte und einzige Option, andernfalls würde der Patient auf absehbare Zeit sterben. Das ist auch ohne Corona so. 2020 wurden über Eurotransplant 1279 Lungen vergeben, insgesamt waren es über 6000 Organe - Herzen, Lebern, Nieren, Dünndärme und Bauchspeicheldrüsen. Sowohl die Zahl der Organspenden als auch die der durchgeführten Transplantationen hat sich in Essen auch unter Corona-Bedingungen kaum verändert. "Am Anfang waren wir vorsichtig und haben vor allem bei Lungentransplantation abgewartet", erzählt Yildiz. "Weil Corona eben vor allem die Lunge angreift und wir noch nicht wussten, wie man vorgehen kann."

Stabile Zahlen

Ebru Yildiz spricht oft mit Angehörigen, weil der Wille der Verstorbenen nicht dokumentiert ist.

Ebru Yildiz spricht oft mit Angehörigen, weil der Wille der Verstorbenen nicht dokumentiert ist.

(Foto: Socrates Tassos / Funke Foto Services)

Die mit der Lebendspende von Nieren oder Lebern verbundenen planbaren Eingriffe pausierten zu Beginn der Corona-Pandemie eine Zeit lang. Auch weil man noch nicht wusste, wie Patienten, bei denen die Immunabwehr durch Erkrankungen oder Therapien geschwächt ist, auf das Coronavirus reagieren. "Nachdem wir gesehen haben, dass sie nicht häufiger an Covid erkranken, lief es normal weiter." Doch selbst als die Krankenhäuser vielerorts durch die Versorgung von Corona-Patienten an ihrer Belastungsgrenze waren, wurden Organtransplantationen an der Universitätsmedizin Essen als Notfalloperationen eingestuft und dennoch durchgeführt. Aus Yildiz' Sicht die richtige Entscheidung, denn die Patienten stehen oft jahrelang auf der Dringlichkeitsliste. "Da kann man nicht warten, ob sie noch einmal das Glück haben, ein Organ angeboten zu bekommen."

In Deutschland hoffen mehr als 9400 Menschen auf ein neues Herz oder eine Niere - Schwerkranke, für die eine Transplantation die letzte Therapieoption ist. Ihnen standen 2020 gerade mal 913 Organspender gegenüber. Wegen dieses Missverhältnisses sterben jährlich Hunderte Patienten, während sie vergeblich auf ein passendes Organ warten. Dabei gaben jüngst in einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 82 Prozent der Befragten an, dass sie gegenüber einer Organ- oder Gewebespende grundsätzlich positiv eingestellt sind. 73 Prozent sagten, sie seien bereit, selbst Spenderin oder Spender zu werden. Lediglich 21 Prozent lehnen dies ab.

Yildiz sieht diese Zahlen mit einer gewissen Skepsis und verweist auf ein anderes Ergebnis der Umfrage. Demnach sagten 44 Prozent der Befragten, dass sie ihre Entscheidung auch dokumentierten - 31 Prozent nur in einem Organspendeausweis, 5 Prozent nur in einer Patientenverfügung und 8 Prozent in beiden Dokumenten. Die Internistin hat andere Erfahrungen gemacht. Lediglich 30 bis 35 Prozent ihrer Patienten dokumentierten den entsprechenden Willen schriftlich oder drückten ihn mündlich aus. Das führe immer wieder zu Problemen. "In ganz vielen Situationen werden die Angehörigen gefragt, weil wir keinen erklärten Willen des Patienten haben", berichtet die Essener Internistin.

Beschäftigen mit der eigenen Sterblichkeit

Sie vergleicht beispielsweise die Situation, in der die Umfragen entstehen, mit Eisessen oder Einkaufen. "Da ist jeder guter Laune und findet Organspende gut. Aber was macht man, wenn es wirklich drauf ankommt?" Sie selbst habe sich deshalb gesagt: "Ich muss das für meine ganze Familie klären". Für die Erwachsenen sei es einfach gewesen, weil man darüber schon gesprochen hatte. "Aber wie ist es mit den Kindern? Allein darüber nachzudenken, ohne dass ich in der Situation der Trauer stecke, hat mich mindestens zwei Wochen lang beschäftigt." Am Ende entschieden sie und ihr Mann sich dafür, auch wenn sie natürlich hofft, dass dieser Fall nie eintritt.

Da geht es der Ärztin wie den meisten Menschen mit dem Thema Organspende. Es ist nicht angenehm, sich mit der eigenen Sterblichkeit oder der der Liebsten zu beschäftigen. Jeder und jede hat eigene Ängste. Wird wirklich vorher alles getan, um den potenziellen Spender zu retten? Muss der Leichnam nach der Organspende verbrannt werden? Kann ich meine Entscheidung später noch ändern? Viele Krankenkassen bieten eigene Informationsmaterialien zu dem Thema an. Auch Yildiz hat dazu schon unzählige Gespräche geführt und wird trotzdem nicht müde, sie auch weiterhin anzubieten.

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Für die Essener Transplantationsmedizinerin geht es dabei nicht in erster Linie darum, die ausschließliche Zustimmung von Menschen zur Organspende zu erreichen. Sie hat vielmehr die Bitte: "Entscheide dich! Egal, ob Ja oder Nein." Wem die eigene Selbstbestimmung über den Tod hinaus wichtig ist, der sollte nicht nur über Themen wie sein Auto oder seine Immobilie bestimmen, sondern auch über seinen Körper, davon ist die Ärztin überzeugt. Außerdem müssten sich die Angehörigen in der Ausnahmesituation der Trauer nicht auch noch stellvertretend damit befassen, ob sie einer Organspende zustimmen oder nicht.

Der Deutschen Stiftung Organtransplantation zufolge ermöglichte jeder der 913 Organspender in Deutschland 2020 im Durchschnitt mehr als drei Patienten eine Behandlung. Auch die Lungentransplantation Anfang des Jahres bei dem Essener Covid-Patienten verlief erfolgreich. Der Mann konnte sein Baby kennenlernen.

Quelle: ntv.de

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