An kaltes Klima angepasstPlötzlich gibt es sogar auf Island Stechmücken
Caroline Amme
Island war bisher einer von nur zwei stechmückenfreien Orten weltweit. Das hat sich jetzt geändert: Die kleinen Insekten sind dort zum ersten Mal entdeckt worden. Ist der Klimawandel schuld an ihrer Ausbreitung?
Auf Island war man bisher weitgehend sicher vor Mücken. Die Insel der Gletscher und Vulkane war bisher der einzige stechmückenfreie Ort auf der Welt, neben der Antarktis. Das kalte Klima hat dazu beigetragen.
Das ist jetzt vorbei. Auf Island sind zum ersten Mal Mücken der Art Culiseta annulata - Ringelmücken oder Große Hausmücken - in natürlicher Umgebung entdeckt worden. Drei Exemplare wurden Mitte Oktober in Kjós, 30 Kilometer nördlich der Hauptstadt Reykjavik gefunden.
Entdeckt hat sie Björn Hjaltason. Er hatte auf seinem Bauernhof einen Köder aufgehängt - eigentlich, um Nachtfalter anzulocken. "Mir war sofort klar, dass ich so etwas noch nie zuvor gesehen hatte", schrieb er nach seiner Entdeckung bei Facebook.
Ringelmücke stört Islands Kälte offenbar nicht
Das Isländische Institut für Naturkunde hat die Mücken anschließend untersucht. Es handelt sich um zwei Weibchen und ein Männchen.
Wegen ihrer weiß geringelten Beine wird die Ringelmücke häufig mit der Asiatischen Tigermücke verwechselt. Die Art ist in ganz Europa verbreitet. Sie hat sich an ein eher kaltes Klima angepasst. Den Winter überlebt sie als ausgewachsenes Tier an geschützten Orten - zum Beispiel in Kellern oder Scheunen. Alles deutet darauf hin, dass diese Mückenart kälteresistent ist und unter den rauen isländischen Bedingungen überleben kann, sagt das Naturkunde-Institut.
Anfang November sind noch weitere Mücken auf Island aufgetaucht: Sie wurden in einem Stall auf einem Bauernhof in Ölfus nachgewiesen, das liegt südlich von Reykjavik. Diesmal handelte es sich um Exemplare der Gattung Culex. Entdeckt wurden viel mehr Exemplare als im Oktober.
Auf Island und in den ebenfalls kalten Nachbarländern sind Mücken längst heimisch: Auf Grönland gibt es zwei Mückenarten, in Norwegen sogar 28. Dort überwintert die Puppe unter dem Eis und schlüpft im Frühling, sobald das Eis schmilzt.
Zuckmücken, Kriebelmücken und Gnitzen verbreitet
Komplett mückenfrei ist Island aber schon länger nicht mehr. Stechmücken gab es hier zwar bisher nicht - aber Mücken schon. Berühmt dafür ist der Mývatn-See - der Mückensee - im Norden der Insel. Im Sommer schweben dort Mückenschwärme in riesigen Wolken über dem Wasser. Weil sie wie Rauchschwaden aussehen, werde dort häufig die Feuerwehr gerufen, berichtet ein Reiseanbieter. Es handelt sich um Chironomidae - Zuckmücken - die, anders als Ringelmücken, nicht stechen.
Zudem leben Kriebelmücken auf der Insel - Simuliidae, isländisch Bitmý. Bei dieser kleinen Art stechen die Weibchen. Und seit zehn Jahren breiten sich Lúsmý auf Island aus. Das ist der isländische Name für Gnitzen - oder Culicoides reconditus. Sie plagen die Menschen mit schmerzhaften Bissen. Durch das wärmere Klima haben sich auf Island in den vergangenen Jahren verschiedene neue Arten angesiedelt, so das Isländische Institut für Naturkunde.
Auf Island gibt es etliche potenzielle Brutstätten für Mücken, wie Sümpfe und Teiche - der perfekte Lebensraum, denn sie mögen es feucht. Aber die unbeständigen Winter haben es Stechmücken bisher schwer gemacht, sich zu vermehren: Die Temperaturen können plötzlich ansteigen und es taut, dann wird's wieder kalt. Das stoppt ihren Lebenszyklus.
Hitzerekord im Mai
Allerdings wird es auf der Insel immer wärmer: Sie erwärmt sich viermal so schnell wie der Rest der Nordhalbkugel. Das war im Mai deutlich zu spüren. Auf dem isländischen Flughafen Egilsstadir seien am 15. Mai 26,6 Grad Celsius gemessen worden, die höchste Temperatur in einem Mai seit Beginn der Aufzeichnungen, teilte die Wissenschaftsvereinigung World Weather Attribution mit. Die Temperaturen lagen mehr als zehn Grad über den Durchschnittswerten. Weltweit war der Mai der zweitwärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.
Der Mai sei normalerweise kein warmer Monat auf Island, sagte der Metereologe Halldór Björnsson vom Staatlichen Wetterdienst im Deutschlandfunk. "Sehr selten steigt das Thermometer irgendwo über 20 Grad Celsius. Dieses Mal hatten wir zehn Tage hintereinander mit so hohen Temperaturen. 94 Prozent unserer Messstationen verzeichneten neue Hitzerekorde für den Mai und der für ganz Island wurde gleich dreimal gebrochen."
Mit dem Klimawandel breiten sich Mücken weltweit immer weiter aus. Es wird wärmer, die Sommer länger und die Winter milder. Durch steigende Temperaturen wachsen sie schneller und leben länger. Experten warnen aber davor, die Entdeckung der Mücken auf Island mit der globalen Erwärmung zu verknüpfen. Der Klimawandel allein erklärt das Phänomen nicht.
Stechmücken übertragen tödliche Krankheiten
Krankheitsübertragende Stechmücken sind weltweit auf dem Vormarsch. Durch die Ausbreitung in immer neue Gebiete steigt das Risiko für Infektionen, zeigt eine aktuelle Studie. Demnach sind 45 Arten in Regionen eingeschleppt worden, wo sie eigentlich nicht zu Hause waren. Davon haben sich 28 Arten erfolgreich angesiedelt. Sie reisen als blinde Passagiere mit, zum Beispiel als Larven in Wasserpflanzen.
"Stechmücken sind eine der wichtigsten krankheitsübertragenden Tierarten weltweit", erklärt Mitautor Franz Essl, Biodiversitätsforscher von der Universität Wien im ORF. Sie können durch ihre Stiche schwere und sogar tödliche Krankheiten übertragen. Weltweit sterben deshalb jedes Jahr über eine Million Menschen. Eingeschleppte Arten wie die Tigermücke übertragen Malaria, Zika, Chikungunya oder das Dengue-Fieber.
Die isländischen Ringelmücken stechen zwar auch, sind aber dort laut Naturkunde-Institut ungefährlich für den Menschen. Diese Mückenart übertrage keine bekannten Infektionen.
Mücken kamen übers Meer nach Island
Wie die neu aufgetauchten Mückenarten nach Island gekommen sind, ist noch nicht klar. Die Ringelmücken könnten per Schiff eingeschleppt worden sein, sagt der Gewässerökologe Gísli Már Gíslason von der Universität von Island bei France 24. Diese Insekten würden häufig mit Flugzeugen und Schiffen eingeschleppt. Es könne sich um einen Zufall handeln, "aber es könnte auch daran liegen, dass es wärmer geworden ist. Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum es jetzt viel schneller als früher zu einer Zunahme von Insekten kommt."
Schon vor einigen Jahren war eine einzelne Mücke in einem Flugzeug am Flughafen von Keflavik entdeckt worden, sie gehörte zur arktischen Art Aedes nigripes. Die hat sich in Island aber nicht angesiedelt.
Ob sich die beiden Mückenarten dauerhaft in Island angesiedelt haben, ist noch nicht klar. Erstmal müssen sie den isländischen Winter überstehen. Das wollen die Forscher im Frühjahr überprüfen.