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Ziele im russischen Hinterland Was könnten Tomahawk der Ukraine bringen?

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Lange Strecken in niedriger Flughöhe - das ist der taktische Vorteil von Marschflugkörpern wie Tomahawk.

Lange Strecken in niedriger Flughöhe - das ist der taktische Vorteil von Marschflugkörpern wie Tomahawk.

(Foto: picture-alliance / dpa)

Panzer, F-16 - und jetzt Tomahawks? Marschflugkörper mit hoher Reichweite wären eine neue Stufe in der westlichen Aufrüstung der Ukraine. US-Präsident Trump scheint das nicht mehr kategorisch abzulehnen. Doch welchen Unterschied könnte diese Waffe machen?

Nach den vorerst gescheiterten Bemühungen von US-Präsident Donald Trump, zwischen Angreifer Russland und der Ukraine zu vermitteln, setzt er offenbar wieder auf militärische Argumente: Zuletzt schloss Washington auch eine Lieferung von US-Marschflugkörpern des Typs Tomahawk an die Ukraine nicht aus, um damit Ziele in Russland zu treffen. Diese Marschflugkörper haben eine hohe Sprengkraft und eine Reichweite von etwa 1600 Kilometern. Doch was könnten sie aufseiten der Ukraine bewirken?

Das kann der Tomahawk-Marschflugkörper

Ein entscheidender Vorteil des Tomahawk-Marschflugkörpers ist seine hohe Reichweite. Die derzeit im Einsatz befindliche modernste Variante soll etwa 1600 Kilometer weit fliegen können - das ist deutlich weiter als die in der Ukraine bereits verwendeten westlichen Raketen und Marschflugkörper des Typs ATACMS (etwa 300 Kilometer) und Storm Shadow/Scalp (250 bis 300 Kilometer).

Frühere, nuklear bestückte Varianten des Tomahawk sollen eine Reichweite von bis zu 2500 Kilometern besessen haben. Diese Typen wurden jedoch mittlerweile abgerüstet und befinden sich offiziell nicht mehr im Arsenal der USA.

Tomahawks erzielen diese hohe Reichweite, weil der Marschflugkörper seinen Sprit sehr effizient einsetzt: Er arbeitet mit einem Jet-Triebwerk. Der für die Verbrennung notwendige Sauerstoff muss also nicht mitgeführt werden, sondern kommt aus der Luft, was Gewicht spart. Zudem sorgen kleine Flügel am Rumpf des Marschflugkörpers für Auftrieb beim Flug, was Energie spart.

Dieses Design verschafft ihm einen weiteren Vorteil: Der Tomahawk-Marschflugkörper kann mit der Geschwindigkeit eines Linienflugzeugs über lange Strecken sehr tief fliegen, teilweise weniger als 100 Meter über dem Boden. Auf diese Weise unterfliegt er gegnerisches Radar, weil er sich hinter Bergrücken und Anhebungen "versteckt". Das erschwert die Luftabwehr dieser Marschflugkörper.

Weiterer Vorteil: Ein Tomahawk kann etwa 450 Kilogramm Sprengstoff mit sich führen, ein Vielfaches mehr als die Langstrecken-Drohnen der Ukraine, mit denen sie etwa Raffinerien in Russland angreift. Mit dem Tomahawk hätte Kiew ein deutlich höheres Zerstörungspotenzial bei Zielen in Russland.

Es gibt zwar auch den ukrainischen Marschflugkörper Flamingo, der sogar bis zu einer Tonne Sprengstoff 3000 Kilometer weit tragen können soll. Doch unklar ist bislang, wie leistungsstark er tatsächlich ist, da es bisher kaum Einsätze gab. Auch soll die Massenproduktion des Flamingo erst zum Jahreswechsel starten.

Das könnte die Ukraine mit Tomahawks bewirken

Der Einsatz von Tomahawks würde die Schlagkraft der Ukraine im russischen Kernland nach Ansicht von Experten erheblich steigern. Laut einer Analyse des Institute for the Study of War (ISW) würde der Marschflugkörper es der Ukraine ermöglichen, wichtige militärische Einrichtungen in Russland erheblich zu beschädigen, wenn nicht sogar zu zerstören.

Dazu gehörten etwa die Drohnenfabrik in der russischen Stadt Jelabuga in der Republik Tatarstan, wo die gefürchteten Geran-2-Drohnen hergestellt werden, die auf der iranischen Kamikazedrohne Shahed basieren. Seit Monaten überzieht Russland die Ukraine mit verheerenden Massenangriffen mit diesen Langstreckendrohnen. Auch der russische Luftwaffenstützpunkt Engels-2 im Gebiet Saratow könnte ins Visier der Tomahawks geraten - von dort aus startet Russland regelmäßig strategische Bomber, die ihrerseits Marschflugkörper auf die Ukraine abfeuern.

Das ISW schätzt, dass sich mindestens 1655 russische Militärobjekte in der Reichweite der 1600-Kilometer-Variante des modernen Tomahawks befinden. Bei einer Reichweite von 2500 Kilometern wären es sogar 1945 militärische Ziele. "Die Ukraine kann die Leistungsfähigkeit Russlands an der Front wahrscheinlich erheblich beeinträchtigen", urteilen die ISW-Autoren. Kiew könnte mit Tomahawks hintere Versorgungsgebiete ins Visier nehmen, von wo aus die Frontoperationen Russlands aufrechterhalten und unterstützt werden.

Welche Herausforderungen gibt es beim Tomahawk-Einsatz?

Gleichzeitig bringt eine Lieferung von Tomahawks von den USA an die Ukraine, so es dazu kommt, auch einige Einschränkungen und Herausforderungen mit sich:

  • Geringe Stückzahl: Eine große Frage ist, wie viele Tomahawks die USA der Ukraine überhaupt zur Verfügung stellen könnten. Laut einem Bericht der "Financial Times" ist derzeit von lediglich 20 bis 50 Stück die Rede. Offen bleibt, ob das ausreichen würde, um einen Unterschied auf dem Schlachtfeld zu machen.
  • Abschussrampen: Die Tomahawk-Marschflugkörper werden bei den US-Streitkräften in der Regel von Kriegsschiffen und U‑Booten aus gestartet. Da die Ukraine über keine Nato-Schiffe oder -U-Boote verfügt, wäre sie auf landgestützte Systeme angewiesen. Mittlerweile existiert mit dem Typhon-System eine landgestützte Abschussrampe, laut Berichten wohl aber nur in geringer Stückzahl.
  • Russische Luftabwehr: Russland verfügt über eine mehrschichtige Luftabwehr und mit den S-400 und S-500 Luftabwehrraketen mit die modernsten der Welt. Auf mittlerer und naher Distanz gibt es die Systeme wie Buk, Tor und Pantsir, welche hochwertige Ziele wie Militärflughäfen und Drohnenfabriken schützen können.
  • Eskalationsgefahr: Sollte die Ukraine tatsächlich Tomahawk-Marschflugkörper auf Ziele in Russland abfeuern, könnte sich Moskau zu einer entsprechenden Antwort genötigt sehen, was eine Eskalationsspirale in Gang setzen könnte. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hatte als Reaktion auf die Tomahawk-Debatte vor einem "wahrhaft dramatischen Moment der steigenden Spannungen auf allen Seiten" gewarnt. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin hatte unlängst erklärt, die Lieferung von Tomahawk-Marschflugkörpern an Kiew würde "eine komplett neue Stufe der Eskalation" bedeuten.

Quelle: ntv.de

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