"Dreaming Of A White Christmas"Weiße Weihnacht ist wirklich nur ein Traum

Früher war ja angeblich alles besser, selbst das Feiertagswetter. Als Kind konnte man sich auf Schnee zu Weihnachten schließlich verlassen, stimmts? Falsch, sagen Wissenschaftler. Nassgraues Schmuddelwetter zum Fest sei typisch - schon seit Jahrhunderten.
Leise rieselt der Schnee … Ob das an den Feiertagen wirklich so sein wird, interessiert oft schon lange vor dem vierten Advent. Lichtgeschmückte Häuser im Winterwunderland, drinnen eine heimelige Wärme, gutgelaunte Menschen und dann noch schöne Geschenke unterm Tannenbaum – das ideale Fest. Mit der Wirklichkeit allerdings hat diese Vorstellung meist nichts zu tun, da scheitert es schon am Schnee: In vielen Regionen Deutschlands gebe es höchstens alle fünf bis zehn Jahre mal weiße Weihnachten, sagt Diplom-Meteorologe Andreas Friedrich vom Deutschen Wetter-Dienst (DWD) in Offenbach. Häufig setze sogar gerade um Weihnachten herum Tauwetter ein.
Von weißer Weihnacht sprechen die Experten dann, wenn an allen drei Festtagen morgens um 7 Uhr eine Schneedecke von mindestens einem Zentimeter liegt. Ob die frisch ist oder schon Tage alt, spielt keine Rolle. Analysiert man nach diesen Kriterien die Daten aller DWD-Wetterstationen aus den letzten 50 Jahren, zeigt sich: Nur auf der Zugspitze gibt es immer weiße Weihnachten. "Auf Helgoland können die Menschen das im Mittel nur alle 50 Jahre erwarten", so Friedrich.
Mehr Schnee im Süden und Osten
Auch das Rheintal ist an den Feiertagen eher grün, dort liegt die Weiße-Weihnacht-Wahrscheinlichkeit bei gerade einmal 10 Prozent. "Im Osten und Süden ist die Wahrscheinlichkeit höher als im Westen und Norden, in den Bergen höher als im Flachland", erklärt Friedrich. "Mit jedem Höhenmeter steigt die Chance." Ein wichtiger Einflussfaktor sei auch die Entfernung zum Atlantik und zur Nordsee. "Je weiter weg, desto mehr sind die von dort kommenden wärmeren Luftmassen schon abgekühlt."
In Städten wie Düsseldorf und Frankfurt liegt nach den DWD-Daten im Mittel nur alle zehn Jahre mal Schnee an den Feiertagen - in Berlin doppelt und in München viermal so oft. Die aktuelle Prognose für die drei Monate bis Februar sage einen um ein halbes bis ein Grad wärmeren Winter als im vieljährigen Mittel voraus, so Friedrich. Auf das Wetter konkret an den Feiertagen lasse sich daraus allerdings nicht schließen.
Das Rezept für weiße Weihnachten erahnt jeder: "Schnee muss schon gefallen sein oder fallen, die Temperaturen müssen unter dem Gefrierpunkt liegen und der Boden muss gefroren sein", sagt Friedrich. Seltsamerweise aber scheint diese Anleitung gerade zu Weihnachten verloren zu gehen. Um den 24. Dezember herum gibt es laut Friedrich etwas häufiger milde Temperaturen, sodass der Schnee wegtaut oder gar nicht erst liegenbleibt. "Warum das ausgerechnet an Weihnachten passiert? Man weiß es nicht."
Früher ... Das war im 18. Jahrhundert
Doch wenn weiße Weihnachten so selten sind, warum ist die Vorstellung davon so stark in unseren Köpfen verankert? Fest steht: Früher war tatsächlich mehr Schnee – allerdings ist das schon länger her als unsere Kindheit. "Im Zuge der Kleinen Eiszeit dürften weiße Weihnachten im 17. und 18. Jahrhundert weitaus häufiger gewesen sein", sagt Joachim Curtius vom Institut für Atmosphäre und Umwelt der Universität Frankfurt. Davon zeugten unter anderem Gemälde jener Zeit.
Eine Erklärung für die heutige Verklärung sei das aber kaum, dafür reiche das gesellschaftliche Gedächtnis nicht weit genug. Und wenn Oma und Opa von den weißen Wintern ihrer Kindheit schwärmen, werden sie von einer verzerrten Erinnerung genarrt. "In den letzten 200 Jahren sind die Winter immer ungefähr so gewesen wie jetzt." Curtius vermutet eher psychologische Effekte. "Man wünscht sich einen Winter, in dem Kinder den geschenkten Schlitten ausprobieren können, so wie man sich Freibadwetter im Sommer wünscht."
Die Schweizer Klimaforscherin Martine Rebetez sieht einen Zusammenhang zur europäischen Folklore im späteren 19. Jahrhunderts. Die womöglich erste Weihnachtskarte, gedruckt 1843 in London, zeigt demnach keinen Schnee, sondern ein zeitloses Motiv mit eher herbstlichen Motiven wie Weintrauben. Auf einer anderen Karte von 1845 klettert der Weihnachtsmann über schneefreie Dächer. Einige Jahre später hingegen gehören große Mengen Schnee dazu - auf Karten ebenso wie in Büchern, schreibt Rebetez in einer Analyse.
Nieselregen eignet sich nicht für Werbung
Einfluss hatte demnach auch die neue Gewohnheit, sich im Winter in die tief verschneiten Berge zu begeben. Als weiteren Faktor führt die Wissenschaftlerin deutsch- und englischstämmige Auswanderer an, die ihren Lieben in Europa Weihnachtskarten mit Motiven aus schneereichen Regionen Amerikas schickten. Diese Mode habe rasch um sich gegriffen.
"Befeuert wird diese Idealvorstellung durch die Werbung", erklärt Curtius. Anzeigen, Bilder und Werbefilme zeigten quasi ausschließlich heile weiße Weihnachtswelten. "Das ist bestimmt ein wesentlicher Faktor für die Verschiebung der Wahrnehmung dahin, dass weiße Weihnachten der Normalfall sind", sagt der Frankfurter Wissenschaftler. "Für den Absatz von Winterprodukten wäre es wohl auch nicht förderlich, würden Werber den für Weihnachten typischeren Nieselregen zeigen."
Vom Mythos zur Wahrheit werden weiße Weihnachten auch künftig nicht. Ganz im Gegenteil ist wohl eher noch mehr Illusion vonnöten. "Bisher lässt sich aus der Statistik zwar noch nicht sicher ableiten, dass es weniger weiße Weihnachten gibt", sagt Curtius. "Die Simulationen für den Klimawandel lassen aber klar einen Trend zu milderen Wintern erwarten." In 50 bis 100 Jahren könnte vielleicht ein ganz anderes Feiertagswetter typisch sein: stürmische Weihnacht, zum Beispiel.