Staudämme gegen die Flut "Wir empfehlen, die Nordsee einzuschließen"
01.03.2020, 21:38 Uhr
Der Saemangeum-Damm an der südkoreanischen Küste ist mit 33 Kilometern die längste Deichanlage der Welt.
(Foto: picture alliance / dpa)
Noch ist der Anstieg des Meeresspiegels nicht spürbar, doch beim Blick auf Zukunftsprognosen wird deutlich: Da rauscht eine gewaltige Flut auf uns zu. Für den Notfall sollten wir uns auf das aufwendigste Bauprojekt der Welt einstellen: zwei Staudämme, um die Nordsee vom Atlantischen Ozean zu trennen. "Der Plan ist verrückt, aber wir wollen eine Diskussion anstoßen", sagt Joakim Kjellsson vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, im Interview mit ntv.de.
ntv.de: Sie und Ihr niederländischer Kollege Sjoerd Groeskamp haben einen Plan entworfen, wie man die Küstenregionen Nordeuropas vor Überflutung schützen könnte. Wie sieht der Plan aus?
Joakim Kjellsson: Wir empfehlen für diesen Fall, die Nordsee einzuschließen. In diesem Szenario bräuchte man zwei Staudämme. Wir haben einige Berechnungen und Computersimulationen durchgeführt und dabei herausgefunden, dass die optimale Lösung wahrscheinlich ein Staudamm wäre, der den Ärmelkanal so weit wie möglich im Westen durchquert, also zwischen Plymouth in Südengland und Brest in Nordfrankreich. Und dann würde der zweite Damm von der Nordspitze Schottlands nach Norwegen führen, also von Aberdeen nach Bergen.
Wie lang und groß wären die beiden Staudämme in diesem Fall?
Wir reden insgesamt über mehr als 600 Kilometer. Der erste Staudamm zwischen England und Frankreich wäre etwa 150 bis 160 Kilometer lang. Der zweite zwischen Schottland und Norwegen wäre natürlich deutlich länger, da reden wir über fast 500 Kilometer. In der Nähe der norwegischen Küste wäre der Bau auch am kompliziertesten, weil die Nordsee dort über 300 Meter tief ist. Es wäre also nicht nur der mit Abstand längste Staudamm, sondern auch der tiefste auf der Welt. Wir bräuchten eine riesige Menge an Baumaterialien.
Wie groß ist denn das Problem des steigenden Meeresspiegels?
Momentan steigt der Meeresspiegel nur um ein paar Millimeter pro Jahr. Ich weiß, das klingt nicht nach viel, das ist ja nicht mal die Länge eines Fingernagels. Aber man muss bedenken, dass sich der Anstieg Jahr für Jahr beschleunigt. Das könnte für künftige Generation schlimme Folgen haben. Manche Berechnungen gehen davon aus, dass der Meeresspiegel bis Ende des Jahrhunderts schon um bis zu einen Meter ansteigen könnte. Und wenn wir nichts gegen den Klimawandel tun, die CO2-Emissionen nicht reduzieren und es nicht schaffen, die Erderwärmung zu stoppen, könnten wir im Jahr 2500 bereits einen fünf bis zehn Meter höheren Meeresspiegel haben.
Wie viele Menschen würde ein derart stark steigender Meeresspiegel betreffen? Welche Länder sind gefährdet?
Wir gehen von 25 bis 30 Millionen aus. Vor allem die Niederlande haben mit dem Problem zu kämpfen. Aber auch Deutschland ist teils in der gefährlichen Zone, genauso wie Dänemark, mein Heimatland Schweden und die weiteren nordeuropäischen Länder. Zwar wächst das Land in Teilen Skandinaviens seit der letzten Eiszeit noch immer um einige Millimeter pro Jahr. Aber irgendwann wird der Meeresspiegel wahrscheinlich schneller steigen als das Land. Es ist also ein Problem, das auch Skandinavien einholen wird.
Was würde solch ein gigantisches Staudamm-Projekt kosten?
Wir haben uns zwei der größten Dämme der Welt angesehen. Einer in den Niederlanden und einer in Südkorea. Und wenn Sie einfach davon ausgehen, dass ein vielfach größerer Damm genauso viel teurer wäre, dann kommen wir auf Kosten von 250 bis 550 Milliarden Euro. Es gibt aber noch viele Unwägbarkeiten hinsichtlich der Kosten, weil zum Beispiel noch niemand bis zu so einer Tiefe gebaut hat.
Welche Folgen hätte das Projekt für die Schifffahrtsindustrie?
Man könnte natürlich eine Art Schleusentor haben, um eine Schifffahrtsindustrie zu unterhalten, in der Schiffe etwa aus Hamburg kommend aus der Nordsee raus in die Welt fahren. Eine Alternative könnte aber sein, dass man den größten Teil der Schifffahrt direkt zu den Dämmen verlagert. Und dann könnte man oben auf den Dämmen Straßen, Züge oder andere Transportsysteme installieren. Aber das ist eine Menge Spekulation.
Gibt es denn keine unkomplizierteren Alternativen zu Ihrem Vorschlag?
Eine Lösung wäre, die Küstenbewohner umzusiedeln, was für die Menschen und auch für die Wirtschaft aber natürlich nicht schön wäre. Die andere Alternative wäre es, dass jede betroffene Nation ihren eigenen Staudamm entlang der Küste baut. Oder aber man baut zwei massive Staudämme im Meer, um so alle betroffenen Länder auf einmal zu schützen. Wir kommen in unserer Arbeit zum Ergebnis, dass das im Vergleich zu nationalen Maßnahmen oder zur Migration von Menschen tatsächlich die beste Lösung wäre.
Glauben Sie denn wirklich, dass sich Ihr Vorschlag durchsetzen ließe?
Wir hoffen, dass durch diesen Lösungsvorschlag, der zugegebenermaßen sehr dramatisch und sehr verrückt klingt, eine Diskussion darüber beginnt, welche extremen Lösungen wir tatsächlich anwenden müssen, wenn wir nicht früh genug auf den Klimawandel reagieren. Die eindeutig beste Lösung besteht darin, unsere CO2-Emissionen so schnell wie möglich zu senken, die Erderwärmung und den Anstieg des Meeresspiegels zu stoppen, bevor wir diese Art extremer Lösungen ernsthaft in Betracht ziehen müssen.
Mit Joakim Kjellsson sprach Kevin Schulte
Quelle: ntv.de