Pandemie vorbei, Virus bleibt Wird Corona im Herbst wieder zum Problem?


Getestet wird in Deutschland nur noch sporadisch - Experten gehen daher von einer hohen Dunkelziffer aus.
(Foto: picture alliance / Ulrich Baumgarten)
Eigentlich war Corona so gut wie vergessen. Doch seit einigen Wochen steigen die Infektionszahlen wieder. Die kalte Jahreszeit könnte dem Virus weiter Auftrieb verleihen. Doch wie schlimm wird die Situation tatsächlich? Expertinnen und Experten geben Antworten.
Mit dem Herbst kommt auch das Coronavirus zurück. Aktuell sorgt die Omikron-Sublinie Eris (EG.5) für steigende Fallzahlen, wie das Robert-Koch-Institut (RKI) in seinem Wochenbericht zu akuten respiratorischen Erkrankungen (AREs) schreibt. Insgesamt seien die Inzidenzwerte aber noch niedrig. In Stichproben war das Coronavirus für 16 Prozent der AREs verantwortlich. In den kommenden Wochen könnten das jedoch deutlich mehr werden, warnen Expertinnen und Experten.
"Ich gehe davon aus, dass im Herbst und Winter sehr viele Menschen eine Corona-Infektion durchmachen werden", sagt Virologin Sandra Ciesek vom Universitätsklinikum Frankfurt auf einer Pressekonferenz. Es sei ein "Nervfaktor" für alle, wenn die Erkältungszeit komme - ähnlich wie im Vorjahr. Die meisten Betroffenen fielen schließlich eine Woche aus. Solange die Omikron-Variante zirkuliere, wird die Situation laut der Expertin aber entspannt bleiben. Die Gefahr, dass noch einmal staatliche Maßnahmen verhängt würden, sieht sie nicht.
Sorge vor Engpässen in Kliniken
Für Krankenhäuser sei die anstehende Corona-Welle jedoch deutlich kritischer zu bewerten, mahnt Leif Sander von der Uniklinik Charité in Berlin. Saisonale Anstiege von Infektionskrankheiten könnten in Kombination mit Personalmangel wie im Vorjahr relativ schnell an Belastungsgrenzen führen. "Es kann tatsächlich Versorgungsprobleme geben", sagt der Immunologe. Das bedeute, dass Menschen, die in die Notaufnahme gehen, nicht behandelt werden könnten oder in weit entfernte Kliniken fahren müssten.
Als größtes Problem der Intensivstationen bezeichnet Stefan Kluge vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) den schon länger bestehenden Personalmangel in Deutschland, insbesondere in der Pflege. 25 Prozent der verfügbaren Intensivbetten könnten deshalb nicht genutzt werden. Zurzeit herrsche aber noch keine Not, so Kluge. Von den gut 180 Corona-Patienten auf Intensivstationen sei ein großer Teil eigentlich wegen anderer medizinischer Probleme in Behandlung.
Booster für Risikogruppen
Wann der Peak der Corona-Welle erreicht wird, können die Expertinnen und Experten nicht vorhersagen. Noch folge das Coronavirus keiner strengen Saisonalität, sagt Ciesek. Dazu verändere sich Sars-CoV-2 zu schnell im Vergleich zu endemischen Viren. "Es gibt allerdings ein Muster: Der Sommer ist vorbei, die Zahlen steigen."
Sander rief die Gruppen, die unter die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) fallen, dazu auf, sich im Herbst eine Auffrischimpfung mit dem neuen angepassten Sars-CoV-2-Impfstoff verabreichen zu lassen. Dazu zählen unter anderem Menschen ab 60, die nicht erst kürzlich mit Corona infiziert waren. Die Grippeschutzimpfung könne man sich gleichzeitig abholen.
Immer wieder aufkommende Behauptungen, dass wiederholte Impfungen zu einer Art Gewöhnungseffekt führen könnten, entkräftet der Immunologe. "Es gibt keine Evidenz dafür, dass Menschen nach Mehrfachimpfungen schlechter geschützt wären." Im Gegenteil: Daten zeigten, dass nach jeder Impfkampagne weniger Infizierte ins Krankenhaus mussten und weniger Menschen an dem Virus gestorben sind. Auch in den klinischen Studien zum angepassten Impfstoff gebe es keine Hinweise zu einer verminderten Wirksamkeit bei schweren Erkrankungen.
"Die Viren sind noch da"
Bei gesunden jungen Menschen müsse man dagegen individuell abwägen, ob eine weitere Impfung sinnvoll ist, so Sander. In aufwendigen Studien habe man nachweisen können, dass die langfristige Immunantwort der T-Zellen sehr robust sei. "Wenn das Immunsystem ausreichend geprägt wird, kann es über Jahre und Jahrzehnte ein gutes Gedächtnis ausbilden." Bei älteren Menschen falle diese T-Zellen-Antwort etwas schwächer aus. Wiederholte Impfungen könnten sie dann wieder auf ein höheres Niveau bringen, sagt der Experte. Und: "Wenn Risiko besteht, haben Impfungen immer einen Nutzen nachgewiesen."
"Impfungen schützen elementar vor schweren Erkrankungen", bekräftigt auch Kluge. Gleichzeitig sei es wichtig, sich erst gar nicht anzustecken. Er appelliert daher, bei Krankheitssymptomen zu Hause zu bleiben. Zudem könne man sich mit einer FFP2-Maske sehr gut vor einer Ansteckung schützen, sagt Ciesek - zum Beispiel, wenn man vor einer Transplantation oder vor einer geplanten Reise nicht krank werden wolle. "Wir sind aus der Pandemie raus, aber die Viren sind noch da", bilanziert Sander.
Quelle: ntv.de, mit dpa