Studie zeigt bedingte Wirkung "Zauberpilz" könnte schwere Depression lindern
05.11.2022, 16:09 Uhr
Psilocybin ist der wichtigste psychoaktive Wirkstoff der "Zauberpilze". Spielt er künftig eine Rolle bei der Behandlung von mentalen Erkrankungen?
(Foto: picture alliance / Zoonar)
Halluzinogene sind bisher eher als Rauschmittel bekannt. Forscher sehen das Psychedelikum aus "Zauberpilzen" allerdings auch als große Chance zur Behandlung von schweren Depressionen. Eine neue Studie gibt Erkrankten zwar Grund zur Hoffnung, verspricht aber keine Wunderheilung.
Die einmalige Dosis des in "Zauberpilzen" (magic mushrooms) enthaltenen Wirkstoffs Psilocybin kann die Symptome einer schweren Depression lindern. Zu diesem Ergebnis kommt eine im Fachjournal "New England Journal of Medicine" veröffentlichte Studie des britischen Gesundheitsunternehmens Compass Pathways. Es ist die erste großangelegte Studie in diesem Bereich - und das, obwohl Psychedelika seit einigen Jahren als Hoffnungsträger bei der Behandlung von mentalen Erkrankungen gelten.
Psilocybin ist der wichtigste psychoaktive Wirkstoff der Zauberpilze. Das Halluzinogen kann wegen seiner bewusstseinsverändernden Wirkung Psychosen, sogenannte Horrortrips, auslösen - für Kritiker ist dies das größte Risiko beim Einsatz in der Psychotherapie. Viele Forscher sehen den Wirkstoff trotzdem als große Chance für Erkrankte mit schweren Depressionen. Denn bei vielen schlagen die bisher gängigen Behandlungen mit Antidepressiva und Psychotherapie nicht an.
An diese Patienten der behandlungsresistenten Form der Depression richtete sich die Phase-II-Studie des Teams um Guy Goodwin, den medizinischen Direktor von Compass Pathway. Alle 233 Patienten aus 22 Kliniken in Nordamerika und Europa haben mindestens zwei erfolglose Therapien mit Antidepressiva hinter sich. "Menschen mit dieser Erkrankung haben ein hohes Risiko für körperliche Erkrankungen, Behinderungen, Krankenhausaufenthalte und Suizid", heißt es in der Studie. Das Ziel der Untersuchung war es, die Sicherheit verschiedener Dosierungen von Psilocybin in der Version von Compass Pathways zu testen.
Beste Wirkung in der Hochdosisgruppe
Die Probanden nahmen einmalig eine Dosis des Psychedelikums ein. Dabei wussten sie nicht, welche Dosierung sie bekamen - 1 Milligramm, 10 Milligramm oder 25 Milligramm. Vor der Einnahme mussten alle Teilnehmer ihre Antidepressiva absetzen. Während die psychedelische Wirkung anhielt, was mindestens sechs Stunden dauerte, wurden sie psychologisch betreut und im Anschluss über zwölf Wochen hinweg beobachtet.
Nach drei Wochen zeigte sich in der Hochdosisgruppe eine deutliche Linderung der Depression im Vergleich zu den beiden anderen Gruppen, heißt es in der Studie. So ließen bei 29 Prozent der Patienten, die 25 Milligramm des Wirkstoffs bekamen, die Symptome deutlich nach. In der 10-Milligramm-Gruppe war nur bei 9 Prozent und in der 1-Milligramm-Gruppe nur bei 8 Prozent eine Verbesserung zu beobachten. Der Wirkstoff ziele auf Teile des Gehirns, die eng mit der Verarbeitung von Emotionen verbunden sind, erklärt der an der Studie beteiligte Psychiater James Rucker bei CNN.
Auf einen wichtigen Unterschied zu bisherigen Therapien weist Anthony Cleare, Professor für Psychopharmakologie und affektive Störungen am King's College in London, hin. "Die maximale Wirkung wurde am Tag nach der Behandlung beobachtet. Dies steht im Gegensatz zu Standard-Antidepressiva, bei denen es mehrere Wochen dauert, bis die maximale Wirkung erreicht wird", schreibt er als Unbeteiligter in einer Stellungnahme für das Science Media Center. Der Experte mahnt jedoch zur Vorsicht: Bevor Psilocybin zur Behandlung von Depressionen eingesetzt werden kann, müssen weitere Untersuchungen stattfinden. Denn "die Wirkung ließ nach drei Monaten nach und wir müssen wissen, wie wir am besten verhindern, dass die Depression zurückkehrt".
Leichte Nebenwirkungen bei vielen Probanden
Tatsächlich berichteten nur 20 Prozent der Hochdosis-Gruppe von einem langanhaltenden Effekt, in der 1-Milligramm-Gruppe waren es nur zehn Prozent. Außerdem wurden rund ein Drittel aller Probanden, die 25 Milligramm des Wirkstoffs erhielten, ab der dritten Woche zusätzlich gegen Depression behandelt.
Auch berichtet die Studie bei 179 von 233 Teilnehmern über Nebenwirkungen. Neben Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindel kam es in allen Gruppen vereinzelt zu Selbstmordgedanken, Selbstverletzungen oder suizidalem Verhalten. Diese Verhaltensweisen sind "in Studien über behandlungsresistente Depressionen üblich - die meisten Fälle traten mehr als eine Woche nach der Comp360-Psilocybin-Sitzung auf", schreibt das Unternehmen auf seiner Website.
Die Psychobiologin Bertha Madras, die das Labor für Suchtneurobiologie am McLean Hospital der Harvard Medical School leitet, hält die Studie in einem Artikel für "sowohl verblüffend als auch ernüchternd". So habe die hohe Dosis zwar zu einer Linderung der Symptome geführt, allerdings konnte die Studie die hohe Wirksamkeit aus vorangegangenen, kleineren Studien nicht bestätigen.
Die Autoren der Untersuchung halten weitere Studien für notwendig, "um die Wirksamkeit und Sicherheit von Psilocybin" zur Behandlung von Depressionen zu bestimmen. Die Firma Compass Pathways kündigte trotz der ernüchternden Ergebnisse eine Phase-III-Zulassungsstudie für ihren Wirkstoff an.
Quelle: ntv.de, spl