
Turbulente Abenteuer sind mit ihm garantiert: das Marsupilami.
Auch Hitler bekommt eine Kopfnuss verpasst: Das Marsupilami macht in "Das Humboldt-Tier" das Berlin des Jahres 1931 unsicher. Nach seinem "Spirou"-Band zeichnet Flix diesmal einen tierischen Superhelden - und unterhält dabei jedes Alter.
Von den tierischen Klassikern des franko-belgischen Comics ist das Marsupilami fraglos das seltsamste. Klar, es gibt Struppi, Idefix und Jolly Jumper, die ihre Begleiter Tim, Obelix und Lucky Luke immer wieder aus der Patsche helfen müssen. Das Marsupilami jedoch lässt sich von keinem Menschen etwas sagen. Nicht mal von Spirou oder Fantasio, in deren Abenteuern das Tier zuerst auftauchte - vor 70 Jahren, im Januar 1952.

Mimmi lernt das Marsupilami kennen - und das Chaos hält Einzug.
(Foto: Flix/Dupuis/Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2022)
Seitdem kämpft das Marsupilami - von seinen Fans kurz Marsu genannt - mal allein, mal an der Seite von Spirou gegen Ganoven und Bösewichte. Und die Leserinnen und Leser lernen so einiges über das gelbe Fantasietier mit den schwarzen Punkten: dass es aus Palumbien in Südamerika stammt, Früchte frisst, aber sehr gern auch Piranhas, dass es Eier legt, einen begrenzten Wortschatz hat ("Huba! Huba!") und über einen Schwanz verfügt, der bis zu acht Meter lang sein kann. Und mit diesem Schwanz schwingt es sich nicht nur durch den Urwald und hilft Menschen in Not, sondern schlägt gern auch mal seine Feinde k.o.
"Das Marsupilami ist ein Superheld mit vielen Fähigkeiten", bringt es Flix auf den Punkt. Der preisgekrönte Zeichner, bürgerlich Felix Görmann, kennt sich aus im Spirou-Universum. Als erster Deutscher hat er 2018 seine Version des Comic-Klassikers vorgelegt, in "Spirou in Berlin". Nun folgt sein erster Marsupilami-Band, "Das Humboldt-Tier", erschienen bei Carlsen. Flix tritt damit in die Fußstapfen eines der größten franko-belgischen Comiczeichner: André Franquin. Der hat das Marsupilami erfunden und immer wieder in seinen Spirou-Alben untergebracht, später gab es von Bartem gezeichnete Solo-Abenteuer, in mittlerweile gut drei Dutzend Bänden.

Der Band bietet Flix die Möglichkeit, einen Streifzug durch Berlin zu unternehmen - inklusive Sehenswürdigkeiten.
(Foto: Flix/Dupuis/Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2022)
Seinen Nachfolgern hinterließ Franquin aber keine leichte Aufgabe: "Es ist einfach unfassbar viel Arbeit, das Marsupilami zu zeichnen, es ist eine zeichnerische Herausforderung", sagt Flix in Anspielung auf den langen Schwanz des Tiers. Gleichzeitig gebe es dadurch aber unendlich viele Darstellungsmöglichkeiten. "Das wiederum ist toll. Da muss man halt die extra acht Meter gehen", sagt er mit einem Lachen.
Im Großstadt-Dschungel
Flix ist den Extraweg gegangen - und legt ein Album vor, dessen Stärke in den unterschiedlichen Ebenen liegt, mit denen das Abenteuer gelesen werden kann. Es beginnt im Dezember 1801, in den abgelegenen Gegenden Südamerikas. Alexander von Humboldt und sein Begleiter Aimé Bonpland sind gerade auf großer Expedition, als sie dem Marsupilami begegnen. Nach einer Jagd durch den Urwald gelingt es ihnen, das Tier samt Eiern einzufangen und in einer Kiste verpackt nach Hause mitzunehmen.
Zeitsprung, Berlin im Jahr 1931: Die kleine Mimmi darf im Naturkundemuseum Otto zur Hand gehen, einem Bekannten ihrer Mutter. Der arbeitet im Archiv und stopft Tiere aus. Beim Herumtollen findet Mimmi eine Kiste, die Humboldt einst aus Amerika mitbrachte, die aber 130 Jahre unentdeckt geblieben ist. Darin, keine Überraschung: das Marsupilami, das dank einer ebenfalls mitgereisten Mumie die Zeit unbeschadet überdauert hat. Eine wilde Jagd beginnt, denn das Marsupilami will nicht nur seine drei Eier mit dem Nachwuchs wiederfinden, sondern auch wieder nach Hause, in seinen Dschungel.
Vorerst aber gilt es, den Großstadt-Dschungel zu bezwingen. Der Platz ist dafür geschickt gewählt: Berlin war zu Beginn der 1930er-Jahre eine der am dichtesten besiedelten Metropolen der Welt. "Ich wollte das Marsupilami in eine moderne Welt versetzen, in der es schwierig ist, sich zurechtzufinden", erklärt Flix das Konzept. Dafür nahm er auch den Zeitsprung in Kauf, der die actionreiche, zwölfseitige Vorgeschichte um Humboldt beendet und bei der Lektüre etwas abrupt daherkommt - man wäre doch sehr gern weiter den Spuren des großen Forschers gefolgt.

Das Marsupilami wischt auch Nationalsozialisten gern mal eins aus.
(Foto: Flix/Dupuis/Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2022)
Andererseits: Humboldt wäre nur ein weiterer Mann im Spirou-Universum gewesen. Und das wollte Flix vermeiden, wie schon in seinem Spirou-Band, wo er dem Titelhelden die junge Frau Momo zur Seite stellt. "Wenn man sich klassische Comicserien anschaut, die in der Ära Franquin entstanden, sind die Hauptfiguren in der Regel Männer. Es wird Zeit, das aufzubrechen." Zwar habe er bei der Konzeption des Bandes auch über einen Jungen als Hauptfigur nachgedacht. "Aber dann habe ich gemerkt: Das braucht man nicht, genauso wenig wie das klassische Setting Vater, Mutter, Kind." Stattdessen lebt Mimmi allein mit ihrer Mutter - was die Nachbarn abschätzig kommentieren.
Von Slapstick bis zu politischen Witzen
Hier kommen auch die verschiedenen Ebenen ins Spiel, mit denen Flix geschickt spielt. "Ich habe festgestellt, dass das Marsupilami in allen Altersgruppen funktioniert", sagt der Zeichner. "Die Erstleser können etwas damit anfangen, die etwas älteren auf einer anderen Ebene aber auch. Und auch die noch älteren, die früher 'Fix und Foxi' gelesen haben, werden angesprochen." Er habe eine Geschichte zeichnen wollen, die allen etwas bietet.
Für junge Leserinnen und Leser geht es in dem Band um die wilde Jagd durch Berlin, auf der Suche nach den Eiern des Marsupilami. Es gibt einfache Wortspiele und viele lustige Slapstick-Momente, die auch Nicht-Leser verstehen. Je älter das Publikum jedoch wird, desto mehr Details wird es entdecken: die ungewöhnliche Familienkonstellation, die feindliche Umgebung, der Mimmi und ihre Mutter ausgesetzt sind, prekäre Lebensverhältnisse, die an die Werke Hans Falladas erinnern, auch politische Witze und Nationalsozialisten, die 1931 zum Straßenbild gehören - und die vom Marsupilami eins auf die Mütze kriegen.
Schließlich bemerken aufmerksame Leser*innen auch, dass Mimmi Jüdin ist, was Flix nur durch kleinste Anspielungen offenbart, aber der Geschichte angesichts der kommenden Ereignisse noch einmal eine ganz andere, dramatische Wirkung verleiht. "Es ist keine gute Zeit und man merkt, dass die Gesellschaft am Kippen ist", sagt Flix. Er sieht darin auch eine Parallele zur Gegenwart: "Ich möchte in der Geschichte darauf hinweisen, dass etwas Fremdes auch eine Bereicherung sein kann, das das Leben schöner und die Menschen, die sich damit beschäftigen, stärker macht." Diese Stärke gibt er am Ende - so viel sei verraten - auch Mimmi mit auf den Weg. Doch ohne Zweifel fragt man sich bei der Lektüre, wie es Tochter und Mutter wohl im Nationalsozialismus ergangen ist.
"Das Humboldt-Tier" ist ein gelungener Band, auch wenn er nicht die Komplexität und Tiefe von "Spirou in Berlin" erreicht. Das ist dem Ton der "Marsupilami"-Reihe geschuldet, die sich mit ihren Slapstick-Einlagen, einfachen Wortwitzen und wimmeligen Bildern eher an Kinder richtet. Doch durch die vielen Details und Anspielungen - auch Spirou selbst gibt es zu entdecken -, sowie durch die immer wieder überraschende Seitengestaltung bleiben auch erwachsene Leserinnen und Leser am Ball.
Übrigens: Ursprünglich wollte Flix die Hauptgeschichte in Berlin zu Beginn der 50er-Jahre spielen lassen, um einen Anschluss an den ersten Auftritt 1952 herzustellen. Doch diese Idee legte er ad acta, auch weil kürzlich ein Marsupilami-Band erschienen ist, der genau in dieser Periode spielt: "Die Bestie" von Zidrou und Frank Pé ist aber kein Funny-Abenteuer, sondern eine in realistischen Bilder erzählte dramatische, ja geradezu düstere Geschichte, die sich an ein erwachsenes Publikum richtet.
Flix stellt das Buch im September und Oktober in ganz Deutschland vor. Die Termine gibt es hier.
Quelle: ntv.de