Ein Thema, das alle angeht Diese "Partikel" sind überall, unsichtbar, tödlich


Harlander hat sich wieder ein brandaktuelles Thema geschnappt: Mikroplastik.
(Foto: picture alliance/dpa)
Nach einer Hochzeit auf Sylt sterben Menschen. Ein Unglück oder ein Terroranschlag? Melissa will der Sache auf den Grund gehen. Sie ahnt nicht, in welches Wespennest sie mit ihren Recherchen sticht. Ihr Gegner ist überall. Er ist sogar in uns - und einer der größten Bedrohungen der Menschheit.
In Deutschland gibt es rund ein halbes Dutzend herausragender Thrillerautoren. Da wäre etwa Sebastian Fitzek, der erfolgreichste Genrevertreter, vor allem im Bereich Psychothriller. Im Herbst erscheint sein nächster Bestseller. Da wäre aber auch Marc Raabe zu nennen, dessen "Art Mayer"-Reihe ("Der Morgen", "Die Dämmerung") im Subgenre Politthriller Maßstäbe setzt. Geht es um Wissenschaftsthriller, führt an Tibor Rode nichts vorbei, dessen Werke "Das Mona-Lisa-Virus" und "Der Wald" schaurig aktuell sind. Auch von ihm wird in diesem Jahr noch ein neues Buch erscheinen. Bis dahin sorgt Wolf Harlander für Aufsehen - mit "Partikel".
Die Bücher des ehemaligen Wirtschaftsjournalisten sind allesamt Bestseller. Die Leserzahl ist so enorm, wie die in den Büchern behandelten Themen brisant sind: In "42 Grad" ließ er Deutschland austrocknen. In "Schmelzpunkt" taut das ewige Eis Grönlands und in "Systemfehler" bricht das Internet zusammen. Die Folgen sind immer katastrophal, die Menschheit steht am Abgrund. Das ist auch diesmal so, denn in "Partikel" dreht sich der Plot um Mikroplastik.
Plastik ist überall
Mikroplastik? Gibt es so etwas? Ja, nahezu überall ist es drin - meistens ohne dass wir es wissen. In der Zahnpasta oder im Duschgel mag das noch einleuchten. In der Wurstverpackung, im Waschmittel, im Trinkwasser, in der Luft, in Fußballtrikots ist es aber auch. Der Mensch nimmt es über die Haut auf, über den Mund. Jede Woche im Schnitt rund fünf Gramm, was in etwa dem Gewicht einer Kreditkarte entspricht.
Aber wurden Plastiktüten denn nicht von der EU verboten? Gibt es nicht ein Recyclingsystem? Immerhin werden in Deutschland rund 60 Prozent der Plastikabfälle recycelt, in der EU sind es schon nur noch etwa 30 Prozent. Der Rest wird verbrannt, landet auf illegalen Mülldeponien, im Meer - oder wird ganz im Zeichen des Kapitalismus an andere, vor allem ärmere Länder in Asien und Afrika, verkauft. Das Geschäft boomt, die Gewinne auch, die zum Teil mafiösen Strukturen im Hintergrund freut's.
Das ist der Stoff, aus dem hervorragende Thriller gemacht sind. Harlanders "Partikel" ist der bravouröse Beweis. Es beginnt im Kleinen und endet mit einem großen Knall. So muss es sein: Eine Hochzeit auf Sylt - kein Lindner, kein Scooter -, es gibt Fisch und im Anschluss verdorbene Mägen, Intensivstationpatienten und Tote. Melissa, Volontärin beim Nachrichtenportal "Daily Flashlight", nimmt sich des Themas an. Sie wittert darin die Chance, sich zu beweisen, es ihren Kollegen und ihrem Chef zu zeigen. Zunächst gelingt ihr das auch. Die Klicks gehen durch die Decke, die Verweildauer auf der Seite nimmt rekordverdächtige Ausmaße an. Aber es dauert nicht lange, bis Melissa merkt, dass mehr hinter all dem steckt. Lebensmittelvergiftung? Irgendwie schon - und dennoch ganz anders.
Es findet sich Mikroplastik im Blut der Hochzeitsgäste. Manche kommen damit klar, vertragen es gut. Andere Körper gehen auf die Barrikaden. Es ist wie bei Gluten oder Knoblauch: Der eine verträgt's, der andere nicht. Melissa lässt auch ihr Blut untersuchen. Das Ergebnis ist der pure Horror: Sie hat Mikroplastik in sich.
Mehrere Erzählstränge
Harlander wäre aber nicht Harlander, wenn es nicht mehrere Erzählstränge in seiner Geschichte gäbe. Melissas Suche nach dem Hintergrund von der "Horror-Hochzeit auf Sylt" (Boulevard) gerät zum Wirtschaftskrimi - und zu einem persönlichen Wettlauf gegen die Zeit, denn Melissas zwei Jahre alte Nichte Zoe kämpft gegen Leberkrebs im Endstadium, hervorgerufen durch Mikroplastik. Die einzige Chance ist eine experimentelle Therapie in den USA. Kostenpunkt: zwei Millionen Dollar. Via Croud-Funding und mithilfe von Artikeln, Videos und Aufrufen auf "Daily Flashlight" soll das Geld beschafft werden.
Melissa steigt immer tiefer ins Thema ein, kommt mit der Firma Cyaclean in Kontakt. Ein Startup eines US-Millionärs, das in Düsseldorf nach einer Lösung für das Plastikproblem mithilfe von Algen forscht. Cyaclean ist dabei der globale Vorreiter und die Konkurrenz schläft nicht. Sie geht sogar über Leichen, wie ein Anschlag in der Fabrik am Rhein zeigt.
Nun mischen auch die bei Harlander-Fans bereits bekannten BND-Ermittler Nelson Carius und Diana Winkels wieder mit. Denn es scheint Verbindungen zu einem verschwundenen Frachter zu geben und zu einer länder- und kontinentübergreifenden Umweltkatastrophe. Die Politik scheint ebenso mitzumischen wie die Mafia. Es stinkt im wahrsten Sinn des Wortes zum Himmel.
Dauerpuls 180
Es ist das ganz große Rad, das Harlander mit "Partikel" dreht. Nicht weniger. Aber das kennen die Fans von ihm. Aus dem kleinen Horror von nebenan wird eine lebensbedrohliche Katastrophe globalen Ausmaßes. Das muss man wissen, wenn man sich dem bei Rowohlt und Argon erschienenen Werk widmet. Als Hörbuch sind es mehr als 18 Stunden voller Spannung, rasanter Action und zwischenmenschlicher Gefühlsexplosionen.
Es gibt Twists, Reibungspunkte und Denkanstöße. Da ist Melissas Liebe zu Zoe, da ist aber auch ihr journalistischer Ehrgeiz. Da ist das alle betreffende Problem Mikroplastik und die optimistische Aussicht einer technologischen Lösung, die aber noch in den Kinderschuhen steckt. Als Hörer ist man hin- und hergerissen. Der Puls ist ständig erhöht. Der Plot mit den verschiedenen Hauptcharakteren abwechslungsreich und fesselnd zugleich.
All das sind perfekte Voraussetzungen für den Sprecher Uve Teschner, sein ganzes Können, will heißen das ganze Spektrum seiner Stimme, in die Waagschale zu werfen. Egal ob norddeutscher Reeder, französischer Umweltaktivist, amerikanischer Selfmade-Millionär - Teschner hat sie alle drauf. Seine Vielseitigkeit kann er immer wieder unter Beweis stellen. Es macht Spaß, ihm dabei zuzuhören.
Das Thema Mikroplastik ist dagegen alles andere als spaßig. Es ist vielmehr bitterer, tödlicher Ernst. Nur so viel: Plastik ist ewig, es wird von der Natur nicht abgebaut. Babys und Kinder sind für Mikroplastik besonders anfällig. Zeit, dass das Thema präsenter in der breiten Öffentlichkeit wird. Dass so etwas möglich ist, hat Harlander bereits mit "42 Grad" eindrucksvoll gezeigt.
Quelle: ntv.de