Drei Autoren, drei Thriller Irgendwen haben wir doch alle auf dem Gewissen


Kein vernünftiger Thriller ohne Leiche.
(Foto: picture alliance / Zoonar)
Was haben ein Wald, KI, zwei finnische Opas, ein australisches Skiressort und der Zweite Weltkrieg gemeinsam? Auf den ersten Blick gar nichts. Aber vertrauen Sie mir: Hier lohnt ein zweiter Blick. Garantiert!
"Ein Deutscher, ein Finne und ein Australier …" So könnte ein guter Witz beginnen. In diesem Fall geht es aber nicht um Humor (zumindest nicht in erster Linie), sondern um Leidenschaft, Spannung und Gänsehaut-Feeling. Der Grund: drei Thriller von drei Autoren aus drei Ländern. Lesevergnügen pur, versprochen!
"Der Wald", Tibor Rode
Dass im düsteren Schatten der Waldbäume jede Menge Gefahren lauern, weiß jeder seit den Brüdern Grimm. Dass der Wald aber auch viele Geheimnisse birgt, zeigen die Bücher von Peter Wohleben. Dass der Wald leise tötet, thematisiert Bestsellerautor Tibor Rode ("Das Mona-Lisa-Virus") in seinem neuesten Thriller "Der Wald - Er tötet leise". Vorweggeschickt: Wer bislang noch nicht wusste, was ein Pageturner ist, der weiß es spätestens nach der Lektüre! Brandaktuell, im wahrsten Sinn des Wortes!
Die Ausrufezeichen täuschen nicht: Es geht um nichts anderes, als das Ende der Menschheit, denn das von ihr stark angegriffene Ökosystem schlägt zurück. Weltweit tauchen Samen auf, rote kleine Bohnen. Sie werden anonym an Tausende Menschen verschickt. Wer sie einpflanzt, ist kurz darauf tot. Es dauert nicht lang, bis die Politik alarmiert ist. Aber wie will sie der Öffentlichkeit verkaufen, dass nicht ein Terrorstaat hinter den sich exponentiell häufenden Todesfällen steckt, sondern eine bislang unbekannte Pflanze, die Krankheit, Tod und Vernichtung bringt?
Der Botaniker Marcus Holland begibt sich auf die Suche nach den Ursprüngen der Päckchen und der hochinvasiven Pflanze. An seiner Seite: die Archäobiologin Waverly Park. Sie finden Hinweise, die sie nach China führen, Kanada und Deutschland. Sie entdecken Verbindungen zu Freimaurern und Johann Wolfgang von Goethe, besuchen ein geheimnisvolles Kloster im Himalaya. Und alles im Rennen gegen die Zeit, denn die läuft immer schneller ab - für die Menschheit.
Rodes Umweltthriller zieht in den Bann. Die wissenschaftlichen Hintergründe überzeugen und regen zum Nachdenken an. Nur mal so: Was passiert, wenn sich die Intelligenz von Natur mit hochmodernster Technik verbindet? Stichwort: Künstliche Intelligenz. Statt Maschinen, die dem Mensch den Garaus machen, sind es Pflanzen und Bäume. Ein Szenario, das Rode gekonnt in Szene setzt - und das uns alle wachrütteln sollte, schließlich können wir ohne die Natur nicht überleben, die Natur ohne Menschen aber schon.
"Was wir nie verzeihen", Arttu Tuominen
Um Wachrütteln geht es auch im neuen Bestseller des finnischen Erfolgsautoren Arttu Tuominen "Was wir nie verzeihen", dem dritten Band der "River Delta"-Reihe. Waren die ersten beiden Bücher "Was wir verschweigen" und "Was wir verbergen" schon kongenial geschrieben, toppt er dritte Band der auf sechs Bücher angelegten Serie noch einmal alles. Nicht umsonst war "Was wir nie verzeihen" für den "Nordischen Krimipreis 2021" nominiert.
Diesmal muss Kommissar Jaro Palovita in der finnischen Kleinstadt Pori in einem fast schon unwirklich erscheinendem Fall ermitteln: Zunächst wird auf einen Greis nahe der 100 in einem Pflegeheim ein Mordanschlag verübt. Er überlebt dank der schnellen Hilfe einer Angestellten. Dann wird auf ihn im Krankenhaus ein weiterer Anschlagsversuch gestartet. Auch hier hat der Alte Glück, denn Palovita ist zufällig vor Ort, um ihn zu befragen. Doch kurz darauf wird ein anderer hochbetagter Mann entführt und aufgehängt. Ein Rollstuhlfahrer, der täglich ans Dialysegerät muss und nur noch mit Sauerstoffflasche nachts überleben kann - wer tötet einen solchen Mann, der bereits mit mehr als einem Bein im Grab steht?
Palovite und seine Kollegen ermitteln. Finden Verbindungen zur Nazizeit, zur SS, zu Völkermorden in der Ukraine Ende 1941, Anfang 1942. Tote Frauen, gemeuchelte Kinder, hingerichtete Männer. Aber waren die beiden alten Finnen involviert? Und wer will sie deshalb tot sehen? Tuominens Buch ist ein wilder Ritt in die Vergangenheit Finnlands, eine zum Teil sehr dunkle, ganz nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Für die Leser von "Was wir nie verzeihen" geht es in den Zweiten Weltkrieg, in den Russland-Feldzug, "Barbarossa". Die Schilderungen Tuominens sorgen seitenlang für Gänsehaut, für Bauchschmerzen. Seine Worte rütteln auf, erst recht angesichts des nach wie vor andauernden russischen Angriffskriegs in der Ukraine. Leid, Tod, Wahnsinn.
So gesehen, ist Tuominens Buch keine einfache Lektüre, aber aus der Hand will man sie auch nach dem Lesen nicht legen. "Was wir nie verzeihen" bleibt im Kopf, grandios!
"Die mörderischen Cunninghams", Benjamin Stevenson
Viel weiter weg kann "Die mörderischen Cunninghams" von Benjamin Stevenson, preisgekrönter Standup-Comedian, gar nicht sein: Finnland, Zweiter-Weltkrieg-Schocker auf der einen Seite; Australien, Agatha-Christie-Krimi auf der anderen Seite. Aber was beide Bücher verbindet, ist die Erzählkunst der Autoren. Als Leser ist man von der ersten Seite an gefangen vom Plot, von den Charakteren und der Stimmung, die sie erzeugen. Stevensons Buch kommt zudem mit jeder Menge schwarzen Humors um die Ecke, bietet aber auch Nice-to-know-Klugscheißerwissen rund um das Thema Krimi.
Im Mittelpunkt steht Ernie Cunningham. Er liebt Krimis. Die der alten Sorte, in denen die Detektive ihre Fälle noch "ohne Hokuspokus, weibliche Intuition, Taschenspielertricks, Zufall oder Gottes Wille" lösen. Krimis von Autoren wie Agatha Christie, G. K. Chesteron oder Ronald Knox. Und weil Ernie deren Bücher verschlungen hat, kennt er sich natürlich aus - und verdient deshalb sein Geld mit dem Schreiben von Ratgebern, wie man richtig Krimis schreibt. Logisch. Und weil das so ist, hat Ernie beim Leser schon von Beginn des Buches einen Stein im Sympathiebrett.
Er muss allerdings zu einem Familientreffen, das erste seit mehreren Jahren. Das erste, seit er dafür gesorgt hat, dass sein Bruder wegen Mordes im Gefängnis gelandet ist. Eine komische Geschichte. Aber sie ist nun mal passiert und Ernie hat nichts Falsches gemacht. Das redet er sich zumindest immer ein. Für seine nächsten Verwandten ist er natürlich das schwarze Schaf der Familie. Was bei seiner Sippschaft durchaus etwas heißen will, denn das ungeschriebene Motto der Cunninghams lautet: Irgendwen haben wir doch alle auf dem Gewissen. Da wundert es nicht, dass es bei dem Familientreffen in einem abgelegenen, einsamen australischen Skiressort nicht lange dauert, bis die erste Leiche auftaucht. Und natürlich bleibt es nicht die einzige.
Als Leser - oder auch als Hörer des bei Hörbuch Hamburg erschienenen Audiobooks - begleitet man Ernie beim Versuch, sein angelesenes Fachwissen nun in der Realität anzuwenden. Wenn er Sherlock Holmes ist, wird man selbst zu Dr. Watson. Man schaut Ernie über die Schulter, versucht, gut gemeinte Tipps zu geben, stellt Vermutungen auf, die sich nur wenige Seiten später in Luft auflösen und man deshalb wieder von vorn beginnen muss: Wer hat ein Motiv, wer keines? Wem könnte der ein oder andere Todesfall in die Hände spielen? Ach ja, es geht natürlich um eine satte Summe Geld. Das hatte ich doch glatt vergessen. Eine Todsünde für Krimis, laut Ernies Ratgebern. Der Einstieg mit einem Witz gehört dagegen nicht dazu. Also: Ein Deutscher, ein Finne und ein Australier … " Mist, wie war der noch gleich …
Quelle: ntv.de