"Sollen Zeit nicht verschwenden" Darum sperrt China seine Kinder aus dem Internet aus


Dürfen bald nur noch maximal zwei Stunden mit ihren Smartphones und Tablets im Internet surfen: Kinder und Jugendliche in China.
(Foto: imago images/jennymissu)
Chinas Regierung findet, dass die chinesischen Kinder und Jugendlichen zu viel Zeit im Internet verbringen. Pro Tag sollen sie bald nur noch eine bestimmte Zeit lang online gehen dürfen. Offiziell, um Internetsucht zu bekämpfen. Die Tech-Konzerne müssen mitziehen - das letzte Wort aber haben die Eltern.
Livestreams und Videos schauen, durch Urlaubsfotos scrollen oder mit Freunden chatten: Das dürfen Chinas Kinder und Jugendliche bald nicht mehr unbegrenzt tun. Die chinesische Internetaufsicht plant, ihre Zeit im Internet zu begrenzen. Sie möchte einen "Minderjährigen-Modus" einführen. Sollte dieser tatsächlich Gesetz werden, dürfte kein Chinese und keine Chinesin unter 18 Jahren ein Smartphone oder ein Tablet länger als zwei Stunden pro Tag benutzen.
Sie können zwar die Apps noch öffnen, sehen dort aber keine Inhalte mehr. "Diese Beschränkungen betreffen nur Internet-Handy-Tools. Es soll nicht darum gehen, dass man nicht telefonieren oder vielleicht auch keine SMS schreiben kann, sondern es soll darum gehen, dass man eben nicht in der Lage ist, seine Zeit zu verschwenden als Kind oder als Jugendlicher", sagt Antonia Hmaidi, Analystin beim Mercator Institute for China Studies, im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".
Konkret plant die chinesische Führung, dass 16- bis 18-Jährige Smartphones und Tablets maximal zwei Stunden täglich nutzen dürfen, 8- bis 16-Jährige eine Stunde pro Tag und unter 8-Jährige maximal 8 Minuten täglich. Zwischen 22 und 6 Uhr sollen Minderjährige künftig gar nicht mehr ins Internet dürfen. Ausgenommen sind Lernprogramme und Notdienste. Die Eltern können aber eingreifen und die Zeiträume verlängern - oder die Sperre ganz abschalten. Außerdem sollen sie kontrollieren können, welche Inhalte ihre Kinder sehen.
"Kinder sollen produktive Menschen werden"
Die Regierung will mit der neuen Einschränkung die Handy- und Internetsucht bei Minderjährigen bekämpfen, zumindest ist das der offizielle Grund. Kurse gegen Internetsucht sind laut Hmaidi bei chinesischen Eltern sehr beliebt. Wie in Deutschland sind auch die chinesischen Kinder und Jugendlichen immer häufiger in sozialen Medien unterwegs. "Die chinesische Regierung möchte, dass Kinder ihre Zeit mit Lernen verbringen, dass Kinder irgendwann mal produktive Menschen werden. Da helfen Tiktok, Douyin und Videospiele aus ihrer Sicht nicht besonders gut", erklärt die Expertin.
Die chinesische Regierung will die Minderjährigen aber auch vor dem "Einfluss schlechter Informationen" schützen, wie es Peking nennt. "Über Social Media können sich Menschen organisieren, die Regierung steht diesem Aktionspotenzial sehr kritisch gegenüber", analysiert Hmaidi im Podcast. "China achtet darauf, dass Social Media nicht so 'wild' wird wie in Europa oder im Westen. Und das Dritte ist, dass die chinesische Regierung den Wunsch hat, die Kinder zu schützen, so wie auch wir in Deutschland."
Online-Gaming bereits eingeschränkt
Schon jetzt reguliert der Staat in China streng, wie viel Zeit Kinder und Jugendliche vor ihren Bildschirmen verbringen dürfen. 2021 hatte ein staatliches Wirtschaftsmagazin Onlinespiele als "Opium" und "elektronische Droge" bezeichnet. Kurze Zeit später hat die chinesische Regierung die zeitlichen Beschränkungen für Videospiele weiter verschärft, um gegen Spielsucht vorzugehen. Seitdem dürfen unter 18-Jährige pro Woche nicht mehr als drei Stunden online spielen: Freitag, samstags und sonntags sind zwischen 20 und 21 Uhr jeweils eine Stunde Spielzeit erlaubt. An Feiertagen darf jeweils eine zusätzliche Stunde gespielt werden.
Das Verbot sowie der Stopp neuer Videospielzulassungen im Juli 2021 hat die Gaming-Branche hart getroffen. Unter anderem den Branchenriesen Tencent, der für das Spiel "League of Legends" bekannt ist sowie für soziale Netzwerke und Chatdienste wie Wechat. Seine Aktienkurse sind innerhalb von wenigen Tagen zweistellig abgerutscht, auch der Gewinn ist gesunken.
Merics-Analystin Hmaidi sieht den Effekt allerdings als überschaubar an, weil die Jugendlichen Wege gefunden hätten, das Verbot zu umgehen. Sie spielten beispielsweise nicht ein Online-Videospiel am Stück, sondern mehrere hintereinander. Oder schalteten das Internet aus, damit die Überprüfung nicht mehr stattfindet. "Manchmal ist das, was die chinesische Regierung macht, eher ein Signal, um zu zeigen, in welche Richtung es gehen soll."
"Möglichkeiten, Sperre zu umgehen"
Ausländische Internetdienste wie Google, Facebook oder Youtube und sämtliche ausländische Medien sind in China blockiert. Mit der größten Firewall der Welt schützt sich Peking vor regierungsfeindlichen Inhalten. Die chinesischen Social-Media-Anbieter heißen Wechat, Weibo oder Douyin. Alles, was dort online geht, wird überwacht und gegebenenfalls zensiert. Auch die private Kommunikation.
Anonym etwas zu posten, ist durch die Klarnamenpflicht praktisch unmöglich: Da sich die Menschen in China fast überall mit echtem Namen und ID anmelden müssen, wäre die technische Umsetzung einer Internetsperre für Kinder nicht sehr kompliziert. Bisher ist diese aber nur ein Vorschlag. Hmaidi erwartet nicht, dass das Gesetz genauso streng beschlossen wird.
Wenn es aber durchgeht, hätten die Internetkonzerne keine andere Chance als mitzuziehen, sagt die Expertin, zumindest offiziell. "Natürlich versuchen jetzt alle, das Gesetz etwas auszuhöhlen oder anzupassen oder vielleicht auch mit den Entscheidungsträgern zu sprechen." Möglichkeiten, das Verbot zu umgehen, gebe es in China immer, macht Hmaidi im "Wieder was gelernt"-Podcast klar. Kinder nutzten etwa das Smartphone der Eltern. Oder die Anbieter verlangsamten ihre Apps nach der vorgeschriebenen Zeit, statt sie komplett einzufrieren - der psychologische Effekt sei "angenehmer als ein Verbot".
Tech-Konzerne sind auf Parteilinie
In den vergangenen Jahren hat die chinesische Regierung im Techsektor hart durchgegriffen und ihn extrem stark reguliert. Die Internetfirmen wurden als zu übermächtig gesehen. Der chinesische Fahrdienstvermittler Didi zum Beispiel ist kurz nach seinem Börsengang in New York aus den App-Stores gestrichen worden.
Die neue Regulierung könnte bedeuten, dass Chinas Feldzug gegen den chinesischen Techsektor noch lange nicht vorbei ist. Obwohl die Regierung die Konzerne längst unter Kontrolle und auf Parteilinie gebracht habe, macht Hmaidi deutlich. "Jetzt geht es für die Partei eigentlich eher darum, dass die Technologiekonzerne ihre Profite gewinnbringend einsetzen und dazu beitragen, dass China als Ganzes wächst."
Neue Pläne zeigten, dass die Regierung die Realwirtschaft und die Produktion stärken wolle. Die Tech-Firmen, denen die Führung stark misstraut, sollen dabei helfen. Ein Beispiel ist Tencent. Der Internetkonzern soll jetzt gemeinsam mit dem Onlinehändler Alibaba und anderen Unternehmen eigene Chips entwickeln. Und dafür sorgen, dass China besser beim Chipdesign wird. Die sind weltweit gerade vor allem durch den KI-Boom sehr gefragt. Präsident Xi Jinping will erreichen, dass sich China selbst mit Halbleitern versorgen kann.
Internet und Spiele gegen Hoffnungslosigkeit
Das Internet ist ein Zufluchtsort für die Jugendlichen. Gerade, wenn sie keinen Job haben, ist das Risiko groß, dass sie internetabhängig werden. Und in China ist die Jugendarbeitslosigkeit so hoch wie nie. Im Juni lag sie bei über 21 Prozent.
Die jungen Leute haben kaum Hoffnung, einen Job zu finden - trotz Hochschulabschluss oder Doktortitel. Und wenn sie fündig werden, müssen sie mit Überstunden und schlechter Bezahlung rechnen. Die jungen Menschen hoffen auf Erfolg im Glücksspiel - Lottospiele boomen.
"Über das Handy bekommt man schnell Dopamin", weiß Hmaidi. "Onlinespiele oder Social Media sind besonders attraktiv, wenn man ansonsten keine wirklichen Hoffnungen hat. Das ist in China unter den jungen Menschen wirklich ein großes Problem. Was die Partei macht, ist eher ein Pflaster. Das wird nicht dabei helfen, dass die Leute mehr Hoffnung haben. Dafür bräuchten sie mehr Freiheit, mehr Chancen auf ein gutes Leben. Sie müssten daran glauben, dass es ihnen besser gehen wird als ihren Eltern."
Zumal die Internetsperren wegfallen, sobald die Jugendlichen 18 Jahre alt werden. Und für Erwachsene wird die chinesische Regierung sie eher nicht durchsetzen - der Protest wäre riesig.
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.
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Quelle: ntv.de