Panorama

Familienprojekt als Geldmaschine Kinder-Influencer verrichten Arbeit vor der Kamera

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Kinder-Influencer stellen ähnliche Inhalte ins Netz wie die erwachsenen Influencer: von der Morgenroutine bis zu klassischen Werbekooperationen.

Kinder-Influencer stellen ähnliche Inhalte ins Netz wie die erwachsenen Influencer: von der Morgenroutine bis zu klassischen Werbekooperationen.

(Foto: IMAGO/imagebroker)

Der US-Bundesstaat Illinois hat ein neues Gesetz für Kinder-Influencer eingeführt. Das Erste seiner Art in den USA schützt Einnahmen von Minderjährigen in sozialen Medien, denn weltweit finanzieren sich ganze Familien durch Kinderarbeit auf Instagram oder Youtube.

Ein Mädchen mit langen Haaren, Zahnspange und Schlafanzug filmt sich kurz nach dem Aufwachen. Ein anderes erzählt von der Trennung ihrer Eltern. Ein kleiner Junge feiert mit einer Riesenparty seinen elften Geburtstag. Diese drei Kinder haben etwas gemeinsam: Sie sind Kinder-Influencer in den sozialen Medien und vor der Kamera aufgewachsen. Auf Youtube, Instagram und Tiktok präsentieren sie ihren Alltag, testen neues Spielzeug, oder geben Stylingtipps. Ihr Leben - vom Laufen lernen bis zum ersten Schultag - ist im Internet abrufbar. Die bekanntesten von ihnen verdienen Millionen mit den Videos. Je mehr Abrufe, desto mehr Geld gibt es.

Eine der bestverdienenden Youtuber weltweit ist die gerade mal neunjährige Anastasia Radzinskaya. Vergangenes Jahr erzielte sie mit ihrem Kanal "Like Nastya" einen Umsatz von 28 Millionen Dollar und lag im "Forbes"-Ranking der erfolgreichsten Youtuber auf Platz sechs. 107 Millionen Abonnenten hat sie bei Youtube angesammelt, mehr als Popstar Justin Bieber.

Eltern filmen Familienglück für Klicks

Auch in Deutschland gibt es Zehntausende minderjährige Influencer. Eine der Vorreiterinnen in dem Bereich sei Miley mit ihrem Kanal "Mileys Welt", sagt Luise Meergans im ntv-Podcast "Wieder was gelernt", Abteilungsleiterin Kinderrechte und Bildung beim Deutschen Kinderhilfswerk. "Mit fast siebenstelligen Abozahlen gehört sie hierzulande zu den erfolgreichsten Youtuberinnen. Die Klickzahlen ihrer Videos liegen teilweise im zweistelligen Millionenbereich. Das sind Zahlen, die wir sonst oft nur aus den USA kennen."

Die Kanäle werden meist von den Eltern der Kidfluencer betrieben, denn für Youtube, Instagram und Tiktok gilt ein Mindestalter von 13 Jahren. Sie vermarkten ihr Familienglück, werden von Erziehungsberechtigten zu Chefs und Managern, verdienen Millionen auf dem Rücken ihrer Kinder: "Sie sind diejenigen, die im Namen ihres Kindes die Verträge unterschreiben, die die Werbeeinnahmen auf die Konten gespült bekommen. Aus kinderrechtlicher Sicht ist das natürlich ein tragisches Verhältnis", merkt Meergans kritisch an.

Wenn die Kamera immer mit dabei ist, im Urlaub, auf der Klassenfahrt oder auf Geburtstagen, ist für die Kinder die Grenze zwischen Hobby und Arbeit fließend. "Kein vier- oder fünfjähriges Kind würde von sich aus einen Youtube- oder Instagram-Kanal starten, um Influencerin zu werden. Das sind oft Familienprojekte", erklärt Meergans. "Bei den großen erfolgreichen Kanälen kennt man die Eltern auch, weil sie nicht nur hinter der Kamera agieren, sondern auch mit dem Kind vor der Kamera zu sehen sind. Wir sehen, dass sie Treiber der Situation sind." Häufig sind auch die Eltern selbst schon länger Influencer.

Im Internet wird Kinderarbeit kaum kontrolliert

Dabei ist Kinderarbeit in Deutschland eigentlich verboten. Ab 13 Jahren dürfen sie laut Kinderarbeitsschutzverordnung nur kleine Jobs ausüben, Zeitungen austragen oder Nachhilfeunterricht geben. Bei Dreharbeiten oder Musikaufnahmen gelten Ausnahmen - das Jugendarbeitsschutzgesetz erlaubt je nach Alter eine bestimmte Stundenzahl pro Tag. Kinder ab drei Jahren dürfen täglich zwei Stunden arbeiten, sechsjährige drei Stunden. Nach der Arbeit muss das Kind mindestens 14 Stunden Freizeit haben.

Doch eine solche Ausnahmegenehmigung holen sich nur wenige Kanäle. "Dieses System greift nicht im Internet", weiß Meergans. "Es fühlt sich niemand für Kontrollen bei Familien oder bei Arbeitssituationen, die im Internet stattfinden, zuständig." Erschwerend hinzu kommt, dass unter Dreijährige in den Gesetzen gar nicht berücksichtigt werden- dabei beginnen viele Kinder-Influencer ihre Karriere häufig schon im Babyalter.

So wird aus dem Spaß im Kinderzimmer schnell richtige Arbeit. "Nicht erst, wenn der Kanal Geld verdient, ist es Kinderarbeit, sondern eigentlich, wenn der Kanal einen wirtschaftlichen Zweck verfolgt", sagt die Kinderrechtlerin im Podcast. Hinter dem Erfolg stecken viele Arbeitsstunden. "Man ist teilweise Monate, vielleicht auch Jahre damit beschäftigt, ohne einen monetären Ausgleich Produkte zu bewerben und sich eine Followerschaft anzuschaffen, die für den Werbemarkt attraktiv ist."

Kidfluencer-Einkommen in Illinois geschützt

Bei Youtube verdienen Influencer für Videos pro 1000 Klicks ein bis zwei Euro. Für 100.000 Views gibt es also 100 bis 200 Euro. Bei Instagram können Influencer mit einer sechsstelligen Followerschaft pro Post bis zu 10.000 Euro verdienen.

Geld, von dem die Kinder nicht unbedingt etwas sehen. Einige Eltern finanzieren von den Einnahmen ihrer Kinder das Familienleben. Im Fall von Miley haben die Eltern für den Kanal "Mileys Welt" ihre Jobs aufgegeben, Schulden abbezahlt und sparen für die Ausbildung ihrer Kinder.

Im US-Bundesstaat Illinois werden die Einkünfte von Kinder-Influencern ab sofort besser geschützt. Anfang August wurde ein Gesetz verabschiedet, das Kidfluencern unter 16 Jahren Anspruch auf einen Prozentsatz des Einkommens zuspricht, wenn sie in den Postings ihrer Eltern vorkommen. Ab Juli 2024 müssen die Eltern die Hälfte der Einnahmen in einen Treuhandfonds einzahlen, bis das Kind 18 Jahre alt wird. Ansonsten dürfen die Kinder ihre Eltern verklagen. Ähnliche Gesetze planen auch die Bundesstaaten Washington und Pennsylvania.

In Frankreich gibt es ein ähnliches Gesetz schon seit 2021. Dort müssen die Eltern einen Teil der Einnahmen auf ein spezielles Sparkonto für das Kind einzahlen, an das es ab dem 16. Geburtstag herankommt.

Gewerbeaufsichtsämter in der Pflicht

In Deutschland fließt das Geld, das die Kinder mit der Werbung in ihrem Kanal verdienen, oft auf die Konten ihrer Eltern, ihre Namen stehen meist im Impressum. Allein Verträge mit Werbepartnern unterschreiben dürfen sie nicht, sie benötigen dafür die Zustimmung ihrer Erziehungsberechtigten. Kinder sind vom siebten bis zum achtzehnten Lebensjahr beschränkt geschäftsfähig.

Zwar dürfen Minderjährige theoretisch ab einem Alter von sieben Jahren ihr eigenes Unternehmen gründen, dafür müssen die Eltern und das Familiengericht zustimmen. Anträge darauf werden allerdings meist abgelehnt, damit die Schule nicht leidet.

Luise Meergans fordert, dass in Deutschland besser kontrolliert wird, wie und wie viel Kinder-Influencer arbeiten. "Die Gewerbeaufsichtsämter müssen hier ihrer Pflicht nachkommen, auch Arbeit, die im Internet stattfindet, in ihren Aufgabenbereich aufzunehmen." Allerdings ist es nicht immer klar, welche Kommune jeweils zuständig ist. Zwar gelte die Impressumspflicht in Deutschland auch auf Youtube, "es halten sich aber nicht alle dran". Die Arbeit sollte auch aus Expertensicht aufmerksamer beobachtet werden: Zusätzlich zu einem medizinischen Gutachten sei auch "eine therapeutische, psychologische, psychiatrische Begleitung" der Kidfluencer wichtig.

Hoher Verdienst macht Absprung schwer

Aber auch die Eltern sind in der Pflicht, zu überlegen, was sie von ihren Kindern ins Netz stellen und was nicht: Ihnen fehlt oft die Medienkompetenz, ist bei einer Studie des Deutschen Kinderhilfswerkes herausgekommen. Das Familienprojekt in sozialen Medien werde schnell zum Selbstläufer, "wenn Verdienstmöglichkeiten dazukommen, die teilweise so hoch sind, dass ich eine ganze Familie davon ernähren kann", gibt Meergans zu bedenken. "Dann fällt der Absprung vielleicht etwas schwerer."

Bilder vom Schlafen, Baden, Essen oder aus dem Krankenhaus: Werden Kinder in solchen intimen Momenten gefilmt, werden die Persönlichkeitsrechte des Kindes verletzt. Auch, wenn die Eltern ohne ihre Zustimmung Fotos und Videos ins Netz stellen.

Aber auch die Plattformen sind unter Zugzwang. Immerhin hat Youtube bereits 2019 die Kommentarfunktion bei Kinderinhalten abgeschaltet. Das sei aber nur ein Anfang, sagt Meergans. Immerhin scheint sich das Bewusstsein schon etwas geändert zu haben: Immer mehr Elternblogger verpixeln in ihren Postings die Gesichter ihrer Kinder oder zeigen sie nur von hinten.

"Wieder was gelernt"-Podcast

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.

Alle Folgen finden Sie in der ntv App, bei RTL+, Apple Podcasts und Spotify. "Wieder was gelernt" ist auch bei Amazon Music und Google Podcasts verfügbar. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.

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Quelle: ntv.de

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