Politik

Spitzenrunde vor der Wahl Baerbock: "Sie würden beten, dass Europa Ihnen beisteht"

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Parteivorsitzende, Bundesvorsitzende, Generalsekretäre, ein Landesgruppenchef, eine Kanzlerkandidatin und eine Außenministerin bei der Fernsehsendung "Schlussrunde".

Parteivorsitzende, Bundesvorsitzende, Generalsekretäre, ein Landesgruppenchef, eine Kanzlerkandidatin und eine Außenministerin bei der Fernsehsendung "Schlussrunde".

(Foto: picture alliance/dpa/Reuters Pool)

Drei Tage vor der Bundestagswahl treffen sich alle im Bundestag vertretenen Parteien zur "Schlussrunde". Eine Erkenntnis, die das Publikum dabei sicher gewinnt: Zum Glück wird endlich gewählt.

Normalerweise wird die Ente hinten fett. Im kurzen, aber hitzigen Wahlkampf ist drei Tage vor der Stimmabgabe dagegen die Luft raus. Die Umfragewerte von Union, SPD, Grünen und AfD sind seit Wochen so betoniert, dass manch ein Kanzlerkandidat den eigenen Einfluss auf das Ergebnis wohl als ausgeschöpft bewertet. Die "Schlussrunde" in ARD und ZDF schenken sich Olaf Scholz, Friedrich Merz und Robert Habeck jedenfalls. "Leergeredet", mutmaßt die stellvertretende ZDF-Chefredakteurin Anne Gellinek vorab.

Spannend ist ja vor allem, wie viele der kleinen Parteien in den Bundestag einziehen. Von ihrem Abschneiden hängt ab, ob für die künftige Regierung ein Zweier- oder erneut ein Dreierbündnis gebildet werden muss. Während die Linke inzwischen deutlich über dem Strich steht, kratzen BSW und FDP noch von unten an der Fünf-Prozent-Hürde.

Es soll in dieser Sendung um Themen gehen, die im Wahlkampf bislang weniger Raum bekommen haben: Lösungen gegen die Klimaerwärmung, steigende Kranken- und Pflegebeiträge, die künftige Sicherheitspolitik nach dem wahrscheinlichen Aufkündigen der bestehenden Weltordnung durch die USA.

CSU-Spitzenkandidat Alexander Dobrindt lässt gewöhnlich keine Chance zur Schelte verstreichen: "Die Bundesregierung ist gar nicht vorbereitet", tadelt er. Es habe keine ausreichende Kontaktaufnahme zur neuen US-Administration gegeben, um Gemeinsamkeiten auszuloten.

"Die zentrale Frage ist: Wie reagiert Europa?

SPD-Generalsekretär Matthias Miersch widerspricht: "Die zentrale Frage ist: Wie reagiert Europa?" Für steigende Militärausgaben sei es geboten, die Schuldenbremse zu reformieren. Dobrindt meint, der Wehretat müsse aus dem Bundeshaushalt finanzierbar sein. Das sei möglich und "eine Frage der Prioritätensetzung". In welchen Bereichen er dafür den Rotstift ansetzen will, spart er allerdings aus.

"Ich schlage vor, alle Instrumente auf dem Tisch zu haben, wenn die Lage sich ändert", sagt FDP-Chef Christian Lindner. "Wir müssen uns rüsten, die Zeit der moralischen Appelle und feministischen Außenpolitik ist vorbei." Warum einen zielführenden Beitrag liefern, wenn es auch ein Seitenhieb tut? Die angesprochene Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock sitzt neben Lindner und siezt ihn vor Schreck durchgehend, obwohl Lindner anmerkt, man habe sich doch sonst immer geduzt. Szenen einer gescheiterten Ehe.

AfD-Kandidatin Alice Weidel fährt derweil voll auf der Spur von US-Präsident Donald Trump, der mit Blick auf die Ukraine die Rhetorik des russischen Aggressors übernimmt: "Ich glaube, es war nie richtig, diesen Krieg in einer Schwarz-weiß-Zeichnung zu sehen." BSW-Kandidatin Sarah Wagenknecht mutmaßt, dass die Europäer bereits mit Russland und den USA am Verhandlungstisch säßen, wenn sie die Ukraine nicht mit Waffen unterstützt hätten. "Zunächst mal zeigt sich ja, dass es möglich ist, Verhandlungen zu führen."

Durcheinander entfacht

Baerbock echauffiert sich und adressiert Weidel und Wagenknecht direkt: "Wenn Sie beide einmal dahin gefahren wären und sich einmal vorstellen, Sie würden da mit Ihren Kindern leben, dann würden Sie aber beten, dass Europa Ihnen beisteht." Sie hätte noch den Redebeitrag von Linken-Chef Jan van Aken abwarten sollen, der noch eine Schippe drauflegt. Die NATO sei ein "Verein von Ländern, die mit militärischen Mitteln egoistische Machtinteressen durchsetzen". Auch er glaubt, Frieden sei eher möglich gewesen, "wenn man nicht einseitig auf Waffen gesetzt hätte".

Bald entfacht sich das erste Durcheinander, das Markus Preiß und Diana Zimmermann, die für ARD und ZDF die Hauptstadtbüros leiten, nicht zu beruhigen wissen. Wenn die unzähligen Wahlsendungen eines belegt haben, dann dies: Mit wachsender Zahl der Diskutanten steigt das Risiko auf ein Tohuwabohu. "Das ist ein dummes Geschwätz", hört man Dobrindt rufen, worauf auch immer er sich gerade beziehen mag.

27 Prozent der Wahlberechtigten sind noch unentschieden. Sofern sie sich von der "Schlussrunde" Erhellendes erhofft haben, sollte die Redaktion dem Moderatoren-Duo zeitnah aufs Ohr geben, dass das Publikum bei diesem Wirrwarr rein gar nichts versteht.

Wahlfreiheit ab 74.000 Euro

Beim Themenpunkt zur medizinischen Versorgung geht es vor allem um die Frage, ob gesetzliche und private Krankenkassen zusammengelegt werden sollen. Die Voten sind kaum überraschend, CDU/CSU, FDP und AfD sind dagegen. "Wahlfreiheit ist ein Teil der Qualität unseres Gesundheitssystems", sagt Lindner und offenbart damit eine durchaus eigentümliche Vorstellung vom Begriff der Wahlfreiheit - schließlich brauchen Arbeitnehmer ein Brutto-Jahreseinkommen von mindestens 73.800 Euro, um sich privat versichern zu können.

SPD-General Miersch fordert eine Termingarantie für gesetzlich Versicherte auch bei Fachärzten. "Am Ende wird es die solidarische Bürgerversicherung geben müssen." Laut Wagenknecht ist ausreichend Geld im System vorhanden, das Problem sei die Privatisierung der Krankenhäuser gewesen. Ein Krankenhaus, das auf Gewinn getrimmt sei, frage nicht, was ein Patient brauche, sondern welche teure Behandlungsmethode man anwenden könne. "Gesundheit darf man nicht dem Markt überlassen", sagt sie.

Mit Blick auf die Pflege sagt Linke-Chef van Aken: "Wir müssen endlich mal gerecht daran gehen." Einkommen jenseits von 5500 Euro würden bei der Berechnung der Beiträge nicht berücksichtigt. Er fordert, dass Menschen mit 100.000 Euro Einkommen den gleichen Prozentsatz zahlen müssten wie Menschen mit geringen Einkommen. Egal, wie man dazu inhaltlich steht, es bleibt der einzige konkrete Vorschlag, wie das Pflegesystem künftig finanziert werden könnte. Zwar sind sich auch die anderen darin einig, dass der Pflegebedarf steigen wird - sie bleiben aber schuldig, wo das Geld herkommen soll.

Wehrpflicht und Klimawandel

Weiter geht es mit den jungen Wählerinnen und Wählern. Die AfD fordert die Einführung einer Wehrpflicht von zwei Jahren, was für FDP-Chef Lindner einer Freiheitsberaubung gleichkommt. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erklärt, dass ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr neben Bundeswehr, Feuerwehr und sozialen Diensten auch einen Auslandsaufenthalt ermögliche, damit die Milieus zueinander fänden. BSW und Linke sind gegen eine Pflicht. Wäre man nun schlauer, säße man noch einmal im für diese Fragen entscheidenden Alter vor dem Fernseher?

Immerhin zehn Minuten werden dem im Wahlkampf nur stiefmütterlich behandelten Klimawandel freigeräumt. "Das Klima nicht zu schützen, kostet uns viel mehr Geld", sagt van Aken. Zuschüsse müssten sozial abgefedert werden. Es ist der Startschuss zur finalen Dissonanz. Die Stimmen überschlagen sich, Dobrindt unterbricht, Linnemann bleibt die Antwort schuldig, ob die Union Wärmepumpen weiter fördern wolle, alle reden und rufen durcheinander, das Wort "Fiasko" ist zu hören und das von der seltsam ungriffigen "Technologieoffenheit". Die Moderatoren wünschen einen guten Abend.

Quelle: ntv.de

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