
In der Haushaltsdebatte im Bundestag bricht ein Streit auf, der seit Wochen schwelt: Es geht um die Frage, wer das Geld aus dem geplanten Sondervermögen über 100 Milliarden Euro bekommt. Wirklich nur die Bundeswehr? Darauf besteht die Union und zweifelt an der Entschlossenheit der Ampel.
Als Kanzler Olaf Scholz am 27. Februar ein "Sondervermögen Bundeswehr" ankündigte, erntete er viel Beifall, auch aus der Union. Unter dem Eindruck des russischen Überfalls auf die Ukraine drei Tage zuvor kündigte er das Ende der jahrelangen Ausrüstungsmisere der deutschen Armee an. Es war eine historische Entscheidung, Scholz sprach von einer "Zeitenwende". Doch mittlerweile ist die Feierlichkeit verflogen und die Einigkeit zwischen Union und Ampel bröckelt. CDU und CSU werfen der Regierungskoalition vor, das Geld womöglich nicht nur der Bundeswehr zukommen zu lassen, sondern Teile davon für andere Dinge ausgeben zu wollen.
Der Streit schwelt seit einigen Wochen im Hintergrund und brach an diesem Mittwoch während der Haushaltsdebatte im Bundestag offen aus. "Die Ausgaben müssen, so wie Sie es hier gesagt haben, Investitionen in die Bundeswehr sein und in nichts anderes", sagte CDU-Fraktionschef Friedrich Merz an die Adresse von Scholz. Und kurz darauf: "Wir werden hier nicht einen 100-Milliarden-Euro-Blankoscheck erteilen und Sie machen damit, was Sie wollen!" Um das sicherzustellen, forderte er ein Gremium, das die Investitionen überwacht, damit diese auch "tatsächlich stattfinden". Selbstverständlich möchte er die CDU in dem Gremium vertreten sehen.
Was ist da los? War nicht klar, dass die 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr fließen sollen? Scholz' Rede Ende Februar war eigentlich in diesem Punkt eindeutig. Doch in den vergangenen Wochen kamen Zweifel daran auf. So forderte etwa Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang in der "Zeit", von einem "erweiterten Begriff von Sicherheit" auszugehen. Es müssten auch die nötigen Mittel in diplomatische Arbeit, humanitäre Hilfe und Zivilschutz investiert werden. Auf Nachfrage zeigte sie sich bereit, auch einen Konflikt mit Kanzler Scholz zu riskieren. "Wer nicht bereit ist, in Konflikte zu gehen, sollte nicht in die Politik gehen", meinte sie. Anfang März hatte außerdem der Grünen-Abgeordnete Andreas Audretsch gesagt, Sicherheit bedeutete, die Abhängigkeit von Kohle, Öl und Gas aus Russland zu beenden, auch indem man massiv in erneuerbare Energien investiere.
Heißt das, ein Teil der 100 Milliarden Euro könnte in Windräder und Flüchtlingshilfe fließen? Den Eindruck bekamen zumindest manche in der Union.
Union darf mitreden
Die dürfte gerade genießen, dass sie noch ein Wort mitzureden hat. Denn um das Sondervermögen überhaupt auf den Weg zu bringen, muss der Bundestag das Grundgesetz ändern, wofür zwei Drittel der Stimmen notwendig sind. Ohne Schützenhilfe aus der Opposition wird die Ampel-Koalition dies also nicht hinbekommen. Und da ist die Union die erste Adresse für die Regierung. Mit der AfD will man nicht paktieren, und von der rüstungskritischen Linken ist in dieser Frage keine Hilfe zu erwarten. Das gibt CDU und CSU die Möglichkeit, mitzureden und Bedingungen zu stellen. Und Merz' entschlossener Auftritt im Bundestag ließ keinen Zweifel daran, dass er das voll ausnutzen möchte.
Wie der "Spiegel" am Dienstag auf seiner Internetseite berichtete, gab es hinter den Kulissen zuletzt schon Streit um die neue für das Grundgesetz vorgesehene Formulierung. Ursprünglich war die Idee, in den fraglichen Artikel 87a hineinzuschreiben, das Sondervermögen diene der "Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit der Streitkräfte".
Das wäre ziemlich eindeutig gewesen. Doch mittlerweile sollen laut Bericht "die Streitkräfte" gestrichen worden sein. Damit könnte es möglich werden, Teile des Sondervermögens für andere Bereiche abzuzweigen - im Sinne des "erweiterten Begriffs von Sicherheit", wie er der Grünen-Chefin vorschwebt. Der entsprechende Gesetzentwurf erlaube es, "Maßnahmen zur Stärkung im Cyber- und Informationsraum sowie zur Ausstattung und Ertüchtigung der Sicherheitskräfte von Partnern" aus dem Sondervermögen zu finanzieren, heißt es beim "Spiegel".
Lässt die Union das Vermögen platzen?
Für Scholz ist das heikel. Denn er steht im Wort, seine Äußerungen in der "Zeitenwende"-Rede waren eindeutig. Macht er Zugeständnisse an die Grünen, um den Koalitionsfrieden zu wahren? Ein Machtwort gab es von ihm bisher nicht. In der Haushaltsdebatte zeigte er sich aber offen für Gespräche. Es sei völlig in Ordnung, dass Merz seine Vorstellungen kundtue. Es solle eine gemeinsame Sache für Deutschland werden, so der Kanzler. "Alle Investitionen kommen einem klaren Zweck zugute: unserer Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit." Die Gelegenheit, hinzuzufügen, dass das Geld ausschließlich an die Bundeswehr fließen wird, ließ Scholz aus. Das letzte Wort ist in der Sache also wohl noch nicht gesprochen.
Beistand innerhalb der Ampel-Koalition darf Scholz von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht erwarten. Ihre Äußerungen in der Haushaltsdebatte zeigten, dass sie ganz klar damit rechnet, das gesamte Geld in die Truppe stecken zu dürfen. "Wir stehen gemeinsam in der Verantwortung, das auch so durchzuführen", meinte sie mit Blick auf das Sondervermögen. Das richtete sich wohl vor allem an die Union, aber auch die Grünen dürften das gehört haben. "Wir geben der Bundeswehr die volle Einsatzbereitschaft zurück", versprach die SPD-Politikerin.
Fehlt nur noch die Zustimmung der Union. Lässt sie das Sondervermögen platzen, wenn ihre Bedingungen nicht erfüllt werden? Das wäre eine Überraschung, denn eigentlich sieht man sich ja als die bundeswehrfreundlichste Partei. Aber es gehört wohl zur Verhandlungsführung, den Eindruck zu erwecken, dass es tatsächlich möglich ist.
Quelle: ntv.de