Politik

Fossile Giganten bei der COP"Die Saudis verbreiten heiße Luft, Russland ist ein Totalausfall"

20.11.2025, 12:10 Uhr 1701108090714Clara Pfeffer
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Kein Amazonas, kein Wasser: Mit einer schwarzen Brasilien-Flagge machen Demonstranten am Rande der COP30 in Belém darauf aufmerksam, was passiert, wenn fossile Unternehmen und Staaten bekommen, was sie wollen. (Foto: AFP)

Bei der COP30 in Belém sind nicht nur Wissenschaftler und regionale Politiker zu Gast. Tausende Delegierte und Lobbyisten aus allen Ländern und Industrien ringen auf der Klimakonferenz um Macht, Einfluss und Allianzen. Selbst Russland ist mit einem offiziellen Tross vertreten. Ohne ernste Absichten. "Die versuchen gar nicht erst, seriös zu wirken", sagt Niklas Höhne im "Klima-Labor" von ntv. "Die Ziele sind lächerlich." Deutlich ambitionierter treten dem COP-Veteranen zufolge die Saudis auf. Der neue Taktgeber ist nach dem Abschied der USA jedoch das Powerhouse der Energiewende: "China lehnt sich zurück und schaut, wer sich anschließen möchte", sagt Höhne. "China profitiert von seinen grünen Produkten." Und Europa? Streitet sich auch in Belém über mehr oder weniger Klimaschutz. Und wird deshalb beim Abschied von fossilen Technologien inzwischen von Schwellenländern wie Äthiopien abgehängt.

ntv.de: Bei der Klimakonferenz geht es längst nicht mehr nur um Temperaturziele, sondern um Macht, Einfluss und Bündnisse. In einem neuen Bündnis werben jetzt 23 Ministerinnen und Minister aus 23 verschiedenen Ländern dafür, aus fossilen Energien auszusteigen. Deutschland war mit Umweltminister Carsten Schneider dabei. Was ist das wert?

Niklas Höhne: Im Pariser Klimaschutzabkommen haben vor zehn Jahren alle Länder zusammen beschlossen, dass wir die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen wollen. In dem Abkommen steht aber nicht explizit drin, dass wir dafür aus Kohle, Öl und Gas aussteigen müssen. Das wurde erst vor zwei Jahren ergänzt. Seitdem hält die fossile Lobby dagegen und wehrt sich. Aber solange wir Öl, Kohle und Gas verbrennen, wird die globale Temperatur ansteigen. Wir müssen raus aus den Fossilen, die müssen auf null. Dafür brauchen wir einen Fahrplan. Deswegen ist das Signal der Ministerinnen und Minister wichtig. Das hat mich positiv überrascht, damit habe ich nicht gerechnet.

Zu dieser Allianz gehören mehrere EU-Staaten, aber auch Kolumbien oder kleinere Länder wie die Marshallinseln sind vertreten. Ist das ein Zeichen dafür, dass derzeit neue Bündnisse geschmiedet werden?

Die Welt verändert sich. Die USA haben die Weltbühne verlassen, andere möchten diese Lücke füllen. In diesem Fall ist das Bündnis logisch, denn diese Länder sind vom Import fossiler Energien abhängig. Europa gibt jedes Jahr 380 Milliarden Euro für fossile Energien aus. Das Geld ist weg. Das könnte man genauso gut in erneuerbare Energien investieren und in der Heimat Wertschöpfung schaffen. Dann wären wir auch nicht länger abhängig und erpressbar. Dieses Problem haben andere Länder auch. Mit Kolumbien hat sich sogar ein Land angeschlossen, das fossile Energien produziert und exportiert.

Viel Kohle …

Genau. Kolumbien verfügt über enorme fossile Ressourcen, sagt aber trotzdem: Wir möchten aussteigen. Wir wissen, dass das langfristig nicht funktioniert. Das ist das Alleinstellungsmerkmal. Es wird interessant sein, zu beobachten, ob sich diese Koalition gegenseitig helfen kann. Auch, weil sich durch den Ausstieg aus der Öl-, Gas- und Kohleförderung die Bonität von Kolumbien verschlechtert hat, denn die Ratingagenturen sagen: Das könnte ökonomisch schwierig werden. Jetzt muss Kolumbien höhere Zinsen auf seine Kredite zahlen. Das Land wird dafür bestraft, dass es das Richtige tut. Das ist kontraproduktiv.

Eigentlich lautet die Erzählung inzwischen, dass erneuerbare Energien kluge Wirtschaftspolitik sind. Ist das falsch?

Klimaschutz lohnt sich für alle Länder, die fossile Energien importieren müssen. Äthiopien etwa hat Verbrenner verboten, denn wenn man Verbrenner importiert, muss man auch Benzin besorgen. Das hat Äthiopien nicht. Das Land verfügt aber über enorm viel Wasserkraft. Für Äthiopien ist es also viel günstiger, auf Elektroautos zu setzen. Das ist in anderen Ländern auch der Fall.

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Niklas Höhne ist Mitgründer des New Climate Institutes, hat eine Professur für die Minderung von Treibhausgasemissionen an der Universität Wageningen in den Niederlanden und ist Mitautor mehrerer Weltklimaberichte. (Foto: Paul Zinken/dpa)

Äthiopien ist kein Einzelfall. Viele, speziell ärmere Schwellenländer versuchen, fossile Technologien zu überspringen. Haben diese Länder Europa als Anführer beim Klimaschutz abgelöst?

Manche Länder verdienen viel Geld mit fossilen Energien. Andere haben größere Vorkommen, die sie erschließen wollen. Wieder andere Länder pflegen wirtschaftliche Beziehungen zu diesen Ländern. Deswegen wird oft entschieden, sich nicht zu trennen. Es gewinnen eben nur einige Länder und es gibt viele Verlierer. Bei dem Pfad in Richtung Erneuerbare und Energieeffizienz ist es umgekehrt.

Saudi-Arabien hat bei der Klimakonferenz aber auch einen supermodernen Hightech-Pavillon aufgebaut, in dem sich das Land als die Quelle der erneuerbaren Energien präsentiert und für ein zirkuläres System wirbt, in dem CO2 recycelt und wiederverwendet wird. Wie passt das zusammen?

Bei Saudi-Arabien ist viel heiße Luft dabei. Die haben sich das Ziel gesetzt, bis 2030 50 Prozent Erneuerbare zu erreichen. Das wurde groß gefeiert, aber bisher ist nichts passiert. Derzeit sind es zwei Prozent. Daraus sollen in fünf Jahren 50 Prozent werden? Das schaffen sie nicht. Aus meiner Sicht möchte Saudi-Arabien das fossile Geschäft so lange wie möglich weiterführen. Die Ölindustrie ist die reichste Industrie der Welt. Laut manchen Berechnungen macht sie drei Milliarden Euro Gewinn am Tag. Für Saudi-Arabien ist es wichtig, dass es bei den Klimakonferenzen langsam vorangeht. Die Vertreter haben die Verhandlungen in der Vergangenheit immer wieder blockiert. Die Beschlüsse beruhen auf Einstimmigkeit. Wenn ein einziges Land dagegen ist, passiert gar nichts.

Bei der Klimakonferenz 2023 in Dubai haben sich die Vereinigten Arabischen Emirate und auch Saudi-Arabien allerdings dazu durchgerungen, den Satz "Transitioning away from fossil fuels" in der Abschlusserklärung mitzutragen: Wir bewegen uns weg von den fossilen Brennstoffen.

Das war überraschend, weil der Begriff "fossile Energien" in vorherigen Verhandlungstexten nicht einmal vorkam. Das wurde bewusst vermieden. Aber die Vereinigten Arabischen Emirate wollten auf ihrer Konferenz unbedingt einen Erfolg präsentieren und haben auf die Saudis eingewirkt. Das zeigt, wie Klimakonferenzen funktionieren: Der Druck muss enorm hoch sein. Jetzt muss man schauen, was die brasilianische Regierung erreichen kann. Sie ist sehr engagiert, weil auch sie etwas vorweisen möchte und kann als großer fossiler Produzent vielleicht ein guter Vermittler sein.

Die brasilianische Regierung hat gerade erst Ölbohrungen genehmigt.

Ja, das passt alles nicht wirklich zusammen: Brasilien genehmigt Ölbohrungen und möchte gleichzeitig die Abholzung des Regenwaldes stoppen? Das Land sitzt zwischen den Stühlen, aber wie gesagt: Vielleicht ist das ein Vorteil.

Anders als die USA ist auch Russland wie jedes Jahr mit einer offiziellen Delegation bei der COP vertreten. Diplomatisch ausgedrückt: Die beteiligt sich eher nicht konstruktiv an den Verhandlungen. Was wollen die hier?

Russland ist ein klimapolitischer Totalausfall. Die gesamte Wirtschaft basiert auf fossilen Energien. Ohne sie wäre Russland längst zusammengebrochen. Selbst die nationalen Ziele sind lächerlich: Russland möchte bis 2043 drei Prozent seines Energiebedarfs mit erneuerbaren Energien decken. Das ist nichts. Die versuchen gar nicht erst, seriös zu wirken. Die wollen nur den Schein wahren.

Und die Verhandlungen beeinflussen?

Das kann ich nicht beurteilen, aber generell versuchen die ölproduzierenden Staaten sehr deutlich, den Prozess zu stören. Die entscheidende Frage ist, wer wen in Schach halten kann. Diese Aufgabe haben in der Vergangenheit oft die USA übernommen, auch wenn sie selbst nie die Schnellsten waren. Aber sie waren wenigstens am Prozess interessiert und wollten, dass es vorangeht. Deshalb haben sie andere Ölstaaten auch mal angetrieben, was zu tun. Wer hält die jetzt im Zaum? Das wird sich zeigen.

Kann Brasilien diese Rolle übernehmen? Die brasilianische Regierung möchte gerne. Brasilien stellt in Belém laut einer Auswertung mit 3800 Delegierten mit Abstand die meisten. China folgt auf Platz zwei mit 789 Delegierten, Nigeria auf Platz drei mit 749 Delegierten. Deutschland liegt mit 160 im unteren Mittelfeld.

Das hängt nicht von der Zahl der Delegierten ab, sondern vom Verhandlungsgeschick und dem Entscheidungswillen der Präsidentschaft. Meistens sind nur wenige Personen beteiligt, in diesem Fall der Präsident der Klimakonferenz, die brasilianische Umweltministerin und Staatschef Lula da Silva selbst. Die müssen die Verhandlungen vorantreiben. Die sind sehr engagiert, das ist toll. Was am Ende dabei herauskommt, wird man sehen.

Warum schicken Brasilien, China, Nigeria oder auch Indonesien dann so viele Vertreterinnen und Vertreter? Ist das ein Spiegelbild einer neuen Weltpolitik?

An den offiziellen Verhandlungen sind nur die wenigsten Delegierten beteiligt. Die COP ist inzwischen viel mehr als eine Klimakonferenz. Das ist eine große Messe für den Klimaschutz, auf der man die unterschiedlichsten Menschen treffen kann: Wissenschaftler, Abgeordnete und Vertreter von Städten und Regionen kommen her, um die Verhandlungsergebnisse zu verstehen. Industrievertreter sind hier, um Geschäfte zu machen.

Erkennen Sie einen Trend? Tun sich Länder zusammen, von denen man es nicht erwartet hätte? Abgesehen von den USA sind nach wie vor alle Nationen vertreten.

Ein Trend ist China. Das ist der größte Emittent, inzwischen aber auch das Powerhouse der Energiewende: China baut 80 Prozent aller Solarmodule, 60 Prozent der Windkraftanlagen, 75 Prozent der Elektroautos. Batterien. Elektrolyseure - alles, was wir brauchen. China erwirtschaftet inzwischen 10 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts mit grünen Produkten und lehnt sich hier locker zurück und schaut, wer sich dem anschließen möchte: China profitiert, während Europa über mehr oder weniger Klimaschutz streitet. Das ist die aktuelle Dynamik.

China hat sich bereits in der Vergangenheit konstruktiv gegeben, war anders als die Industrienationen aber nie bereit, andere Länder finanziell zu unterstützen. Peking hat sich immer auf den Stand von 1990 berufen, sich selbst zu den Entwicklungsländern gezählt und bis heute kein Geld für globalen Klimaschutz auf den Tisch gelegt.

China zahlt schon Geld an andere Länder für eine klimafreundliche Entwicklung, aber eher im Rahmen von Projekten wie der Seidenstraße. Im vergangenen Jahr hat China auch betont: Wir müssten das gar nicht tun, wir machen das freiwillig! Das habe ich schon als Entgegenkommen gesehen. Der nächste Schritt wäre tatsächlich, dass China in die offiziellen Fonds einzahlt.

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Chinas Staatschef Xi Jinping hat die Klimakonferenz in Brasilien nicht besucht, ist aber trotzdem der bestimmende Mann der COP. (Foto: AFP)

Wäre es auch für Europa sinnvoller, Klimaschutz wie China als ökonomisches Projekt einzurahmen und günstige Kredite zu vergeben, wenn davon grüne Technologien von uns gekauft werden?

China macht nichts aus Zufall. Alles ist strategisch und mit langem Atem geplant. Das funktioniert in einer Autokratie. Dort kann man langfristig Programme aufsetzen und mit allen Konsequenzen knallhart durchziehen. In einer Demokratie läuft das anders. Uns fehlt eine klare Vision, wie die Zukunft aussehen soll. Deswegen treffen wir eher kurzfristige Entscheidungen und bestrafen derzeit die Vorreiter, die auf die Zukunft gesetzt haben und belohnen diejenigen, die nichts tun.

Ist es aus geopolitischer Sicht dann nicht nachvollziehbar, wenn die USA oder einige europäische Regierungen sagen: China hat bei grünen Technologien gewonnen. Lasst uns lieber die Branchen stützen, in denen wir noch vorn dabei sind.

Nein, weil man ein totes Pferd reitet. Wer will den Verbrenner denn haben? Der größte deutsche Absatzmarkt war China. Dort boomen Elektroautos. Fertig. Die sind besser, günstiger und auch schicker irgendwie. Es nützt nichts, rückwärtszugehen. Wir müssen nach vorne schauen und gucken: Was ist die nächste große Innovation? Wie können wir dort dabei sein? Gerade jetzt ist nicht der Zeitpunkt für weniger Klimaschutz, sondern für mehr Klimaschutz. Damit bringt man die Wirtschaft auf Vordermann.

Mit Niklas Höhne sprach Clara Pfeffer. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

Klima-Labor von ntv

Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.

Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?

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Quelle: ntv.de

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