Erwärmung bereits verhindert Warum das Pariser Abkommen ein heimlicher Erfolg ist
09.11.2025, 11:32 Uhr Artikel anhören
Vertreter von fast 200 Staaten wollen sich bei der UN-Klimakonferenz COP30 in Brasilien auf neue Vorgaben für den Klimaschutz verständigen.
(Foto: dpa)
Die Erderwärmung schreitet voran und Naturkatastrophen nehmen zu. Dennoch hat das Pariser Klimaabkommen die prognostizierte Erwärmung bereits deutlich gesenkt. Experten erklären, warum selbst das Verfehlen des 1,5-Grad-Ziels kein endgültiges Scheitern ist.
Wenn die Welt sich zur COP30 in Brasilien trifft, feiert das Pariser Klimaabkommen seinen zehnten Geburtstag. Dieses Übereinkommen legte in einem völkerrechtlichen Vertrag fest, dass die globale Erwärmung auf "deutlich unter" zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen ist, am besten aber 1,5 Grad nicht überschreiten soll. Wo stehen wir zehn Jahre später?
Die Erderwärmung schreitet unaufhaltsam voran, das 1,5-Grad-Ziel scheint außer Reichweite. Naturkatastrophen schlagen immer häufiger und immer heftiger zu - die Schäden sind enorm, die Kosten exorbitant. Ist Paris also gescheitert? Nein. Hört sich seltsam an, aber das Abkommen ist ein Erfolg.
Beginnen wir mit einem kurzen Rückblick: Es war ein magischer Moment an diesem 12. Dezember 2015 in Paris. Die UN-Klimakonferenz COP21 sollte eigentlich schon am 11. Dezember enden, aber wie so oft erzielten die Staaten keine Einigung. In der Verlängerung aber gelang der Durchbruch - die Welt zeigte eine historische, weil nie dagewesene Einigung. 195 Staaten verpflichteten sich dazu, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. An diesem Tag lag sich die Welt in den Armen - es war ein magischer Moment.
Paris 2015 mit messbarem Erfolg
Aber zehn Jahre später, so scheint es, ist die Welt keinen Deut besser geworden. Das 1,5-Grad-Ziel scheint schon jetzt nicht mehr zu halten, Hitzewellen, Überschwemmungen und Hurrikane reißen tausendfach Menschen aus dem Leben. Wälder werden abgeholzt, ganze Landstriche werden verwüstet und zu allem Überfluss übernehmen Klimaleugner in vielen Ländern der Welt das Zepter der Macht. Wie kann das "Paris Agreement" dann bitte ein Erfolg sein?
"Das Pariser Klimaabkommen hat deutlich etwas verändert", sagt Niklas Höhne vom NewClimate Institute. "Die Länder haben sich Null-Emissionsziele gesetzt. Mit den jetzigen Vereinbarungen ist die Welt von einer Erwärmung um 3,5 Grad auf 2,5 Grad gekommen. Und wenn wir die Ziele von Indien und China einbeziehen, bis 2070 und 2060 klimaneutral zu sein, dann landen wir unter zwei Grad Erwärmung", so Höhne, der seit den 1990er Jahren an fast allen Klimakonferenzen teilgenommen hat, und den Wandel mitverfolgt.
"80 Prozent des Zubaus sind Erneuerbare"
"Paris 2015 war ein Plan, die Welt auf den Pfad der Transformation zu bringen - und das wurde völkerrechtlich implementiert", lobt Christiana Figueres das Abkommen. Die Politikerin aus Costa Rica gilt als eine der Architektinnen des Pariser Abkommens. "Mittlerweile kommen 80 Prozent des Energiezubaus aus den Erneuerbaren, es wird zweimal mehr in erneuerbare als in fossile Energien investiert", erklärt sie. Selbst Big Oil, die großen Ölunternehmen, hätten verstanden, dass Investitionen in Erneuerbare die Zukunft seien. Figueres rechnet vor, dass im Jahr 2015 nur eines von 100 neu angemeldeten Autos ein E-Auto gewesen sei, heute sei bereits jedes fünfte Neufahrzeug ein batteriebetriebenes.
"Wir sehen jetzt sehr viele Player, die dabei sind, die Welt zu einem besseren Ort zu machen", sagt Jennifer Morgan, die von 2022 bis 2025 Sonderbeauftragte der deutschen Regierung für internationale Klimapolitik war und zuvor jahrelang Chefin von Greenpeace. "Wir sehen das in vielen Bereichen, sei es gesundes Essen oder Nachhaltigkeit." Im vergangenen Jahrzehnt habe sich ein ganz neues Bewusstsein entwickelt. Regierungen und die Wirtschaft hätten gelernt, dass die Klimakrise mit hohen Kosten verbunden sei. Und schließlich kämen mittlerweile 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus der grünen Industrie, die ein schnell wachsender Zweig sei, so Morgan.
"Außer USA kein Land ausgeschert"
Das alles sind ungeheure Erfolge, die in nur einem Jahrzehnt erzielt wurden. Und das liegt laut Lambert Schneider, Teil der EU-Verhandlungsdelegation bei der COP30 in Belem, an der "klugen Architektur" des Pariser Abkommens. "Es ist gut geschrieben, alle fünf Jahre neue Ziele einzureichen und die Maßnahmen transparent zu machen. Es wird konstruktiv zusammengearbeitet. Klimaschutz aus ideologischen Gründen zu torpedieren, macht auch ökonomisch keinen Sinn. Das wird sich nicht durchsetzen", blickt Schneider voraus. Und: "Nach dem Rückzug der USA ist eigentlich kein weiteres Land ausgeschert, viele Länder sind weiterhin ambitioniert, vor allem die Entwicklungsländer."
Alles gut also? Die Realität scheint eine ganz andere Sprache zu sprechen: Verheerende Waldbrände, tödliche Taifune, Überschwemmungen, Felsstürze in den Alpen, Temperaturrekorde - es scheint, die Klimakrise sei völlig außer Rand und Band. "Das Pariser Klimaabkommen kann das Problem nicht alleine lösen", räumt Höhne ein. "Wir stehen heute besser da als vor zehn Jahren, das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Fortschritt zu wenig und zu langsam ist", sagt er, betont aber gleichzeitig: "Ohne diesen Prozess stünden wir viel schlechter da."
Und so werden wir wohl die 1,5 Grad schon bald reißen. Aber, und damit bleiben wir bei guten Nachrichten, das kann sehr wohl nur ein vorübergehender "Overshoot" sein. "Auch wenn wir die 1,5 überschreiten, heißt das nicht, dass wir sie nicht erreichen können, wenn wir erst die Transformation geschafft haben", blickt Figueres auf eine Welt im Jahr 2100 voraus. Morgan pflichtet ihr bei: "Wir bleiben bei den 1,5 Grad, auch wenn wir sie jetzt erstmal reißen." Denn vieles gehe eindeutig in die richtige Richtung.
Mutirão: Mit gemeinsamer Anstrengung ans Ziel
Aber was ist mit den rückwärtsgewandten Regierungen, die Klimaschutz torpedieren und sogar komplett leugnen? "Die Weltlage ist eine andere, aber das Pariser Klimaabkommen hat etwas ins Rollen gebracht", so Höhne. "Alle denken in Null-Emissionen, arbeiten an CO2-freiem Stahl, an der E-Mobilität. Trotz des Gegenwinds ist da schon so viel angestoßen, das ist nicht mehr aufzuhalten", sagt er.
"Es sind ja nicht die Regierungen, die das CO2 emittieren, es sind alle Player. Und deshalb müssen alle Player in den Prozess der Transformation einbezogen werden", erklärt Figueres. Und da werde die COP30 mit den brasilianischen Verhandlungsführern ansetzen. Die COP in Belem werde einen neuen Weg gehen. "Alle haben eine Rolle, alle haben eine Verantwortung", sagt sie. Mutirão sei das Stichwort - das ist portugiesisch und bedeutet "gemeinsame Anstrengung". Unter diesem Motto steht die COP30. Und vielleicht erleben wir in Belem dank "Mutirão" zehn Jahre nach Paris wieder einen magischen Moment, der die Welt für einen Moment vereint.
Quelle: ntv.de