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Nur Show oder wirksames Mittel? Was Grenzkontrollen bringen

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Beamte der Bundespolizei stehen am deutsch-polnischen Grenzübergang Stadtbrücke in Frankfurt (Oder).

Beamte der Bundespolizei stehen am deutsch-polnischen Grenzübergang Stadtbrücke in Frankfurt (Oder).

(Foto: Patrick Pleul/dpa)

Die Union fordert eine Ausweitung der Grenzkontrollen, Innenministerin Faeser schließt sie nicht mehr aus. Doch Experten, etwa von der Gewerkschaft der Polizei zeigen sich skeptisch. Was bringen sie? Was ist genau geplant? Fragen und Antworten.

Vor allem über Tschechien und Polen, aber auch auf anderen Routen kommen seit einigen Monaten wieder mehr Asylbewerber nach Deutschland. Zwischen Anfang Januar und Ende August haben mehr als 204.000 Menschen erstmals Asyl beantragt. Schätzungen zufolge könnten es bis Jahresende 300.000 oder auch 350.000 Asylbewerber sein. Sie addieren sich zu den rund zwei Millionen Syrern, Irakern, Afghanen, Ukrainern und vielen anderen, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland kamen.

Im Trendbarometer von RTL und ntv messen die Befragten dem Thema Zuwanderung mehr und mehr Bedeutung zu. Bürgermeister und Landräte schlagen Alarm, weil sie die eintreffenden Migranten kaum noch unterbringen können. Längst streiten Bund und Länder darum, wer die Rechnungen bezahlt. Doch es geht um mehr als Geld. Ist eine Belastungsgrenze erreicht? Das sagt nicht nur Bayerns Ministerpräsident Markus Söder.

Seit Wochen fordern Innenpolitiker in Bund und Ländern nach stationären Kontrollen an den Grenzen zu Tschechien und Polen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser lehnte das lange ab - nun hat die SPD-Politikerin dem Druck ein Stück weit nachgegeben. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Kommen jetzt die stationären Kontrollen an den Grenzen?

Erstmal nicht, doch Faeser will sie vorbereiten lassen. Solche Kontrollen müssen bei der EU-Kommission beantragt werden. An der Grenze zu Österreich gibt es sie bereits seit 2015. Für weitere Grenzabschnitte will die Bundesinnenministerin einen solchen Antrag zumindest vorerst nicht stellen. Stattdessen plant sie verstärkte Kontrollen in der Nähe der Grenze.

Sie vertritt die Rechtsauffassung, dass die Bundespolizei dabei punktuell - etwa wenn man dort gerade eine Schleusung vermutet - auch direkt an der Grenze Fahrzeuge anhalten kann. Außerdem will Faeser mehr gemeinsame Streifen mit Polen und Tschechien. Faeser betonte zuletzt: "Wirksam und Entlastung für die Kommunen dauerhaft werden nur europäische Lösungen bieten, nämlich eine Grenzkontrolle an der Außengrenze, nicht über Binnengrenzen."

Was spricht für stationäre Kontrollen?

Die Befürworter erhoffen sich davon, Schleuser leichter zu schnappen und bestimmte Asylbewerber gleich zurückweisen zu können. Sachsens Innenminister Armin Schuster machte gegenüber ntv.de auch humanitäre Gründe geltend. Er rechne damit, dass "bald etwas passiert", sagte der CDU-Politiker. Damit meinte er schwere Unfälle mit Toten und Verletzten oder "furchtbare Bilder", wenn bei einer Kontrolle ein Fahrzeug geöffnet werde. Insofern sei es wichtig, die Schleuser möglichst früh zu stoppen.

Zurückweisungen sind möglich, wenn die Person bereits in einem anderen EU-Land gemeldet ist oder dort bereits ein Asylverfahren läuft. Wer bereits einmal in Deutschland Asyl beantragt hat und abgelehnt wurde, kann ebenfalls an der Grenze zurückgewiesen werden. Auch die Durchreise in ein anderes Land ist nicht möglich und ein Abweisungsgrund. Diese Fälle betreffen aber nur einen Teil der Migranten.

Grundsätzlich gilt: Wer an der Grenze aufgegriffen wird, kann gleich einen Asylantrag stellen und muss dann der Ausländerbehörde übergeben werden. Das schreibt das EU-Recht vor. Im Vergleich zum Gesamtaufkommen kommen Zurückweisungen eher selten vor. Migrationsexperten gehen davon aus, dass Abgewiesene erneut versuchen, nach Deutschland einzureisen.

Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik sagte ntv.de, dass Grenzkontrollen einen Beitrag zur Senkung der Asylbewerberzahlen leisten könnten. Der Effekt sei aber überschaubar. Der hohe Migrationsdruck werde dadurch nicht verschwinden. Auch Katharina Barley, SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl im kommenden Jahr, sagte im "ntv Frühstart", Grenzkontrollen seien als letztes Mittel richtig.

Wie oft kommt es zu Zurückweisungen?

An den Grenzkontrollstellen an der deutsch-österreichischen Landgrenze wurden im ersten Halbjahr 2023 nach Angaben der Bundesregierung 4489 Menschen zurückgewiesen. Im gleichen Zeitraum wurden an der deutsch-schweizerischen Landgrenze, wo die Bundespolizei gemäß einer Vereinbarung mit Bern auf schweizerischem Hoheitsgebiet in Zügen kontrollieren darf, 4787 Ausländer zurückgewiesen, vor allem weil sie keine gültigen Reisedokumente vorweisen konnten.

Die CDU verweist darauf, dass im vergangenen Jahr an der deutsch-österreichischen Grenze 14.600 Menschen zurückgewiesen wurden. Die Gesamtzahl stiege natürlich, wenn auch an anderen Grenzen kontrolliert würde, insbesondere denen zu Polen und Tschechien, wo das Aufkommen massiv angewachsen ist.

Was spricht gegen stationäre Grenzkontrollen?

Sie binden viel Personal und sind für Schleuser leicht zu erkennen und damit zu umgehen. Wenn die Kontrollen an einer Stelle verstärkt werden, nehmen die unerlaubten Einreisen erfahrungsgemäß nach einer Weile an einem anderen Grenzabschnitt zu, weil sich die Schleuser darauf eingestellt haben. Hinzu kommt, dass es Schlagbäume, Büros oder Parkplätze gar nicht mehr gibt. Die Polizisten müssten sich anders behelfen.

Außerdem fällt es oft schwer, wenn solche Kontrollen erst einmal eingeführt wurden, einen Ausstieg zu finden. Denn das wirkt dann leicht wie ein Signal, dass ein Staat seine Bestimmungen mit Blick auf irreguläre Migration lockern will. Das zeigt das Beispiel der Kontrollen in Bayern. Die waren im Herbst 2015 erstmals beantragt worden - damals hieß der Bundesinnenminister noch Thomas de Maizière und kam von der CDU. Seither sind sie immer wieder verlängert worden - auch von Nancy Faeser. Das ärgert vor allem die Grünen, die solche Kontrollen generell für falsch halten.

Wo in der EU gibt es aktuell sonst noch stationäre Kontrollen?

Obwohl im Schengen-Raum eigentlich das Prinzip der offenen Binnengrenzen gilt, haben aktuell gleich mehrere Staaten diese Karte gezogen. Spanien hat beispielsweise vom 28. September an für einige Tage Kontrollen angekündigt und dies mit Sicherheitsvorkehrungen rund um die informelle Tagung der Staats- und Regierungschefs in Granada begründet. An Häfen mit Fährverbindungen zu Schengen-Staaten kontrolliert Norwegen aktuell und begründet dies mit Risiken für kritische Infrastruktur an Land und im Seegebiet sowie der Gefahr durch russische Geheimdienstaktivitäten.

Dänemark führt für seine Kontrollen an der Landgrenze zu Deutschland gleich mehrere Gründe an, unter anderem organisierte Kriminalität, irreguläre Migration und die Bedrohung durch islamistischen Terror. Österreich hat für einige Abschnitte Grenzkontrollen notifiziert, Schweden für alle Binnengrenzen. Auch Frankreich hat unter Verweis auf Terror-Risiken und irreguläre Migration über die zentrale Mittelmeerroute und die sogenannte Balkanroute Kontrollen an seinen Grenzen zu Belgien, Luxemburg, Deutschland, Italien, Spanien und der Schweiz beantragt. Die Franzosen kontrollieren aber nicht überall rund um die Uhr, sondern eher punktuell und lageangepasst.

Was sagen die Gewerkschaften?

Die Deutsche Polizeigewerkschaft macht sich für stationäre Kontrollen stark. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält dagegen das französische Modell für besser. "Wir hatten zuletzt zwölf Hundertschaften der Bereitschaftspolizei an den Binnengrenzen und im Grenzraum", sagt Andreas Roßkopf, Vorsitzender des GdP-Bezirks Bundespolizei. Am heutigen Dienstag seien jetzt noch zwei weitere Hundertschaften hinzugekommen. Damit sei die Belastungsgrenze erreicht. Flächendeckende stationäre Kontrollen an der Ost-Grenze wären nach seiner Überzeugung personell nur wenige Wochen durchzuhalten. Im Interview mit ntv.de sprach Roßkopf Ende August gar von einer "Bühnenveranstaltung, die dem Bürger Sicherheit suggerieren soll".

Quelle: ntv.de, vpe/dpa

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