Krieg ohne strategisches Ziel Israel ist der Hamas in die Falle gegangen


Israelische Soldaten im Gazastreifen.
(Foto: via REUTERS)
Die Hamas wollte exakt das, was jetzt passiert: Im Gazastreifen sterben Tausende Zivilisten, Israels Ruf in der Welt ist beschädigt, die Verbündeten der Terroristen in Teheran und Moskau sind zufrieden. Es ist falsch, dem Drehbuch der Hamas zu folgen.
Als die Hamas am 7. Oktober 2023 Israel überfiel und Hunderte Zivilisten skrupellos und grausam tötete, schien es, als gehe es den Mördern vor allem um den Blutrausch. Die Terroristen töteten nicht nur, sie nahmen sich Zeit für Folter und Vergewaltigungen. Sie verschleppten nicht nur 247 Menschen, sie nahmen sogar Leichen mit in den Gazastreifen, um sie dort vorzuführen. Ihr Auftrag lautete: "Tötet so viele Menschen und nehmt so viele Geiseln wie möglich." So steht es in einem Notizbuch, das im Kibbuz Be'eri bei einem toten Hamas-Terroristen gefunden wurde.
Seither wurde häufig gesagt, dass kein Staat einen solchen Überfall hinnehmen könne, ohne darauf massiv zu reagieren. Das war und ist richtig. Ebenso richtig ist ein anderer Satz, der nach dem 7. Oktober ebenfalls gelegentlich fiel: Israel ist der Hamas in die Falle gegangen.
So gut wie alles, was sich seit dem 7. Oktober im Gazastreifen ereignet hat, entspricht dem Drehbuch der Hamas. Kurz nach dem Überfall sagte ein hochrangiger Hamas-Vertreter einem russischen Sender: "Die Israelis sind bekannt dafür, das Leben zu lieben." Das sah er als Schwäche an. "Wir dagegen opfern uns. Wir sehen unsere Toten als Märtyrer." Denn auch, wenn das gern vergessen wird: Die Hamas will Israel vernichten. Das hat sie mit der schiitischen Hisbollah-Miliz im Libanon gemein. "Wir sind entschlossen, gegen Israel zu kämpfen, bis es von der Landkarte verschwindet", verkündete deren Chef Hassan Nasrallah an diesem Dienstag.
Für die Hamas lief der Krieg bisher gut
Die Hamas hat die palästinensischen Toten im Gazastreifen nicht nur in Kauf genommen - es war ihr Ziel, dass so viele palästinensische Zivilisten wie möglich sterben. War die militärische Reaktion Israels deshalb ein Fehler? Nein. Ein Fehler war es, dass der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu als Ziel des Kriegs einen "totalen Sieg" ausgerufen hat, ohne zu erklären, was das sein soll. Dass nie klar war, wann und wie der Krieg enden würde.
Netanjahu spricht zwar davon, dass die Hamas vernichtet, der Gazastreifen entmilitarisiert und die palästinensische Gesellschaft insgesamt "deradikalisiert" werden müsse. Aber wie soll das gehen, wann ist das erreicht? Die Hamas ist eine Terrororganisation, die vom Hass lebt, vom Hass auf Israel - unter den Palästinensern, aber auch in der arabischen und muslimischen Welt und darüber hinaus. Je mehr Hass, desto besser für die Hamas.
So gesehen lief der Krieg für die Hamas bisher ziemlich erfolgreich. Perverserweise hat der Terrorangriff vom 7. Oktober nicht dem Image der Hamas geschadet, sondern untergräbt den Ruf Israels. Vor dem Internationalen Strafgerichtshof muss sich das Land gegen den Vorwurf wehren, im Gazastreifen einen Genozid zu betreiben. Kaum jemand spricht davon, dass aus dem Gazastreifen noch immer Raketen auf Israel geschossen werden. Sehr viel weniger zwar als im Dezember oder gar im Oktober. Aber allein in den vergangenen sieben Tagen musste fast 80-mal Raketenalarm in Israel ausgelöst werden. Die Hamas, die diesen Krieg angefangen hat, tut alles, damit er weitergeht.
Keine Pläne für die Zeit danach
Für Russland hat der Krieg im Gazastreifen den Vorteil, dass sich die Ukraine nun die globale Aufmerksamkeit teilen muss, ebenso die Unterstützung der USA. Ohnehin freuen sich die Verbündeten der Hamas in Moskau und Teheran, wenn Israel als Teil des "kollektiven Westens" an den Pranger gestellt wird, was verwirrte Linke in westlichen Demokratien so fleißig tun, dass in den USA sogar die Wiederwahlchancen von US-Präsident Joe Biden beeinträchtigt sind. Mit ihren Morden hat die Hamas es zudem geschafft, die Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien zu stoppen, zumindest vorerst, was wiederum Russland und dem Iran gefällt. Und Israel? Selbst, wenn es die Hamas vernichten sollte, könnte es am Ende schwächer dastehen als zuvor.
Schon jetzt ist der Krieg gegen die Hamas der längste in der israelischen Geschichte, für die palästinensische Zivilbevölkerung einer der blutigsten. Dabei hat Israel nicht nur keine realistischen strategischen Ziele und kein Exit-Szenario, es gibt auch keine umsetzbaren Pläne für die Zeit danach. Sollte Israel aus Mangel an Alternativen gezwungen sein, langfristig im Gazastreifen zu bleiben, wäre das ein weiterer Sieg der Hamas, da in der kranken Logik des islamistischen Terrorismus Tod und Unterdrückung wünschenswert sind - je mehr Tote, je massiver die Unterdrückung, umso stärker wird der internationale Druck auf Israel, bis das Land, so die Hoffnung der Hamas, der Hisbollah und des Iran, eines Tages komplett isoliert ist.
Netanjahu weiß das alles natürlich, aber er kümmert sich nicht darum. Derzeit halten sich weit mehr als eine Million Palästinenser in Rafah auf, größtenteils sind sie dorthin geflohen, weil Israel ihnen gesagt hat, dass sie dort sicher wären. In den zerstörten Norden des Gazastreifens können sie nicht zurück. Netanjahu will die Armee nach Rafah schicken, wenn sich die Zivilisten dort in Sicherheit gebracht haben. Israel hat dazu eine humanitäre Zone ausgewiesen, die nach einer Berechnung der Zeitung "Haaretz" so groß ist wie der Flughafen von Tel Aviv und wo sich jetzt schon Zehntausende aufhalten. Die humanitäre Katastrophe droht noch schlimmer zu werden.
Israel braucht einen Ausweg aus diesem Krieg - für die Palästinenser, aber auch für sich selbst. Das ist nicht leicht und nicht selbstverständlich, denn die Bedrohung durch die Hamas und die anderen palästinensischen Terrorgruppen hält an, Alternativen zum Krieg werden nicht einfach zu finden sein. Es wird auch keinen Frieden geben, nur weil der Krieg aufhört. Aber die vergangenen Monate haben gezeigt, dass es keine gute Idee ist, dem Drehbuch von Terroristen zu folgen.
Quelle: ntv.de