
Wohl keine Freunde: Borowka und Maradona.
(Foto: imago images/Kicker/Liedel)
Die ganze Fußballwelt fürchtet vor 35 Jahren keinen Spieler mehr als den Weltstar Diego Armando Maradona. Doch als Werder Bremen im Winter 1989 auf den SSC Neapel trifft, ist von der Herrlichkeit des Argentiniers nur wenig zu sehen. Das liegt auch an einem Mann, der den Beinamen die "Axt" trug - Uli Borowka.
"Vor dem habe ich keine Angst", erzählte Bremens Uli Borowka souverän und selbstbewusst einer großen deutschen Sportillustrierten wenige Tage vor dem UEFA-Pokal-Hinspiel vor 35 Jahren in Neapel. Mit "dem" war niemand Geringeres als der Weltmeister von 1986, der Superstar des internationalen Fußballs, Diego Armando Maradona gemeint. Im Achtelfinale der Saison 1989/90 trafen die Bremer Ende November im Stadio San Paolo auf den SSC Neapel, mit echten Hochkarätern wie Alemao, Careca, Carnevale und natürlich dem unnachahmlichen argentinischen Ausnahmekönner in seinen Reihen.
Doch trotz "Maradonas Superschau" ("Kicker") gelang den Bremern an diesem Abend in Neapel bereits das erste kleine Fußball-Wunder. Mit 3:2 gewann die Mannschaft aus der Hansestadt die heiß umkämpfte Partie beim italienischen Meister des Jahres 1987. Werder-Trainer Otto Rehhagel hatte die Schwächen des SSC zuvor genaustens studiert und stellte mit Karl-Heinz Riedle, Wynton Rufer und Frank Neubarth gleich drei Angreifer auf, die die langsame und für Konter anfällige Abwehr Neapels beschäftigen sollten. Und das gelang tatsächlich außerordentlich gut und erfolgreich.
Italien-Kenner Maurizio Gaudino, damals in Diensten des VfB Stuttgart, lobte Werder hinterher für die mutige Taktik. "Risikoreich, clever und ohne Angst", habe Bremen in Neapel gespielt, so der Bundesligaprofi aus Brühl. Und tatsächlich konnte Werder trotz des "herausragenden Manns im Stadion", Diego Maradona, der angeschlagen und fitgespritzt in die Begegnung gegangen war, durch den späten Treffer des Neuseeländers Wynton Rufer siegreich die Reise in die Heimat antreten.
Der Kampf um das Trikot
Zur Überraschung aller hatte Werder-Coach Rehhagel jedoch nicht nur die drei Offensivspieler vorne aufgeboten, sondern sich auch bei der Bewachung des argentinischen Superstars etwas einfallen lassen. Denn obwohl alle davon ausgingen, dass Uli Borowka ("Auf den ersten Metern bin ich schneller als er") gegen Maradona auflaufen würde, kümmerte sich vor allem Mirko Votava um Neapels besten Akteur. Zwar meinte der damals 33-jährige gebürtige Prager hinterher, dass Maradona "nicht viel kaputtgemacht" habe, doch die Meinungen der Experten nach der Partie ließen schon erahnen, dass sich Otto Rehhagel für das Rückspiel in Bremen wieder etwas Neues einfallen lassen müsse. Und diese Antwort hieß Uli Borowka, auch die "Axt" genannt.
Der Bremer Abwehrspieler, der damals international für seine handfeste Spielweise bekannt war ("Ich habe jetzt ’ne Titanplatte im Fuß, damit es am Schienbein des Gegenspielers besser klingelt"), hatte schon anderthalb Jahre zuvor das Vergnügen gehabt, auf Diego Maradona zu treffen. Beim Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft beim Vier-Länder-Turnier in Berlin gegen Argentinien hatte Borowka den Weltstar erfolgreich beackert. Und so hatte er aus dieser Partie zwei Dinge für sich mitgenommen. Erstens: "Wenn du die Chance hast, den Ball vor ihm zu bekommen - hin." Und zweitens, wenn das erste nicht gelungen war: "Einen Schritt zurückbleiben, dann ein Tackling." Maradona selbst wird von dieser Partie wohl besonders Punkt 2, also die speziell geführten Zweikämpfe, in Erinnerung behalten haben, denn es kam an diesem Tag noch zu einer kuriosen Begegnung direkt nach Ende des Spiels.
Als sich die Partie damals in Berlin langsam dem Schluss zuneigte, registrierte Borowka auf einmal, wie sich seine Mitspieler rund um Lothar Matthäus herum auffallend in der Nähe von Maradona platzierten, um direkt beim Abpfiff die beste Möglichkeit zu haben, nach dem Trikot des Argentiniers zu fragen. Doch der Werder-Abwehrspieler hatte Glück. Als der Schiri die Partie abpfiff, stand ausgerechnet er in Maradonas unmittelbarer Nähe. Das bemerkte auch der Argentinier - und versuchte schnellstmöglich in die Kabine zu kommen.
Doch eine Tür versperrte ihm den Weg. Borowka konnte ihn einholen. Und so streifte Maradona mit angstverzerrtem Blick im Angesicht des gefürchteten Abwehrrecken eiligst sein begehrtes Trikot ab - und warf es dem Bremer mit einem gebührenden Sicherheitsabstand zu. Anschließend legte Borowka das mit leichten Blutflecken versehene gute Stück aus Angst vor seinen gierigen Mitspielern auch unter der Dusche nicht mehr aus der Hand.
Maradona erinnerte sich
Und tatsächlich hatte sich der Bremer wohl in das Gedächtnis des Argentiniers eingebrannt. Denn als die Mannschaft von Werder am Abend des 22. November 1989 in die Katakomben des Stadio San Paolo einfuhr, sahen die Bremer Profis, wie sich der Weltstar Maradona zusammen mit seinem Mitspieler Alemao warmmachte - in Badelatschen spielten die beiden Fußballtennis über ein Cabrio hinweg. Als Maradona auch später nicht auf dem Rasen erschien, um sich auf die Partie vorzubereiten, ging Borowka voller Neugierde noch einmal zurück in die Tiefgarage. Und tatsächlich: Der Weltmeister von 1986 und sein brasilianischer Kollege spielten immer noch gemeinsam Fußballtennis.
Da zögerte Uli Borowka nicht lange und wollte sich schon vor dem Spiel beim Argentinier noch einmal in Erinnerung bringen. Ohne falsche Scheu lief er also in Richtung der beiden Profis vom SSC Neapel und hatte die beiden fast schon erreicht, als Maradona plötzlich innehielt, mit dem Fußballtennis abrupt stoppte und sich schnell sein Aufwärmshirt über den Kopf zog. Wieder warf er es - mit einem gebührenden Sicherheitsabstand - Uli Borowka in die Arme. Der fing das Trikot, dankte etwas verblüfft und lief dann zurück in die Werder-Kabine.
Zwei Wochen später empfing Werder Bremen zu Hause den SSC Neapel zum Rückspiel des UEFA-Pokal-Achtelfinals. "Werder hatte Maradona fest im Griff" stand am nächsten Tag im "Kicker" unter einem Foto, das Uli Borowka in inniger Umarmung mit dem argentinischen Superstar zeigte. Mit 5:1 hatte Werder den SSC Neapel aus dem eigenen Stadion geschossen und locker-leicht die nächste Runde im Wettbewerb erreicht. "Werder entzaubert Maradona. Demütigung für Italiens Nr.1" und das "Größte Fußball-Wunder. Europa schwärmt von Werder" titelten die Zeitungen begeistert.
Am Ende dieses Debakel-Abends für den SSC Neapel verließ Diego Armando Maradona mit gesenktem Kopf den Platz. Er hatte auf dem grünen Rasen des Weserstadions keinen einzigen Schritt ohne den Atem seines Gegenspielers mit dem Beinamen die "Axt" im Nacken machen können. Über dreißig Jahre später sagte Uli Borowka in einem Interview, dass nicht er "alleine" das Spiel gewonnen habe. Das stimmt natürlich. Doch der argentinische Superstar wird neben den fünf Toren, die sein Klub an diesem denkwürdigen Abend kassierte, wohl vor allem die erbittert geführten Zweikämpfe mit seinem Bremer Gegenspieler in Erinnerung behalten.
Quelle: ntv.de