Extremwetterkongress in Hamburg Düstere Klimaprognose: Sind auf Weg zu 3-Grad-Anstieg
27.09.2023, 14:45 Uhr Artikel anhören
Die 2-Grad-Grenze zu halten soll nur noch mit "enormen Anstrengungen" möglich sein.
(Foto: picture alliance/dpa/EUROPA PRESS)
Der Klimawandel rückt vor dem Hintergrund der Pandemie und des Ukraine-Kriegs in den Hintergrund. Zu Unrecht, wie der aktuelle Extremwetterkongress in Hamburg zeigt. Die Daten und Prognosen der Experten sind sehr düster. Die Extremwettereignisse des Sommers sollen künftig eher Normalität werden.
Der Klimawandel wird nach Ansicht von Experten in großen Teilen ungebremst erfolgen. Die Chance, mit relativ wenig Aufwand das Klimasystem zu stabilisieren, sei verpasst, hieß es zum Auftakt des 13. Extremwetterkongresses in Hamburg. Damit seien nicht mehr abwendbare massive Veränderungen auf der Erde zu erwarten.
"Wir müssen uns damit abfinden, dass die 1,5-Grad-Grenze überschritten werden wird. Damit ist das Pariser Rahmenabkommen in diesem Punkt faktisch gescheitert", meinte Jochem Marotzke, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie. "Das bedeutet auch, dass es nur noch mit enormen Anstrengungen möglich sein wird, die Erwärmung unter der 2-Grad-Grenze zu halten." Aktuell sei man eher auf dem Weg in eine 3-Grad-Welt bis zum Ende des Jahrhunderts. Das Pariser Klimaabkommen von 2015 sei "faktisch gescheitert". Marotzke wirkte unter anderem schon als Leitautor an der Erstellung eines Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC mit.
Waldbrände, Hitzewellen, Überflutungen - die extremen Wetterereignisse 2023 sind laut Experten eine Wendemarke. "Nie zuvor waren die globalen Luft- und Wassertemperaturen so hoch wie in diesem Jahr", hieß es in einer Mitteilung zum Kongress. "Nie zuvor haben Hitzerekorde und Waldbrände ein solches Ausmaß erreicht wie 2023."
Die um fünf bis sechs Grad höheren Wassertemperaturen im Mittelmeerraum hätten zu Rekordwerten bei der Verdunstung und den nachfolgenden Niederschlägen in Europa und Nordafrika geführt. "Durch die Zufälligkeiten im chaotischen System der Atmosphäre kam es in Deutschland nicht zu den extremen Hitze- und Dürrephasen, wie wir sie in Südeuropa erlebt haben. Es wäre möglich gewesen."
Zahl heißer Tage verdreifacht sich
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) stellt auf dem Kongress unter anderem einen aktuellen Bericht zu den Extremwetterereignissen in Deutschland vor. Die Zahl heißer Tage mit einer Maximaltemperatur von mindestens 30 Grad verdreifachte sich demnach seit den 1950er-Jahren bereits von im Schnitt etwa drei im Jahr auf neun Tage. Höhere Temperaturen im Sommerhalbjahr führten zu trockeneren Böden, die wiederum Waldbrände massiv begünstigen.
Dies geschah laut DWD vor dem Hintergrund der insgesamt fortschreitenden Erderwärmung. In Deutschland sei die Jahresmitteltemperatur seit Beginn der systematischen Aufzeichnungen 1881 bereits um 1,7 Grad gestiegen, seit den 1960er Jahren sei hierzulande jeder Zehnjahreszeitraum wärmer gewesen als der vorherige. Die Erwärmungsrate nehme zudem immer mehr Fahrt auf. Zwischen 1971 und 2022 habe sie schon bei 0,38 Grad pro Dekade gelegen.
Die EU-Umweltagentur EEA hatte schon im späten Frühjahr gewarnt: "Aufgrund unseres sich verändernden Klimas wird das Wetter in Europa extremer." Hitzewellen werden der Behörde zufolge im Zuge des Klimawandels häufiger, intensiver und lang anhaltender. Bereits der Sommer 2022 sei ein "Sommer der Hitzewellen" gewesen.
"Die schrecklichen Bilder der Unwetterkatastrophen in Griechenland, Bulgarien, der Türkei und in Libyen haben wir alle noch vor Augen", sagte Tobias Fuchs, Vorstandsmitglied beim Deutschen Wetterdienst. "Die internationale Klimaforschung ist sich einig: Jede weitere Erderwärmung führt zu einer raschen Zunahme wetterbedingter Naturgefahren." Menschen müssen sich nach Ansicht von Fuchs besser auf die katastrophalen Folgen von Extremwetter wie Dürren, Waldbrände, Überflutungen vorbereiten.
"Beenden wir die Illusion, wir hätten viel getan"
Der Vorsitzende der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft, Frank Böttcher, forderte Politik und Gesellschaft zu einer ehrlichen Lagebewertung und entschiedenen Gegenmaßnahmen auf. "Beenden wir die Illusion, wir hätten in den letzten 30 Jahren einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz geleistet. Viele haben viel getan. Wir sind aber sehr weit von einem Rückgang der Kohlenstoffdioxidkonzentration in der Atmosphäre entfernt."
Er verwies auf weitere Beobachtungen wie zunehmende Extremniederschläge, schrumpfende Eisflächen und einen "nie dagewesenen schnellen Anstieg der globalen Luft- und Wassertemperaturen". Die Menschheit mache sich die Dimensionen des von ihr in Gang gesetzten Klimawandels immer noch nicht klar.
Einen Ausweg sah der Forscher nach eigenen Angaben in einer grundlegenden Änderung von Konsumentscheidungen. Letztlich müsse die Politik dafür sorgen, dass Produkte und Dienstleistungen entsprechend ihrer Klimabilanz und ihres Ressourcenverbrauchs gesteuert oder gefördert würden, erklärte er. Das müsse "sozialverträglich" erfolgen.
Auch Wettermoderator Sven Plöger forderte einen stärkeren Klimaschutz. Es brauche Ideen, um alle zum Mitmachen zu bewegen. "Der Klimaschutz muss ein Jahrhundertgeschäft in einer auf dem sozialen und ökologischen Auge ertüchtigten Marktwirtschaft ohne Hyperkonsum werden", sagte er. "Hier ist die Politik aufgefordert, die dafür nach wie vor fehlenden Leitplanken endlich zu schaffen."
Quelle: ntv.de, als/dpa/AFP