Bauern spüren Klimawandel "In Süddeutschland ist es für Weizen schon sehr warm"
22.09.2024, 09:45 Uhr Artikel anhören
Die Landwirtschaft in Deutschland wird sich an die neue Klimasituation anpassen müssen, sagt Bodenexperte Tobias Weber.
(Foto: imago/JOKER)
Die Ernte 2024 war nach den zu nassen Monaten schlecht - vor allem beim Getreide. Mit Blick auf die Klimakrise stehen unsere Bauern vor großen Herausforderungen. Existenziell ist eine gute Qualität der Böden. Wie können Böden fit für die Krise gemacht werden?
Die Ernte 2024 war schlecht. Dem sehr nassen Winterhalbjahr folgte ein Frühling mit zu viel Regen, im Juni machte sich die Sonne rar und bei der Ernte gab es wieder Regen und Gewitter. Bauernpräsident Joachim Rukwied sagte, hier zeigten sich einmal mehr deutlich spürbare Auswirkungen des Klimawandels.
Die Bauern sind also dem Klimawandel ausgesetzt. Was ist los auf den deutschen Äckern - und wie bekommen wir unsere Landwirtschaft fit gemacht für eine wärmer werdende Welt?
"Die beiden Hauptprobleme sind die Temperatur und das verfügbare Wasser", sagt Tobias Weber von der Uni Kassel im Gespräch mit ntv.de. Er ist dort Professor und Fachgebietsleiter für Bodenkunde. Derzeit liegt die Welt auf einem Pfad von 2,7 bis 2,9 Grad Erwärmung bis 2100 im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. Bekommen wir die Energiewende schneller hin, kann es auch weniger werden. Aber auch eine noch heftigere Erhitzung ist nicht ausgeschlossen.

Prof. Tobias Weber ist Fachgebietsleiter für Bodenkunde an der Uni Kassel.
(Foto: Universität Kassel)
Deutschland erwärmt sich sogar schneller als der Rest der Welt. Je nach Messmethode leben wir in einer 1,6 bis 1,9 Grad wärmeren Welt als zu Beginn der Industrialisierung. Und das bringt gravierende Veränderungen mit sich. Die Niederschläge verlagern sich vermehrt in den Winter. Oder, wie es Weber, formuliert, "heraus aus der Vegetationsphase". Was bedeutet das? "Die Landwirte müssen mit sehr langen nassen und sehr trockenen Phasen arbeiten. Das ist für die Planung und den Landbau nicht hilfreich. Da sehen wir ein Problem auf uns zukommen", so der Boden-Experte der Uni Kassel. Daher sei eine Klimaanpassung auf dem Acker wichtig.
Wärme mindert Ertrag in Süddeutschland
"Der Punkt ist, dass Pflanzen wie Weizen in Süddeutschland schon jetzt in einem Klimaraum stehen, der für sie sehr warm ist. Die Temperaturen sind heute dort schon ertragsmindernd im Vergleich zu Norddeutschland. Da haben wir die größten Winterweizenerträge. Das hat mit dem kühleren Wetter zu tun. Die Pflanze entwickelt sich langsamer, kann dann mehr Nährstoffe aufnehmen und mehr Körner bilden. Auch ist die Luft dort feuchter, die Pflanze weniger gestresst", erklärt Weber.
Was also können Landwirte machen? "Es gibt ein paar Stellschrauben. Das Ziel muss sein, dass man die Böden regeneriert. Das ist gleichzeitig auch Erosionsschutz", so Weber, der darauf hinweist, dass die Böden vielerorts in keinem guten Zustand sind. "Sie sind verdichtet, sie sind arm an Bodenkohlenstoff. Kohlenstoff ist aber wichtig. Der Boden wird mit Kohlenstoff lockerer und erhöht seine so notwendige Wasserspeicherfähigkeit", erklärt der Bodenhydrologe.
Stellschrauben: Kleegras und Luzerne
Eine andere Stellschraube seien Zwischenkulturen, die tiefer wurzeln können, um den Unterboden stärker anzuzapfen. "Sie können sich das so vorstellen: Der Oberboden ist wie ein Eimer, da nehmen die Pflanzen das Wasser raus. Der Unterboden ist wieder ein Eimer, den die Pflanzen nutzen können. Wenn da viel Wasser gespeichert ist, kann das ein Puffer sein, um über zwei, drei trockene Jahre hinwegzukommen."
Aber es geht noch mehr: "Eine weitere Möglichkeit, den Böden zu helfen, ist die Fruchtfolge weiter zu fassen." So könne man Kleegraskulturen das ganze Jahr über anbauen, auch Luzerne eigne sich dafür hervorragend. Damit werde der Boden auch in größerer Tiefe locker, das vergrößert den durchwurzelbaren Bereich.
Wichtig ist es für die Landwirte, den Boden immer bedeckt zu halten. "Das kann man eigentlich generell sagen, dass das gut ist. Wo Pflanzen stehen, erodiert kein Boden", sagt er. "Durch die Bedeckung wird über die Wurzeln Kohlenstoff eingetragen, das schafft Poren im Boden, durch die das Wasser filtriert wird. Organische Einträge sind gut fürs Bodenleben, der Boden ist schlichtweg aktiver."
Eine weitere Stellschraube ist die Pflanzenzüchtung. "Wenn die Temperaturen ansteigen, müssen neue Arten entwickelt werden", so der Experte. "Ich sehe aber nicht, dass Winterweizen und Kartoffeln bei uns komplett verdrängt werden."
Zu viel Bewässern problematisch
Die Bauern können also aktiv dafür sorgen, dass die Bodenqualität sich verbessert, und dann kommen die Böden auch mit einem veränderten Wasserangebot klar. Weber warnt aber davor, mehr Flächen unter Bewässerung zu stellen. "Wenn Landwirte mehr Flächen unter Bewässerung stellen, dann ist das ein großer Treiber", sagt er mit Blick auf den deutschen Wasserhaushalt. "Das Ausweiten der Flächen für Bewässerung kann zum Problem werden, wenn das Wasserangebot nicht ausreicht und andere Sektoren nicht mehr ausreichend gesichert werden können, etwa die Funktion von Naturräumen oder die Trinkwasserversorgung." Da müsse die Politik vorsichtig sein. Hier dürften nicht unkontrolliert Zugeständnisse an die Landwirte gemacht werden.
Beim Thema Nitrat, also Düngen, richte die Landwirtschaft jetzt schon großen Schaden an. Wo Landwirtschaft betrieben wird, ist deutschlandweit zu viel Nitrat im Grundwasser, schreibt das Umweltbundesamt. "Flüsse, Grundwasser, Nordsee, Ostsee leiden unter hohen Phosphor- und Stickstoffmengen. Wo kommt das her? Das kommt vielfach aus der Landwirtschaft", erklärt Weber. "Die Landwirte müssen düngen, das ist klar, aber sie düngen eben auf sehr hohem Niveau. Wir müssen da ran", fordert er.
Nitrat im Trinkwasser ist gesundheitsgefährdend. Und die Trinkwasseraufbereitung wird mit mehr Nitrat umständlicher und teurer. Deutschland sah sich wegen des hohen Nitratgehalts im Trinkwasser sogar einem EU-Verfahren gegenüber. Das Verfahren wurde eingestellt, weil Deutschland die Düngeverordnung verschärfte, was die Bauern wiederum heftig kritisieren.
Möglicher Ausweg: ökologische Intensivierung
Für Weber geht es darum, dass es in der Landwirtschaft zu einer ökologischen Intensivierung kommt. Das bedeutet, eine naturverträglichere Form der Landwirtschaft zu schaffen. "Dazu muss der Pestizideinsatz massiv reduziert werden", sagt Weber. Der Fokus müsse zudem auf die Biodiversität gerichtet werden.
"Wir brauchen eine langfristige Sicherung der Böden, wir müssen die Böden gesund machen, versuchen, ihre Qualität aufrechtzuerhalten, die Wasserspeicherfähigkeit zu erhöhen, sowie die Infiltrationsfähigkeit. Ein großer Teil des Bodens muss für die Pflanzen durchwurzelbar sein", analysiert der Experte. Die Maßnahmen seien bekannt, zum Beispiel Zwischenfrüchte, die den Boden bedecken, und mehr Vielfalt auf dem Acker.
Es könnten nicht von heute auf morgen alle Bauern biologisch arbeiten. "Aber worum es gehen muss, ist eine Landwirtschaft, die auf regenerative Praktiken zielt und dass die Nachhaltigkeit des Bodens im Fokus steht", rät Weber. Er fügt hinzu, dass dies geringere Erträge bei den Feldfrüchten bedeuten kann. Es sei sehr aufwendig, diesen Umbau der Landwirtschaft vorzunehmen, da er auch die ökonomische Seite der Bauern betrifft. "Das geht dann eben sehr langsam", skizziert der Experte und macht deutlich, dass die Bauern dabei auf Unterstützung angewiesen sein werden.
Quelle: ntv.de, Von Oliver Scheel