Interview zum Weltrisikobericht Wie gefährdet ist Deutschland?
09.09.2024, 11:30 Uhr Artikel anhören
Beim verheerenden Hochwasser im Juli 2021 starben allein an der Ahr mindestens 135 Menschen.
(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)
Zyklone, Fluten, Dürren, Erdbeben: Der Weltrisikoindex zeigt, in welchen Ländern die Menschen besonders durch Naturgewalten und Klimawandel bedroht sind. Im aktuellen Bericht sticht vor allem China hervor. Warum das Land einen bemerkenswerten Sprung im Ranking gemacht hat und wie groß das Risiko für Deutschland ist, erklärt die wissenschaftliche Leiterin des Weltrisikoberichts 2024, Katrin Radtke, im Interview mit ntv.de.
ntv.de: Angesichts des Klimawandels scheint eine Naturkatastrophe auf die nächste zu folgen. Wie gefährlich ist es auf der Welt geworden?
Katrin Radtke: Tatsächlich gibt es in diesem Zusammenhang positive Nachrichten. Wir haben nämlich im letzten Jahr eine Trendanalyse der letzten 20 Jahre durchgeführt, mit dem Fokus auf extreme Naturereignisse. Dabei hat sich gezeigt, dass wir eher ein abnehmendes Risiko haben.
Haben wir also wider Erwarten weniger Naturkatastrophen?
Nein, das leider nicht. Aber viele Länder sind weniger vulnerabel gegenüber extremen Naturereignissen. Man kann sagen, dass die Welt ein klein wenig besser auf Katastrophen vorbereitet ist. Trotzdem ist das natürlich kein Grund sich zurückzulehnen, denn Risikoprofile können sich schnell ändern und den positiven Trend wieder umkehren.

Dr. Katrin Radtke ist wissenschaftliche Leiterin des Weltrisikoberichts 2024 und Senior Researcherin am IFHV an der Ruhr-Universität Bochum.
Was verstehen Sie unter dem Begriff Risiko?
Im Weltrisikobericht setzt sich das Risiko für Länder aus zwei Komponenten zusammen: der Exposition gegenüber extremen Naturereignissen und der gesellschaftlichen Vulnerabilität. Bei der Vulnerabilität beeinflussen strukturelle Rahmenbedingungen, wie etwa Armut und Ungleichheit, wie anfällig Länder gegenüber Naturkatastrophen sind. Aber auch die Bewältigungskapazitäten sind ausschlaggebend: Welche Möglichkeiten haben die Länder, um den Schaden zu minimieren? Stehen zum Beispiel im Notfall genug Krankenhausbetten zur Verfügung? Und schließlich schauen wir uns an, mit welchen Maßnahmen und Strategien Länder die negativen Auswirkungen von extremen Ereignissen in Zukunft bewältigen können, unter anderem durch Investitionen in Forschung und Entwicklung.
Was macht die Philippinen zu dem Land mit dem höchsten Risikoprofil? Und Monaco zu dem mit dem niedrigsten?
Die Philippinen weisen eine extrem hohe Exposition in fast allen Bereichen auf: Erdbeben, Tsunamis, Fluss- und Küstenüberschwemmungen, Meeresspiegelanstieg und Stürme. All diese extremen Naturereignisse treten in den Philippinen in relativ hoher Frequenz und Intensität auf, allein schon durch die geografische Lage. Hinzu kommt eine sehr hohe Vulnerabilität, etwa durch eine schlechte Infrastruktur und auch Armut. Allerdings muss man auch dazu sagen, dass die Philippinen in den letzten Jahren wirklich viel getan haben. Gerade im Bereich Katastrophenvorsorge und Katastrophenmanagement ist das Land sehr engagiert und interessiert. Insofern besteht die Hoffnung, dass sich in den nächsten Jahren vielleicht etwas ändern wird, weil das Bewusstsein für das Risiko besteht.
Und wie sieht es mit Monaco aus?
Monaco ist sozusagen das andere Extrem. Es ist sehr gering exponiert, da dem Land so gut wie keine Naturgefahren drohen. Es gibt lediglich eine ganz schwach ausgeprägte Exposition gegenüber Erdbeben, aber mehr nicht. Zudem ist Monaco ein wenig vulnerables Land. Es ist wohlhabend, die Ungleichheit ist gering, zudem gibt es ein sehr gutes Bildungssystem. Somit schneidet Monaco auf allen Ebenen und in allen Indikatoren, die wir im Weltrisikobericht messen, sehr gut ab und könnte ein extremes Naturereignis, falls doch eins auftreten sollte, auch gut bewältigen.
Deutschland schafft es mit Platz 98 wieder nur ins Mittelfeld der Risikoliste, trotz leichter Verbesserung. Woran liegt das?
Das liegt unter anderem daran, dass Deutschland stärker exponiert ist als beispielsweise Monaco. Mehr extreme Naturereignisse können Deutschland treffen. Das ist ja bereits jetzt der Fall. In der jüngsten Vergangenheit gab es mehrere Stürme und Überschwemmungen, teils mit verheerenden Schäden. Solche Naturkatastrophen werden wohl auch in Zukunft auftreten und klimabedingt sogar stärker werden.
Aber Deutschland ist doch ein wohlhabendes Land. Sollten wir die Auswirkungen solcher Naturereignisse nicht besser abfedern können?
Hier weist Deutschland tatsächlich noch einige Baustellen auf. Im letzten Jahr hat sich die Vulnerabilität sogar verschlechtert, weil wir insgesamt weniger Investitionen in Bildung und Forschung verzeichnen konnten. Außerdem wurde weniger Geld für die Infrastruktur bereitgestellt. Und dann hatten wir bedingt durch die Corona-Pandemie und auch andere Krisen eine sehr hohe Inflation. Inzwischen gibt es aber wieder eine leichte Verbesserung. Insgesamt könnte Deutschland dennoch besser auf den Klimawandel und die zunehmenden extremen Wetterereignisse vorbereitet sein.
Auf welche Katastrophen müssen wir uns hierzulande einstellen?
In Deutschland sind die schwerwiegendsten Ereignisse Dürren und Überflutungen. Wir werden zunehmend mit Hitzeperioden zu kämpfen haben, in denen es wenig regnet und extrem heiß ist. Gleichzeitig nehmen Starkregen und Stürme zu, die wiederum zu Überflutungen bei Flüssen und auch sonstigen Schäden führen können. Diese Ereignisse sind alle wetterbedingt und hängen somit stark mit dem Klimawandel zusammen.
Anders als Deutschland ist China zwar weit oben in der Risikoliste, verbessert sich aber von Platz 10 auf 22, obwohl es laut Ihres Berichtes das höchstexponierte Land der Welt bleibt, gefolgt von Mexiko, Japan und den Philippinen. Wie hat China das geschafft?
China ist wirklich ein interessantes Beispiel im diesjährigen Bericht, eine Verbesserung um mehr als zehn Plätze kommt durchaus nicht häufig vor. Was man sehen kann ist, dass China seine Vulnerabilität vor allen Dingen im Bereich Anpassungskapazitäten deutlich reduziert hat - und zwar als Reaktion auf die Corona-Pandemie. In dieser Zeit hat das Land sehr stark investiert, unter anderem in die Gesundheitsinfrastruktur und in Bildung und Forschung. Zum Beispiel wurden zahlreiche Krankenhäuser neu aufgebaut. Es wurden Online-Plattformen für Schülerinnen und Schüler geschaffen. Und das Land weist eine sehr hohe Impfrate auf. All das schlägt sich sehr positiv in unserem Weltrisikoindex nieder. Hinzu kommt, dass diese Investitionen keine Momentaufnahme waren, sondern China sie tatsächlich über die Corona-Pandemie hinaus aufrechterhalten und fortgeführt hat.
Sollte sich Deutschland also ein Beispiel an China nehmen?
Ganz so einfach ist es nicht. Denn Chinas Erfolge haben auch eine Kehrseite. Viele der Maßnahmen, die zu einer guten Bewältigung der Krise geführt haben, gingen auf Kosten der Freiheitsrechte der Bevölkerung. Das ist etwas, was wir im Weltrisikoindex nicht messen, aber was man auch nicht verschweigen sollte. Somit ist China sicherlich nicht ein Vorbild für Deutschland und die Errungenschaften sollten meiner Meinung nach auch nicht ausschließlich positiv bewertet werden.
Wie können denn Krisen verhindert oder zumindest eingegrenzt werden?
Glücklicherweise gibt es da viele Ansätze, sowohl auf der Expositionsseite als auch auf der Vulnerabilitätsseite. Da viele extreme Naturereignisse mit der Klimaerwärmung zusammenhängen, sollten wir uns bemühen, die Erderwärmung möglichst gering zu halten und die Klimaziele einzuhalten. Länder können Armut und Ungleichheit reduzieren, indem sie Korruption bekämpfen und in Gesundheitssysteme, Bildung und Forschung investieren. Außerdem können sie Daten und Wissen über multiple Krisen und die sich verändernden Risikoprofile sammeln. Und natürlich noch vieles mehr.
Wie sehen Sie Deutschland für die Zukunft aufgestellt?
Die verheerenden Überflutungen im Ahrtal waren so eine Art Weckruf. Seitdem gibt es sehr viele Bemühungen, zum Beispiel in die Frühwarnung stärker zu investieren oder das Wissen über solche extremen Naturereignisse zu verbessern. Gleichzeitig ist aber mit Sicherheit immer noch Luft nach oben, was etwa Investitionen in die Forschung betrifft. Außerdem gibt es auch nach wie vor Defizite im Bereich der Koordination der unterschiedlichen Bereiche und Ebenen im Katastrophenschutz in Deutschland. Alles in allem ist das Bewusstsein inzwischen da. Aber jetzt geht es darum, weiter am Ball zu bleiben, damit sich Szenen wie im Ahrtal nicht wiederholen.
Mit Katrin Radtke sprach Hedviga Nyarsik
Quelle: ntv.de