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Hydrologe Merz im Interview Ist der Klimawandel schuld am Hochwasser?

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Weite Teile von Bayern und Baden-Württemberg sind überflutet.

Weite Teile von Bayern und Baden-Württemberg sind überflutet.

(Foto: picture alliance/dpa)

Starkregen und Hochwasser halten den Süden des Landes in Atem: Flüsse treten über die Ufer, Deiche und Dämme brechen, Häuser werden überschwemmt. Mindestens vier Menschen sterben in den Fluten. Es ist bereits das vierte große Hochwasserereignis innerhalb eines Jahres. Warum sich solche extremen Wetterlagen häufen könnten und was der Klimawandel damit zu tun hat, erklärt Hydrologe Bruno Merz im Interview.

ntv.de: Herr Merz, Deutschland erlebt derzeit eine Hochwasserkatastrophe nach der anderen. Aktuell kämpfen Bayern und Baden-Württemberg gegen die Wassermassen. Ist das bereits eine Folge des Klimawandels?

Bruno Merz: Ein einzelnes Wetterereignis kann nicht eindeutig dem Klimawandel zugeordnet werden. Ich erkläre das gerne an dem Beispiel Lungenkrebs bei Rauchern: Wenn jemand 30 Jahre lang raucht und dann Lungenkrebs bekommt, kann nicht eindeutig nachgewiesen werden, dass der Krebs durch den Tabakkonsum entstanden ist. Aber die Wahrscheinlichkeit, Lungenkrebs zu bekommen, erhöht sich durch Rauchen. So verhält es sich auch beim Hochwasser. Denn der Klimawandel verändert die Wahrscheinlichkeit für extreme Wetterereignisse. Das ist nachgewiesen.

Bruno Merz ist Leiter der Sektion Hydrologie am Deutschen GeoForschungsZentrum und Professor an der Universität Potsdam. Er forscht zu hydrologischen Extremen und Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel.

Bruno Merz ist Leiter der Sektion Hydrologie am Deutschen GeoForschungsZentrum und Professor an der Universität Potsdam. Er forscht zu hydrologischen Extremen und Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel.

(Foto: Bruno Merz)

Bedeutet das somit, dass Starkregen, Hochwasser und Überschwemmungen in Zukunft immer häufiger werden?

Es gibt unterschiedliche Hochwassertypen. Wo eine sehr direkte Verbindung zwischen Klimawandel und Hochwasser besteht, das sind lokale Überschwemmungen, ausgelöst durch kurze und heftige Regenfälle, wie zum Beispiel durch Gewitter. Und durch die Erderwärmung erhöhen sich insbesondere die lokalen Starkniederschläge.

Inwiefern?

Die wärmere Luft kann mehr Wasser speichern - im Schnitt sind es pro ein Grad wärmere Luft sieben Prozent mehr Wasser. Somit steht der Atmosphäre mehr Wasser zur Verfügung, das dann abregnen kann. Dazu gibt es eine sehr interessante Studie, die sich weltweit Rekordniederschläge angeschaut hat. Die Autorinnen und Autoren stellten dabei fest, dass wir in den vergangenen Jahren im Schnitt 30 Prozent mehr Rekordniederschläge hatten, als man es in einer Welt ohne Klimawandel erwarten würde.

Nun wurde jedoch das Hochwasser in Süddeutschland eher von Dauerregen als von kurzen intensiven Gewittern ausgelöst. Wie lässt sich das erklären?

Hier spielt die Ausgangssituation eine wichtige Rolle. Und zwar hatten wir einen sehr warmen und feuchten Mai. Die Durchschnittstemperatur lag dem Deutschen Wetterdienst zufolge 2,8 Grad über der Referenzperiode von 1961 bis 1990. Zudem war es der drittnasseste Mai seit Beginn der Aufzeichnung. Durch den vielen Niederschlag waren die Böden bereits überwiegend gesättigt. Dann kam der aktuelle intensive Regen und sie konnten kein zusätzliches Wasser mehr aufnehmen. Ein weiterer wichtiger Punkt sind aber auch Veränderungen in den Großwetterlagen.

Großwetterlagen?

Großwetterlagen beschreiben die Dynamik der Atmosphäre, also beispielsweise wo sich Hochs und Tiefs platzieren und wie lange sie an einer Stelle bleiben. Oder auch, welche Zugbahn ein Tiefdruckgebiet, das den Regen bringt, nimmt und wie schnell es sich fortbewegt. In den letzten Jahren beobachtet man zunehmend, dass Großwetterlagen länger andauern, beispielsweise dass sich ein Tiefdruckgebiet über einer Region festsetzt. Das bedeutet, dass es sich nur sehr langsam weiterbewegt und dadurch in dieser Region sehr ergiebige Niederschläge fallen können.

Wie aktuell in Süddeutschland …

Genau, das könnte durchaus der Grund für das Ausmaß des Hochwassers sein. Vom Mittelmeerraum kam ein Tiefdruckgebiet, das feuchte Luft mitbrachte und nur langsam weiterzieht. Nun wird vermutet, dass die längere Dauer von Großwetterlagen mit dem Klimawandel zusammenhängen. Denn die Arktis erwärmt sich schneller als die mittleren Breiten. Durch den geringeren Unterschied in der Temperatur schwächt sich der sogenannte Jetstream ab. Diese starken Windströme in der Atmosphäre bestimmen die Verteilung von Tiefs und Hochs.

Die aktuellen Überschwemmungen sind bereits das vierte große Hochwasserereignis innerhalb eines Jahres: Im vergangenen Oktober gab es eine Sturmflut an der deutschen Küste. Um den Jahreswechsel kam es durch Starkregen zu Überflutungen vor allem in Niedersachsen. Jüngst folgte das Hochwasser im Saarland im Mai. Und jetzt die Fluten in Bayern und Baden-Württemberg. Müssen wir uns immerhin um Dürren keine Sorgen mehr machen?

So ist das leider nicht. Wenn man sich die Wetteraufzeichnung der letzten Jahrzehnte in Deutschland anschaut, stellt man tatsächlich fest, dass die Niederschläge im Schnitt zugenommen haben - aber insbesondere im Winter. Im Sommer nimmt der Regen hingegen eher ab. Aber wenn es regnet, sind die Niederschläge oft intensiver.

Wir müssen uns wohl auf beides einstellen. Aber bleiben wir beim aktuellen Problem: Wie gut lassen sich solche Hochwasserereignisse voraussagen?

Eigentlich ziemlich gut. Der Deutsche Wetterdienst macht Niederschlagsvorhersagen, die dann von den Hochwasser-Vorhersage-Zentren der Bundesländer genutzt werden, um die Wasserstände an Pegeln zu prognostizieren. Das ist umso einfacher, je größer der Fluss ist oder je größer das Einzugsgebiet ist.

Warum haben dann Hochwasser immer noch so verheerende Folgen?

Deutschland hat bereits relativ viel in den Hochwasserschutz investiert, zum Beispiel in Rückhaltebecken oder Deiche. Aber hier kommt wieder der Klimawandel ins Spiel. Dieser bringt zunehmend extreme Wetterereignisse mit sich, die wir bis dato nicht oder sehr selten gesehen haben. Für solche Situationen sind unsere Hochwasserschutzmaßnahmen nicht ausgelegt.

Was sind die wichtigsten Schritte, die unternommen werden sollten, um den Hochwasserschutz zu verbessern?

Wir können nicht alle Schäden verhindern. Es geht vielmehr darum, dass es nicht zu einer solchen Katastrophe wie im Ahrtal vor drei Jahren kommt. Also braucht es etwa Schutzmaßnahmen für Pflegeheime. Wir können verhindern, dass der Strom ausfällt. Die kritische Infrastruktur muss aufrechterhalten werden.

Sind Sie zuversichtlich, dass wir den Klimawandel so weit eindämmen können, dass sich solche Extremwetterereignisse in Zukunft in Grenzen halten werden? Oder ist es eigentlich schon zu spät und wir sollten uns eher viel mehr darauf einstellen, dass das sozusagen die neue Normalität wird?

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Um ehrlich zu sein, bin ich, was das betrifft, ziemlich frustriert. Wir haben ja schon jetzt eine Erwärmung um ungefähr 1,5 Grad durch den vom Menschen gemachten Klimawandel. Die Auswirkungen davon spüren wir bereits heute und das wird sich auch fortsetzen. Ich hoffe, dass es uns als Menschheit gelingt, in den letzten zehn bis zwanzig Jahren aktiver zu werden. Aber realistisch betrachtet würde ich sagen: Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir häufiger Extreme wie Hochwasser und Dürre erleben werden.

Mit Bruno Merz sprach Hedviga Nyarsik

Quelle: ntv.de

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