Wissen

Plan der neuen Koalition Kann Deutschland den ersten Fusionsreaktor der Welt bauen?

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Blick in die Kernfusionsforschungsanlage "Wendelstein 7-X" in Greifswald - in vielen Bereichen der Fusionsforschung ist Deutschland vorne mit dabei.

Blick in die Kernfusionsforschungsanlage "Wendelstein 7-X" in Greifswald - in vielen Bereichen der Fusionsforschung ist Deutschland vorne mit dabei.

(Foto: picture alliance / dpa)

Deutschland soll sich bei Kernfusion weltweit an die Spitze setzen - so der Plan von Union und SPD. Der Bau des weltweit ersten Kraftwerks dieser Art wird im Koalitionsvertrag als Ziel ausgegeben. Doch kann Deutschland das leisten? Experten zeigen sich zuversichtlich.

In ihrem Koalitionsvertrag setzt die womöglich nächste Regierung Deutschlands aus Union und SPD auf eine "Hightech Agenda", bei der auch das Thema Kernfusion ganz weit oben steht. Die bisher unerschlossene Energiequelle soll beim Umbau auf klimaneutrale Energieerzeugung eine wichtige Rolle spielen. "Unser Ziel ist: Der erste Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland stehen", heißt es. Aber wie realistisch ist das?

Fakt ist, dass es aktuell weltweit keinen Fusionsreaktor gibt, der Strom produziert. Doch Experten halten das zumindest für möglich: "Ein Land wie Deutschland, China oder die Vereinigten Staaten kann theoretisch einen funktionsfähigen Fusionsreaktor bauen", sagt Constantin Häfner, Vorstand für Forschung und Transfer der Fraunhofer-Gesellschaft. Allerdings seien die technischen, finanziellen und wissenschaftlichen Herausforderungen enorm.

Die Hürden sind hoch

Denn Kernfusion ist technisch äußerst herausfordernd, schließlich versucht man den Prozess nachzuahmen, der im Inneren der Sonne abläuft: Dort verschmelzen unter enormem Druck und bei extremen Temperaturen zwei Wasserstoffatome zu Helium. Die Fusion setzt jedoch sehr viel Energie frei, welche die Sonne zum Leuchten bringt. Zum Vergleich: Ein Gramm Wasserstoff kann so viel Energie liefern wie etwa zehn Tonnen Kohle. Doch um dieses Potenzial zu nutzen, müssen einige Hindernisse gemeistert werden:

  • Zündung: Bisher konnte noch keine Fusion in einem Plasma aufrechterhalten werden. Dies ist jedoch Voraussetzung für ein Fusionskraftwerk nach dem Prinzip der Magnetfusion. Dazu gehört der im Bau befindliche Forschungsreaktor ITER. Ein alternatives Konzept zur Magnetfusion ist die Laserfusion, die Ende 2022 erstmals einen lokalen Netto-Energiegewinn erzielte. Sie gilt in Augen mancher als vielversprechender.
  • Materialbelastung: Bei der Kernfusion tritt nicht nur enorme Hitze auf, es entstehen dabei auch schnelle Neutronen, welche das Material eines Reaktors beim Dauerbetrieb nach und nach "zerschießen". Vor dem Bau eines Reaktors muss belastbares Material zum Teil erst noch entwickelt und ausgiebig getestet werden.
  • Tritium-Kreislauf: Um auf der Erde eine Sonne zünden zu können, benötigt man eine besondere Variante von Wasserstoff: das Isotop Tritium. Das kommt allerdings nicht natürlich vor, sondern muss im Fusionskraftwerk selbst "erbrütet" werden. Das geschieht durch die schnellen Neutronen, welche das Metall Lithium in Tritium umwandeln. Diese Technologie muss jedoch erst noch entwickelt werden.
  • Radioaktivität: Auch beim Betrieb von Fusionsreaktoren spielt Radioaktivität eine Rolle. Tritium ist etwa radioaktiv und benötigt im Umgang entsprechende Vorkehrungen. Auch das Material des Reaktors wird mit der Zeit durch den ständigen Neutronen-Beschuss radioaktiv. Zwar entstehen keine hochradioaktiven Stoffe, dennoch müsste das Material etwa 100 bis 200 Jahre zwischengelagert werden, bis man es gefahrlos wiederverwenden kann.

Diese Herausforderungen sind theoretisch zu meistern, sagen Experten. In Frankreich wird bereits seit vielen Jahren an dem internationalen Forschungsreaktor ITER gebaut, der all diese Probleme angehen und beheben soll. "Es ist sehr realistisch, dass ITER in den 2030er Jahren ein brennendes Plasma erzeugen wird, was das Erreichen des Meilensteins ‚Selbstheizung des Plasmas‘ bedeutet", sagt etwa Hartmut Zohm vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik. ITER soll damit eigentlich das erste Fusionsexperiment sein, das mehr Energie erzeugt, als es verbraucht. Ein Folgeprojekt namens DEMO soll dann erstmals Fusions-Strom ins Netz liefern. Experten rechnen frühestens in den 2040er Jahren damit.

"Deutschland kann das leisten"

Kann Deutschland schneller sein? Zumindest sei in Deutschland das Know-how zur Umsetzung von Magnetfusion wie auch von Laserfusion vorhanden, sagt Klaus Hesch, Strategie-Berater beim Kernfusionsprogramm am Karlsruher Institut für Technologie. Daher glaubt er, dass "Deutschland dies grundsätzlich auch leisten" könne. Das glaubt auch Christian Linsmeier, Direktor des Institute of Fusion Energy and Nuclear Waste Management, Forschungszentrum Jülich GmbH: "Deutschland hat große Erfahrung im Bau und Betrieb großer Fusionsanlagen." Ein Bau hierzulande würde zudem die Entscheidungswege verkürzen.

Deutschland hat auch ein eigenes Konzept der Magnetfusion entwickelt, den sogenannten Stellarator. Ihm werden einige Vorteile gegenüber dem Aufbau des ITER nachgesagt, der auf die Bauweise namens Tokamak setzt. Denn Stellaratoren können kontinuierlich Energie liefern, ein Tokamak arbeitet in Pulsen von etwa 15 Minuten. Mit dem Wendelstein 7-X steht ein Stellarator bei Greifswald, der weltweit als die fortschrittlichste Anlage in diesem Bereich gilt.

Auch Laserfusion in Deutschland erforscht

Auch deutsche Unternehmen arbeiten an der Umsetzung von Fusionskraftwerken: Die Münchener Firma Proxima Fusion etwa setzt auf die Bauweise Stellarator und möchte schnell einen eigenen Stellarator in Betrieb nehmen. "Im Bereich der Laserfusion sind die USA in der Grundlagenforschung weit voran, Deutschland verfügt aber über eine hochkompetente Industrie", sagt Constantin Häfner. Die Firmen Focused Energy und Marvel Fusion etwa setzen auf Laserfusion. Derzeit rechnet jedoch keines der deutschen Unternehmen damit, vor den 2030er Jahren erste Test-Reaktoren ans Laufen zu bringen.

Dennoch: "Die Chancen sind sehr hoch, dass Deutschland einen funktionsfähigen Fusionsreaktor baut", glaubt daher Linsmeier. Aber selbst wenn Deutschland es alleine versucht, könnten andere Länder noch schneller sein. Denn auch in China und den USA laufen Bemühungen, den ersten Fusionsreaktor zu entwickeln. Wer am Ende auch die Nase vorn hat: Der Nachweis, dass die klimaneutrale Kernfusion tatsächlich Energie bereitstellen kann, dürfte der gesamten Menschheit zugutekommen.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen