Fünf Tonnen CO2 pro Stunde Machen Privatjets unsere Klimabemühungen zunichte?
16.08.2022, 11:13 Uhr (aktualisiert)
Privatjets können je nach Größe mehrere Tonnen Kohlendioxid pro Stunde in die Luft blasen.
(Foto: imago/ITAR-TASS)
Jetset-Stars wie Kylie Jenner wird momentan immer wieder vorgeworfen, dass ihre private Vielfliegerei klimatechnisch kaum wiedergutzumachen sei. Doch wie sehr schieben Privatflugzeuge die Erderwärmung tatsächlich an? Eine Einordnung.
"Europa steht in Flammen", schreibt eine Twitter-Userin namens Cara Lisette. Währenddessen unternehme Kylie Jenner 15-minütige Flüge mit ihrem Privatjet. Offensichtlich empört das die Nutzerin: "Ich könnte alles recyceln, alle meine Klamotten aus zweiter Hand kaufen, kompostieren und für den Rest meines Lebens mein eigenes Essen anbauen, und das würde nicht einmal ansatzweise den Fußabdruck von einem ihrer Flüge ausgleichen."
Im Internet kann man sogar dabei zuschauen, wie Promis selbst kürzeste Distanzen in ihren privaten Luxusfliegern zurücklegen. Möglich ist die Echtzeit-Beobachtung dank Menschen wie Jack Sweeney. Der 19-Jährige schrieb 2020 ein Programm, das auf Grundlage offen zugänglicher Luftraumüberwachungsdaten die Bewegungen der Privatmaschine von Tesla-Gründer Elon Musk aufzeichnete und auf Twitter dokumentierte. Mittlerweile betreibt Sweeney eine Vielzahl von Twitter-Konten, auf denen sich die Flugaktivitäten reicher Menschen nachverfolgen lassen.
Zuletzt machte Sweeney so einen 17-Minuten-Flug Kylie Jenners publik, für den die Influencerin massive Kritik einstecken musste. Auch der Rapper Drake oder die Sängerin Taylor Swift müssen sich seit Tagen für den intensiven Gebrauch ihrer Luxusjets rechtfertigen. Sweeneys Programm macht sichtbar, dass einige Stars und Superreiche ihre Privatflugzeuge nutzen wie andere Menschen Taxis. Die Frage aber ist: Machen sie mit ihren Jets wirklich all unsere Bemühungen, den Klimawandel aufzuhalten, zunichte?
Privatmaschine zehn Mal so schädlich wie Linienflug
Der CO2-Ausstoß von privaten Flugzeugen ist enorm. Nach einer Studie der Brüsseler Nichtregierungsorganisation Transport und Umwelt ist der Flug in einem Privatflugzeug pro Personenkilometer im Schnitt zehn Mal so CO2-intensiv wie ein ähnlicher Linienflug. Die Studie verglich den Verbrauch der in Europa meistgeflogenen Privatmaschinen mit dem der am weitesten verbreiteten großen Passagiermaschinen. Dagegen hielten die Autoren unter anderem die Emissionen eines durchschnittlichen Zuges in der EU - ebenfalls pro Person und Kilometer.
Eine Person in einem durchschnittlichen europäischen Privatflugzeug verursacht demnach 1300 Gramm CO2 pro Kilometer. In einem Linienflieger wie der Boeing 737-800 sind es nur 124 Gramm pro Person. Der Vergleich mit dem Schienenverkehr fällt noch deutlicher aus: Die Kohlendioxidbelastung eines privaten Fluges ist 52 Mal höher als die einer durchschnittlichen Zugfahrt in Europa.
Die zitierte Studie rechnet mit einem durchschnittlichen europäischen Privatflugzeug. Das verorten die Autoren zwischen Maschinen wie der Phenom 300 und der King Air 200. Das aber sind nicht die Jets, über die auf Twitter diskutiert wird. Zum Vergleich: Die Kompensationsseite Paramount Business Jets rechnet für die King Air 200 mit einem CO2-Ausstoß von rund 2 Tonnen pro Stunde. Elon Musks Jet, die Gulfstream G650, kommt demnach aber auf 5 Tonnen pro Stunde. Um diese Menge an Kohlendioxid freizusetzen, benötigt ein Brite laut Weltbank durchschnittlich fast ein ganzes Jahr seines Lebens - mit allem, was in diesem Zeitraum anfällt: Ernährung, Heizen, Stromverbrauch und Fortbewegung.
Die britische Nachhaltigkeitsmarketing-Firma Yard schreibt in ihrer Auflistung der "schlimmsten Privatjet-CO2-Übeltäter" dem Privatjet der Sängerin Taylor Swift für dieses Jahr bereits 382 Flugstunden zu. Bei dieser Auslastung dürfte Ende des Jahres rechnerisch das CO2-Budget von rund 15.000 Afghanen oder Afghaninnen zusammengekommen sein.
Anteil verschwindend gering
Trotz all dieser beeindruckenden Zahlen: Gemessen am Kohlendioxid, das weltweit bei der Verbrennung fossiler Energieträger entsteht, ist der Beitrag von Flugzeugen insgesamt gering. Der Anteil des Luftverkehrs lag 2018 mit rund 993 Millionen Tonnen bei 3 Prozent, für Strom- und Wärmeerzeugung wurde etwa 14 Mal so viel C02 freigesetzt. Von diesen 993 Millionen Tonnen gehen wiederum nur etwa 4 Prozent auf Privatflugzeuge zurück. Das zumindest legen Schätzungen der Klimaforscher Stefan Gössling und Andreas Humpe nahe. Das wären 39,7 Millionen Tonnen pro Jahr - ein Anteil am globalen Gesamtausstoß von gerade mal 0,12 Prozent.
Die Klimabelastung beim Fliegen geht zwar deutlich über den CO2-Ausstoß hinaus: Laut einer unter Beteiligung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) entstandenen Studie lassen sich zwei Drittel der Klimawirkung von Flugzeugen nicht auf CO2-Effekte zurückführen. Aber selbst um den Faktor drei erhöht, liegt der Beitrag von Privatflugzeugen zur Erderwärmung noch im Promillebereich. Die private Fliegerei hat also einen verschwindend geringen Anteil am Klimawandel.
Beim dringend nötigen Umbau der Luftfahrtbranche könnten Privatflugzeuge dennoch eine wichtige Rolle spielen. William Todts, Direktor der Organisation Transport und Umwelt erklärt auf schriftliche Nachfrage von ntv.de: "Privatjets eignen sich perfekt für Wasserstoff, Elektroantrieb und E-Treibstoffe, und die Superreichen haben genug Geld, um für diese alternativen Treibstoffe zu bezahlen."
Forderung nach sauberen Privatjets
Die Umweltorganisation schlägt mit Verweis auf die Schweiz eine Ticketsteuer für kerosinbetriebene Privatflugzeuge in Höhe von mindestens 3000 Euro vor. Ab 2030 dann sollten private Flüge auf Strecken von weniger als 1000 Kilometern nur noch mit Maschinen möglich sein, die mit Wasserstoff oder Strom betrieben werden. "Es ist an der Zeit, dass Deutschland bis zum Ende dieses Jahrzehnts 100 Prozent saubere Privatjets vorschreibt", findet Todts. Dies könne die Entwicklung alternativer Antriebe vorantreiben.
"Die Superreichen stehen vor einer Wahl. Sie können entweder weiterhin Klimaterroristen sein oder Teil der Lösung werden", sagt Todts. Die Besitzer von Privatjets hätten dazu die nötigen finanziellen Ressourcen sowie Maschinen, die ohnehin meist nur für kurze Strecken eingesetzt würden. Was sich wiederum perfekt für die Einführung emissionsfreier Flugzeuge eigne, da Elektro- und Wasserstoffflugzeuge zu Beginn ohnehin nur wenige Menschen über kurze Distanzen transportieren könnten.
(Dieser Artikel wurde am Sonntag, 14. August 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de