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Im Taumel der Gefühle? Liebe macht Fruchtfliegen blind

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Fruchtfliegen paaren sich auf einem Pfirsich.

Fruchtfliegen paaren sich auf einem Pfirsich.

(Foto: picture alliance / blickwinkel/R. Sturm)

Liebe macht blind - und zwar nicht nur verliebte Menschen. Auch Fruchtfliegen-Männchen sind während der Paarung blind für Gefahren. Das zeigt eine aktuelle Untersuchung. Die Forscherinnen und Forscher finden heraus, dass ein bestimmter Botenstoff eine entscheidende Rolle dabei spielt.

Das Werben um Weibchen oder die Paarung mit ihnen macht Fruchtfliegen-Männchen buchstäblich blind für den Rest der Welt: Wie ein internationales Forschungsteam im Fachblatt "Nature" berichtet, zeigten Bilder der Netzwerke im Gehirn der Insekten, dass diese Bedrohungen - etwa in Form von Fressfeinden - einfach nicht mehr wahrnehmen. Dabei spielt ein bestimmter Botenstoff eine entscheidende Rolle.

Schon der Volksmund weiß, dass Liebe blind macht. Jenes Sprichwort drückt aus, dass ein liebender Mensch im Taumel der Gefühle Fehler des Partners nicht sieht - für Fliegen könnte die Redewendung indes wortwörtlicher gelten. Das legt zumindest die Studie nahe, die unter Leitung der britischen University of Birmingam entstanden ist und an der auch Forschende der Freien Universität Berlin und der Charité Universitätsmedizin beteiligt waren.

Die Forschungsgruppe untersuchte mithilfe eines speziellen Mikroskopie-Verfahrens, welche Neuronen im Gehirn der Fruchtfliege (Drosophila) während des Balzvorgangs aktiviert werden. Dann kreierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch Licht und Schatten eine künstliche Bedrohung, um die Wirkung eines in der Nähe fliegenden Fressfeindes zu simulieren.

In frühen Stadien der Balz aktivierte eine solche Bedrohung bestimmte visuelle Neuronen im Gehirn der Fliegen-Männchen, die in Wechselwirkung mit den vom Neurotransmitter Serotonin gesteuerten Nervenzellen stehen. In der Folge brachen die Insekten ihr Werben um Weibchen ab und flüchteten. "Mit fortschreitender Balz blockiert der Dopaminanstieg wichtige sensorische Bahnen, wodurch die Fähigkeit der Fliege, auf Bedrohungen zu reagieren, verringert wird und sie sich auf die Paarung konzentrieren kann", beschreibt Neurowissenschaftlerin Laurie Cazale-Debat in einer Mitteilung zur Studie.

Blind durchs Glückshormon

Mit anderen Worten: In fortgeschrittenen Stadien der Balz oder während der Paarung ignorieren Fruchtfliegen-Männchen Gefahren und nehmen derartige Risiken unter dem Einfluss des Neurotransmitters Dopamin nicht mehr wahr. Die Forschungsgruppe konnte also zeigen, was im Gehirn der Fliege passiert, wenn sie Chancen und Risiken einer Entscheidung gegeneinander abwägt - vor derartigen Entscheidungen stünden wir Menschen jeden Tag, führt die leitende Forscherin Carolina Rezaval aus.

Fruchtfliegen würden im Grunde in einer solchen Situation entscheiden, was wichtiger ist: die Balz oder das Entkommen einer möglichen Bedrohung. "Dopamin ist der Schlüssel zu diesem Entscheidungsprozess, aber der Dopaminspiegel hängt eng mit der Nähe des Ziels zusammen", erklärt Rezaval. Die Dopamin-Signalisierung beeinflusse somit die Wahrnehmung auf der Grundlage der Zielnähe, um zwischen konkurrierenden Verhaltensweisen Prioritäten zu setzen, heißt es dazu in der Studie.

Eine derartige Motivation lasse sich beim Menschen ständig beobachten, ergänzt Lisa Scheunemann von der Freien Universität Berlin: "Stellen Sie sich vor, Sie besteigen einen Berg und sind kurz vor dem Gipfel. Wenn sich das Wetter ändert und die Bedingungen gefährlich werden, könnten Sie diese Gefahr ignorieren, weil Sie Ihrem Ziel so nahe sind."

Auch bei Fruchtfliegen führe das Streben nach einer begehrten Belohnung - in diesem Fall einem Fliegen-Weibchen - dazu, eine Gefahr zu ignorieren. Die Studie zeige, dass Dopamin mit dem Fortschreiten der Balz zunehme und wie ein sensorischer Filter wirke, der Ablenkungen blockiert und dem Tier hilft, sich auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren, wenn es sich seinem Ziel nähert, fasst Rezaval zusammen: "Wir sind gespannt darauf zu untersuchen, ob dies ein allgemeiner Mechanismus zur Entscheidungsfindung ist, der auch bei Säugetieren, einschließlich des Menschen, vorhanden ist."

Quelle: ntv.de, Alice Lanzke, dpa

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