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Mehr Schadstoff, weniger Paarung Ozon hat Einfluss auf Insekten-Sex

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Balzkette von vier männlichen Drosophila-Fliegen. Die Fliegenmännchen zeigten ein ungewöhnliches Balzverhalten gegenüber anderen Männchen, die erhöhten Ozonwerten ausgesetzt waren, wie sie heutzutage im Sommer in Städten häufig anzutreffen sind.

Balzkette von vier männlichen Drosophila-Fliegen. Die Fliegenmännchen zeigten ein ungewöhnliches Balzverhalten gegenüber anderen Männchen, die erhöhten Ozonwerten ausgesetzt waren, wie sie heutzutage im Sommer in Städten häufig anzutreffen sind.

(Foto: Benjamin Fabian, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie/dpa)

Dass Ozon den Atemwegen schadet, ist weithin bekannt - der Stoff hat aber auch gravierende Auswirkungen auf Insekten. Diverse Studien und Analysen kommen zu dem Schluss, dass solche Schadstoffe eine Ursache ihres deutlichen Rückgangs sind. Mit dramatischen Folgen bis hin zum Supermarktregal.

Klimawandel, Lebensraumverlust und Spritzmittel gelten als Hauptursachen für den dramatischen Insektenverlust. Forscher finden allerdings immer mehr Belege dafür, dass auch Schadstoffe in der Luft eine schädliche Wirkung haben. So beeinflussen etwa bodennahes Ozon oder Stickoxide die Anziehungskraft von Blütendüften auf Insekten und das Paarungsverhalten der Tiere, wie mehrere Studien zeigen.

Einer großen Analyse zufolge sanken die Leistung von bestäubenden Insekten beim Nahrungssammeln und ihre Fortpflanzungsrate deutlich, wenn die Konzentrationen von Luftschadstoffen erhöht war. Ein Team der britischen Universität Reading hatte für diese kürzlich im Journal "Nature Communications" präsentierte Meta-Analyse 120 Studien mit 40 Insektenarten aus 19 Ländern ausgewertet. Die Schadstoffe hatten jedoch keinen deutlichen Einfluss auf pflanzenfressende Blattläuse und andere Schädlinge.

Nutzloses Parfüm

"Wir stehen vor einem 'Lose-Lose'-Szenario, bei dem Luftverschmutzung nützliche Insekten schädigt, ohne Schädlinge zu beeinflussen", sagt Erstautor James Ryalls. Das führe potenziell "zu größeren Ernteschäden, reduzierten Erträgen und weniger Lebensmitteln in den Supermarktregalen". Als besonders schädlich für Bestäuber erwies sich Ozon. Die Wirkung dieses Schadstoffs hat ein Team aus Jena genauer untersucht, insbesondere mit Blick auf den Insekten-Sex.

"Taufliegenmännchen reiben sich mit ihren Sexualstoffen ein und nutzen sie zur Partnerwerbung, ähnlich wie der Mensch es mit Parfüm versucht", sagt Markus Knaden vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena. Doch Ozon könne diesen Duft zerstören, "woraufhin Fliegenmännchen für die Weibchen weniger attraktiv sind und Fliegenmännchen plötzlich auch Männchen anbalzen". Grund: Die männlichen Fliegen können nicht mehr zwischen den durch Ozon duftlos gewordenen Männchen und den generell kein Parfüm nutzenden Weibchen unterscheiden. "Die Männchen benötigen somit mehr Zeit und Energie, bis sie auf ein Weibchen treffen und sich mit diesem paaren", schlussfolgert Knaden.

"Uns war klar, dass sich erhöhte Ozonwerte auf die Paarungssysteme von Insekten auswirken könnten", sagt Knaden. "Dennoch waren wir schockiert, dass bereits leicht erhöhte Ozonkonzentrationen so starke Auswirkungen auf das Verhalten der Fliegen hatten."

Die meisten Sexualpheromone von Insekten enthalten Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindungen, die leicht durch oxidierende Schadstoffe wie Ozon oder Stickoxide aufgespalten werden können, erläutert Knaden.

Verwirrte Weibchen

In einem weiteren Versuch mischte sein Team die Taufliege Drosophila melanogaster im Labor mit anderen Taufliegen-Arten. Die Männchen wurden zwei Stunden einem Ozonwert von 100 ppb (Teile pro Milliarde Teile) ausgesetzt, wie er in Großstädten schon mal vorkomme. Nachdem das Parfüm so vernichtet war, konnten die für die Partnerwahl zuständigen Weibchen oft nicht mehr riechen, welches Männchen am besten zu ihnen passt und kopulierten auch mit Männchen anderer Arten. Daraus entstanden oft Fliegen-Mischlinge (Hybride), von denen sich einige nicht mehr vermehren können.

"Die Männchen sind nicht mehr so effizient und die Weibchen suchen sich Partner der falschen Art aus", schließt Knaden aus den beiden Studien, die 2023 und 2024 in "Nature Communications" beschrieben sind. "Der Schaden addiert sich."

Er geht bereits jetzt davon aus, dass es auch im Freiland eine Wirkung gibt: "20 Minuten mit hoher Ozonkonzentration reichen aus, um die Parfümschicht der männlichen Taufliegen zu zerstören. Bis sie ihre ursprüngliche Duftschicht wiederhergestellt haben, benötigen sie aber zwei Tage", sagt Knaden. "Wenn die Ozonwerte im Sommer einmal pro Tag stark ansteigen, geht das Parfüm immer wieder weg." Freilandversuche seien geplant.

Ozon entsteht bei intensiver Sonneneinstrahlung etwa aus Abgasen von Autos oder aus Lösungsmitteln in Farben und Lacken. Stickoxide stammen direkt aus Autoabgasen und werden etwa bei der Verbrennung von Kohle und Öl gebildet.

Blütenduft nicht mehr erkennbar

Auch die Anziehungskraft von Blüten auf Insekten können Luftschadstoffe auf verschiedene Weise stören. Ein US-Team hatte nachgewiesen, dass Ozon (O3) und das Nitratradikal (NO3-Radikal) bestimmte Verbindungen abbauen, die lockenden Blumendüften zugrunde liegen. Etwa 300 Blüten von Nachtkerzen wurden über insgesamt 200 Stunden hinweg beobachtet. Ergebnis: Die Blüten waren durch den Duftstoffabbau für gewisse nachtaktive Schmetterlinge kaum oder gar nicht mehr wahrnehmbar. Die Zahl der Blütenbesuche durch die Nachtfalter ging um rund 70 Prozent zurück, die Fruchtbildung der Nachtkerzen um etwa 30 Prozent, wie das Team 2024 in "Science" schreibt.

Schwarzer Senf (Brassica nigra): Unter Einfluss einer höheren Ozon-Konzentration wurden die Blüten von deutlich weniger Insekten besucht.

Schwarzer Senf (Brassica nigra): Unter Einfluss einer höheren Ozon-Konzentration wurden die Blüten von deutlich weniger Insekten besucht.

(Foto: picture alliance / blickwinkel/F. Hecker)

Britische Forscher hatten in einer Feldstudie den Schwarzen Senf, eine Pflanze aus der Familie der Kreuzblütengewächse, einer Konzentration von Dieselabgasen und Ozon ausgesetzt, die unter den derzeitigen Luftqualitätsstandards als sicher gelten. Ergebnis: Die Anzahl der Insekten wie Bienen, Fliegen, Motten und Schmetterlinge sank auf der Versuchsfläche um 62 bis 70 Prozent, ihre Blütenbesuche um 83 bis 90 Prozent (Journal "Environmental Pollution", 2022). Die Forscher nehmen an, dass Schadstoffe nicht nur die Blütendüfte angreifen, sondern auch den Geruchssinn der Insekten.

Mehr Forschung nötig

Bestäuberinsekten seien von vielen Seiten bedroht, vom Klimawandel über Lebensraumverlust bis hin zu vermehrtem Pestizideinsatz, schreiben Laura Duque und Ingolf Steffan-Dewenter von der Universität Würzburg in einer Metastudie von 2024. Die Auswirkung der Luftverschmutzung sei bisher aber nur in einer begrenzten Anzahl von Pflanzen-Bestäuber-Systemen untersucht worden, kritisieren sie im Journal "Frontiers in Ecology and the Environment". Hier sei mehr Forschung erforderlich.

Neben den genannten Auswirkungen auf Partnerwahl und Blütenerkennung beeinträchtigen die Schadstoffe demnach Lernfähigkeit und das Gedächtnis von Insekten, ihre Orientierung sowie die Fitness allgemein. Oft verlängere Luftverschmutzung die Zeit, die Insekten mit der Suche nach Nahrung verbringen, was ihre Effizienz verringere.

Wie groß die Rolle der Luftschadstoffe beim Insektenrückgang ist, könne angesichts der relativ dünnen Studienlage noch nicht gesagt werden, sagt Duque. Es reiche nicht aus, dass in Deutschland schon viele Schadstoffe reduziert wurden. "Es gibt Studien, die auf schädliche Auswirkungen von Luftschadstoffen bei den aktuellen Konzentrationen hinweisen. Idealerweise sollten wir also weiterhin unsere Emissionen reduzieren und dies in Zusammenarbeit mit dem Rest der Welt tun."

Dramatischer Insektenrückgang

Düfte spielen bei Insekten nicht nur bei der Partnerwahl eine große Rolle, sondern auch um Artgenossen anzulocken oder um sich bei Gefahr zu verständigen. Ameisen navigieren entlang von Pheromonspuren oder nutzen kolonieeigene Düfte, um ihre Nestgenossinnen zu erkennen. Viele dieser Duftmoleküle enthalten laut Knaden ebenfalls Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindungen, die durch Ozon aufgebrochen werden können.

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Verschiedene Studien zeigten bereits einen Rückgang der Insekten in Deutschland - zunächst rüttelte der Entomologische Verein Krefeld nicht nur Experten auf: Den 2017 im Journal "PLOS One" vorgestellten Daten zufolge nahm die Gesamtmasse an Fluginsekten von 1989 bis 2016 um mehr als 75 Prozent ab. 2019 fand eine Studie unter Leitung von Forschenden der Technischen Universität München, dass die Gesamtmasse von Insekten und anderen Gliederfüßern von 2008 bis 2017 in Graslandschaften um 67 Prozent schrumpfte, in Wäldern um etwa 40 Prozent.

"Grenzwerte für Luftschadstoffe sollten neu bewertet werden, wenn man bedenkt, dass bereits geringe Mengen dieser Stoffe erhebliche Auswirkungen auf die chemische Kommunikation von Insekten haben", sagt Knaden und appelliert: "Da wir derzeit mit einem dramatischen Insektenrückgang hinsichtlich der Gesamtbiomasse und der Artenvielfalt konfrontiert sind, sollten wir versuchen, sämtliche Faktoren, die diesen Rückgang möglicherweise begünstigen, besser zu verstehen und ihnen entgegenzuwirken."

Quelle: ntv.de, Simone Humml, dpa

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