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Tagelang fast 50 Grad Indiens Hitzewelle zeigt Komplexität der Klimakrise

Die Auswirkungen der Hitze sind überall sichtbar, wie hier am Yamuna, der weitgehend ausgetrocknet ist.

Die Auswirkungen der Hitze sind überall sichtbar, wie hier am Yamuna, der weitgehend ausgetrocknet ist.

(Foto: AP)

Temperaturen zwischen 40 und 50 Grad Celsius - das ist seit Tagen die Norm in Indien und Pakistan. Die Rekordtemperaturen sind weit mehr als zufällige Ausreißer. Experten sehen sie als klares Zeichen der Klimakatastrophe mit weitreichenden Folgen.

Normalerweise ist der Mai in Indien und Pakistan der heißeste Monat des Jahres. In diesem Jahr stiegen die Temperaturen aber bereits im April auf Rekordhöhen. Dem Indian Meteorological Department (IMD) zufolge war die durchschnittliche Höchsttemperatur für Nordwest- und Zentralindien im April die höchste seit Beginn der Aufzeichnungen vor 122 Jahren. Sie lag bei 35,9 bzw. 37,78 Grad Celsius. In der Hauptstadt Neu-Delhi stieg das Thermometer im April an vier aufeinanderfolgenden Tagen auf über 40 Grad Celsius.

Im Nachbarland Pakistan ist die Lage ähnlich. Die Städte Jacobabad und Sibi in der südöstlichen Provinz Sindh des Landes verzeichneten dem pakistanischen Meteorologischen Amt (PMD) zufolge am 29. April Höchstwerte von 47 Grad Celsius. Laut PMD war dies die höchste Temperatur, die an diesem Tag in einer Stadt der nördlichen Hemisphäre gemessen wurde. Schon der März war in der Region der heißeste seit Messbeginn.

Die Meinung der Experten zu den Ursachen dieser extremen Hitzewellen ist eindeutig. Nach einer Analyse von Mariam Zachariah und Friederike Otto vom Imperial College London treten sie als Folge des Klimawandels häufiger als früher auf. "Vor dem Anstieg der globalen Temperaturen hätten wir die Hitze, die Indien in diesem Monat erlebt hat, etwa einmal in 50 Jahren erlebt", sagte Zachariah der "Times of India". "Jetzt kommt so ein Ereignis viel häufiger vor - etwa alle vier Jahre."

"Indiens aktuelle Hitzewelle wurde durch den Klimawandel, der das Ergebnis menschlicher Aktivitäten wie der Verbrennung von Kohle und anderen fossilen Brennstoffen ist, noch heißer", sagte Otto der "Times of India". Das sei mittlerweile bei allen Hitzewellen weltweit der Fall. Aufgrund von Klimawandel und Erderwärmung träten heutzutage achtmal so viele monatliche Hitzerekorde auf, wie es bei einem stabilen Klima zu erwarten wäre, sagte Stefan Rahmstorf, Klimatologe am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, im Deutschlandfunk.

Klimakrise bringt mit Hitzewellen unmittelbare Gefahr für Menschen

Die Auswirkungen dieser Hitzeperioden sind gravierend. Die hohen Temperaturen stellen eine unmittelbare Gefahr für die menschliche Gesundheit dar. Vor allem Menschen, die im Freien arbeiten und die kaum Möglichkeiten zur Abkühlung haben, drohen Überhitzung und Austrocknung. Das betrifft vor allem die ärmsten Menschen des Landes, Rikscha-Fahrer, Straßenverkäufer, Tagelöhner und Obdachlose. Wer kann, verbringt die heißesten Stunden des Tages in im Idealfall gekühlten Innenräumen. Vor allem am frühen Morgen und am Abend versuchen die Menschen dann beispielsweise Einkäufe zu erledigen. Lokale Zeitungen berichten von Schulkindern, die auf dem Schulweg Nasenbluten bekommen, weil sie der Hitze nicht entkommen können. Einige indische Bundesstaaten, darunter Westbengalen und Odisha, haben wegen der steigenden Temperaturen Schulschließungen angekündigt.

Einer WHO-Analyse zufolge ist besonders die Verbindung von hohen Temperaturen mit hoher Luftfeuchtigkeit für den menschlichen Körper belastend. Genau das sind aber die Bedingungen in Indien und Pakistan. Die Körpertemperatur eines gesunden Menschen liegt bei etwa 37 Grad Celsius und kann bei Anstrengung auch auf 38 bis 39 Grad Celsius ansteigen. Der Wärmeausgleich erfolgt vor allem über die Atmung und das Schwitzen. Wenn die eingeatmete Luft aber wärmer ist, als die Körpertemperatur, entfällt die kühlende Wirkung. Gleiches gilt für das Schwitzen bei hoher Luftfeuchtigkeit. Das führt zu einer Belastung des Körpers, die sich in steigender Atem- und Herzfrequenz äußert und zu Erschöpfung, Krämpfen oder auch zum Tod führen kann. Eine internationale Studie kam 2021 bereits zu dem Schluss, dass schon jetzt jeder dritte Todesfall bei Hitze dem Klimawandel zuschreiben ist.

Der Klimaforscher Erich Fischer geht davon aus, dass Menschen bei den Bedingungen in Indien und Pakistan an ihre Anpassungsgrenzen stoßen. Dem Schweizer Sender SRF sagt der Züricher Wissenschaftler, es handele sich um eine der am dichtesten besiedelten Regionen der Welt, wo rund zehn Prozent der Weltbevölkerung leben. Die Menschen lebten eng beieinander, die Luftverschmutzung sei groß, die Nächte heiß. Viele Menschen hätten keine Möglichkeit, sich abzukühlen. Wenn solche Hitzewellen länger anhalten, könnten Menschen ohne Zuflucht in klimatisierte Räume dort bald nicht mehr leben. Schon jetzt wird eine erhöhte Sterblichkeit erwartet, wie sie bereits für frühere Hitzewellen nachgewiesen wurde.

Hitzewelle verursacht Stromausfälle und Wassermangel

Wegen der hohen Temperaturen laufen Klimaanlagen und Ventilatoren auf Hochtouren. Das wiederum hat zu einem enormen Anstieg des Stromverbrauchs geführt. Inzwischen haben mehrere indische Bundesstaaten zumindest zeitweise Probleme mit der Stromversorgung, weil die Kohlevorräte weitgehend aufgebraucht sind. Zur Überbrückung des Engpasses setzten die Behörden demnach zusätzliche Züge ein, um Kohle in die betroffenen Regionen zu transportieren. Dafür wurde teilweise der Personenverkehr reduziert.

In vielen Regionen wird auch das ohnehin knappe Wasser noch rarer. Das und die erschwerten Bedingungen für die Landarbeiter hat zur Folge, dass bereits erhebliche Ernteausfälle abzusehen sind. Im nördlichen Bundesstaat Punjab, bekannt als der "Brotkorb Indiens", rechnen Experten mit einem Verlust von mehr als 500 Kilogramm Weizen pro Hektar. Das liegt unter anderem daran, dass die Hitze das Korn sehr schnell reifen ließ. Dabei blieben die Getreidekörner kleiner als in normalen Jahren. So gerieten auch Indiens Pläne in Gefahr, die durch den Krieg ausgefallenen Getreide-Lieferungen aus der Ukraine zu kompensieren.

Fataler Kreislauf

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Die NASA erwähnt in einer Analyse der Hitzewelle auch das sehr schnelle Abschmelzen des Bergschnees in den nördlichen Regionen von Uttarakhand und Himachal Pradesh sowie zahlreiche Waldbrände. Laut Forest Survey of India gab es am 27. April mehr als 300 große Waldbrände im ganzen Land. Klimafolgenforscher Rahmstorf weist zudem darauf hin, dass durch die aktuelle Hitzewelle die Gefahr wächst, dass weitere folgen. Denn durch die ausgetrockneten Böden und die verdorrte Vegetation komme weniger Verdunstung zustande, die die Böden kühlen könnte.

Für die kommenden Tage ist in Indien und Pakistan noch keine wirkliche Abkühlung zu erwarten. Und Experten sagen, dass die Klimakrise häufigere und längere Hitzewellen verursachen wird, von denen allein in diesen beiden Ländern mehr als eine Milliarde Menschen betroffen sein werden.

(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 03. Mai 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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