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Auch Säugetiere sind betroffen Vogelgrippe verursacht Massensterben

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Ein toter Kranich liegt in einem See im israelischen Hula-Tal. Das Naturreservat ist ein wichtiger Rastplatz für Zugvögel.

(Foto: picture alliance/dpa)

Im Schatten der Corona-Pandemie macht sich ein anderes Virus breit: H5N1, auch bekannt als Vogelgrippevirus, tötet Millionen Tiere weltweit. Auch aasfressende Säugetiere stecken sich damit an. Fachleute sind besorgt, denn das Virus kann auch auf den Menschen übertragen werden.

Manchen Osterurlaubern mögen sie beim Spaziergang an Küsten und Gewässern aufgefallen sein: tote Wasservögel, mitunter mehrere binnen weniger Meter. Millionen Vögel sterben allerdings seit Monaten von den meisten Menschen unbemerkt - nicht nur in Deutschland und Europa. Ursache des Massensterbens unter Enten, Gänsen, aber auch Pelikanen, Rotkehlchen und Kranichen ist die Vogelgrippe, ausgelöst vom Virus H5N1. Die aktuelle Infektionswelle mit einer hochpathogenen H5N1-Variante sei mit ihrer raschen Ausbreitung und der extrem hohen Häufigkeit von Ausbrüchen bei Geflügel und Wildvögeln beispiellos und stelle eine anhaltende potenzielle Bedrohung für den Menschen dar, schreiben Michelle Wille und Ian Barr von der University of Melbourne im Fachmagazin "Science".

Übertragungen des Erregers von Vögeln auf Menschen seien in den letzten zwei Jahrzehnten zwar stets selten gewesen und eine dauerhafte Übertragung von Mensch zu Mensch noch nicht dokumentiert - hochpathogene Vogelgrippeviren stellten aber ein potenzielles Pandemierisiko dar, warnen die Wissenschaftler. Eine weitere Anpassung der aktuell kursierenden Virusform könnte ihre Fähigkeit zur effizienten Übertragung von Mensch zu Mensch erhöhen.

Bisher ist dem Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) auf der Insel Riems nur der Fall eines 79-jährigen Mannes aus Südwestengland bekannt, der sich Anfang des Jahres nach direktem und anhaltendem Kontakt mit erkranktem Geflügel mit dem derzeit kursierenden Vogelgrippe-Erreger angesteckt hatte. Die britische Gesundheitsbehörde UKHSA warnte davor, kranke oder tote Vögel zu berühren.

Mehr Säuger infiziert als sonst

Vielfach nachgewiesen sind in der aktuellen H5N1-Welle Übertragungen auf Fleisch und Aas fressende Säugetiere wie Füchse und Fischotter. Die Zahl liege höher als bei vorherigen Infektionswellen, heißt es vom FLI auf Anfrage der dpa. "Unklar bleibt, ob dies auf eine erhöhte Empfänglichkeit von Säugetieren für das zirkulierende Virus zurückzuführen ist oder auf ein erhöhtes "Angebot" virusinfizierter Vogelkadaver." Mutationen, die eine erhöhte Anpassung an Säugetiere beziehungsweise den Menschen belegen, seien bislang nicht gefunden worden.

Das FLI, das für Tiergesundheit zuständige Bundesforschungsinstitut, hatte schon Ende vergangenen Jahres von der "stärksten Geflügelpest-Epidemie überhaupt" in Deutschland und Europa gesprochen. Im "Radar Bulletin" vom März hieß es, es würden weiterhin fast täglich Ausbrüche und einzelne Fälle bei Hausgeflügel und Wildvögeln in Europa gemeldet. Schon von Herbst 2020 bis April 2021 hatte Europa nach FLI-Angaben die bis dahin schwerste Geflügelpest-Welle erlebt.

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Ein Knutt im an der Dänischen Nordseeküste.

(Foto: picture alliance / Zoonar)

Seit Ende 2021 wurden an den Küsten Nordeuropas erneut zigtausende tote Vögel gefunden, wie das FLI berichtete. In Frankreich gab es seither Meldungen zu Hunderten toten Gänsen und Schwänen, in den Niederlanden wurden mehrere Tausend Knutts tot gefunden. An der Westküste Englands starben geschätzt 10 Prozent der dort rastenden Nonnengans-Population, in Griechenland in diesem Jahr bereits hunderte Krauskopfpelikane. Aus Israel kamen Berichte über rund 10.000 tote und sterbende Kraniche in einem Nationalpark im Hula-Tal. Sie kommen als Zugvögel aus Südeuropa nach Israel, um dort auf dem Weg nach Afrika Station zu machen.

Erste Fälle schon 2021 in Nordamerika

"Überraschend hat sich herausgestellt, dass das Virus bereits im Sommer 2021 über den Nordatlantik, aller Wahrscheinlichkeit nach durch Wildvögel, nach Nordamerika eingeschleppt wurde", teilte das FLI mit. Zum Jahreswechsel seien erste Infektionen im Nordosten Kanadas nachgewiesen worden. "Von dort aus breitet sich das Virus in einem fulminanten Seuchenzug entlang der Ostküste der USA nach Süden aus sowie in voller Breite auch nach Westen." Es habe den Mississippi bereits überschritten und in Einzelfällen die Pazifikküste erreicht. Hunderte Fälle infizierter Wildvögel seien nachgewiesen worden, zudem seien Geflügelhaltungen massiv betroffen. "Bereits mehr als 30 Millionen Stück Geflügel mussten in den USA getötet werden."

In Europa lägen die Hotspots von Infektionen bei Geflügel derzeit wohl in Frankreich, dem Vereinigten Königreich, Ungarn und Italien, hieß es vom FLI. In Deutschland gebe es weiterhin in erheblichem Maße Infektionen bei Wildvögeln, aber vergleichsweise wenige Ausbrüche bei gehaltenen Vögeln, insbesondere in kommerziellen Geflügelhaltungen. Die genaue Ursache sei unklar, Anteil hätten womöglich die besseren Sicherheitsmaßnahmen zum Verhindern einer Einschleppung des Virus in Haltungen.

Bedrohung für Mensch und Tier

Bei Wildvögeln bedrohe der Erreger ganze Populationen, vorwiegend solche, die bereits gefährdet sind, warnen Wille und Barr. Es müsse kontinuierliche Investitionen in die Überwachung von Wildvögeln und Geflügel sowie von Menschen an der Schnittstelle zwischen Mensch und Geflügel geben. Um die Risiken zu mindern, seien Maßnahmen wie die Verringerung der Bestandsgröße und -dichte und die Vermeidung der Geflügelproduktion in Gebieten mit vielen Wasservögeln sinnvoll.

Die Vogelgrippe, fachsprachlich Aviäre Influenza, kommt natürlicherweise vor allem in wildlebenden Wasservögeln vor. Die Erreger enthalten auf ihrer Oberfläche bestimmte Eiweiße, die mit der Abkürzung H (für Hämagglutinin) und N (für Neuraminidase) bezeichnet werden und die jeweils in verschiedenen Subtypen vorkommen (H1 bis H16 und N1 bis N9). Der Name H5N1 bedeutet also die Kombination der Eiweiße H5 und N1 auf der Oberfläche der Variante.

Unterschieden werden bei der Vogelgrippe zudem geringpathogene und hochpathogene Varianten. Geringpathogene Formen etwa der Subtypen H5 und H7, die kaum oder nur milde Krankheitssymptome verursachen, können sich über Erbgutveränderungen zu hochpathogenen Varianten entwickeln. Für solche oft ganze Geflügelbestände vernichtenden Formen wird der Begriff Geflügelpest verwendet. Einige Vogelgrippe-Varianten können auf den Menschen übertragen werden und - bisher in seltenen Fällen - tödlich verlaufende Erkrankungen auslösen.

Nur zwei H-Subtypen - H5 und H7 - seien bisher wiederholt als hochpathogene Aviäre Influenza (HPAI) aufgetaucht, erläutern Wille und Barr in "Science". Dies passiere in der Regel dann, wenn niedrigpathogene H5- oder H7-Viren von Wildvögeln auf Geflügel übertragen werden, wo sich das H-Protein verändert. "Obwohl der N-Subtyp eine gewisse Rolle bei der Übertragbarkeit des Virus spielen kann, bestimmt er nicht die Schwere der Erkrankung."

Kaum Impfungen in Europa

Impfungen von Geflügel gegen Influenza bieten aufgrund der hohen Variabilität der Viren häufig einen unzureichenden Schutz, in der EU wurden sie anders als etwa in China bisher nicht breit eingesetzt. Vermutlich besitzen dem FLI zufolge schon länger existierende Impfstoffe aus anderen hochpathogenen H5-Formen auch Wirksamkeit gegen das aktuelle H5N1-Virus. "Allerdings ist derzeit kein passender Impfstoff zur Anwendung im Geflügel in Europa zugelassen." In verschiedenen EU-Mitgliedsländern seien aber Feldversuche zur Erprobung spezifischer Vakzine initiiert worden, auf EU-Ebene würden Möglichkeiten zum Einsatz von Impfstoffen diskutiert.

Die derzeit zirkulierende Linie von H5 entstand Wille und Barr zufolge bereits 1996 in Asien und wird Gänse/Guangdong-Linie genannt. Darauf basierende Varianten hätten sich in Asien, dem Nahen Osten, Afrika und Europa ausgebreitet, Hunderte Millionen Hühner, Puten und Hausenten seien gekeult und mehr als 600 Fälle von H5N1 beim Menschen registriert worden. Die nun kursierende Nachfolgeform sei offenbar weit weniger gefährlich für den Menschen.

Auf welchen Eigenschaften des Virus die immense Verbreitung unter Vögeln beruht, ist Wille und Barr zufolge derzeit noch unklar. Möglicherweise kann die Variante ein breiteres Spektrum von Wildvögeln infizieren oder sie ruft eine höhere Viruslast hervor, was zu erleichterten Übertragungen führt.

Eine Übertragung von Mensch zu Mensch gilt bei der Vogelgrippe weiterhin als weitgehend ausgeschlossen, wie Wille und Barr schreiben. Zu hoffen sei, dass es so bleibt: Wie bei Corona wäre es demnach praktisch unmöglich, das Virus unter Kontrolle zu bringen, wenn es zu einer solchen Anpassung käme und das Virus durch die Luft von Mensch zu Mensch übertragen würde.

(Dieser Artikel wurde am Freitag, 29. April 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de, jaz/dpa

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