Einfluss der Umwelt maßgeblich Wie Massentierhaltung ein Virus gefährlich machte
19.12.2023, 19:59 Uhr Artikel anhören
Massentierhaltungen führen dazu, dass Krankheitserreger wie das Marek-Virus mutieren.
(Foto: picture alliance / Westend61)
Von einer harmlosen Infektion bei Hühnern zum todbringenden Erreger: Forschende untersuchen, wie sich das heute hochansteckende Marek-Virus über 1000 Jahre hinweg genetisch entwickelt hat. Die Ergebnisse zeigen, dass Massentierhaltung und Impfungen Killerviren hervorbringen.
Der Erreger einer gängigen und weltweit verbreiteten Viruserkrankung von Hühnern hat seine verheerende Wirkung erst mit der Massentierhaltung Mitte des 20. Jahrhunderts erlangt. Das schließt ein internationales Forschungsteam im Fachblatt "Science" aus genetischen Analysen von bis zu 1000 Jahre alten Überresten des Marek-Virus. Demnach nimmt generell bei Krankheitserregern die Umwelt entscheidenden Einfluss sowohl auf die Ausbreitung dieser Pathogene als auch auf ihre Virulenz - also auf die Schwere der von ihnen verursachten Krankheiten.
Die hochansteckende Marek-Krankheit ist eine durch das gleichnamige Virus verursachte Erkrankung von Hühnern, die 1907 in Ungarn erstmals beschrieben wurde. Damals galt sie als relativ harmlose Infektion, die allenfalls bei älteren Hühnern Symptome auslöste. Inzwischen verursacht das Marek-Virus (MDV) bei Hühnern häufig bösartige Tumoren des lymphatischen Systems. Die Bekämpfung der in Deutschland meldepflichtigen Krankheit etwa durch Impfungen kostet die Geflügelindustrie weltweit mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr, schreiben nun die Autoren einer aktuellen Studie.
Massentierhaltung als Mutationstreiber
In früheren Jahrhunderten hatten aggressive Varianten in kleinen und lokal isolierten Hühnerpopulationen eher für ihr eigenes Aussterben gesorgt. In dichten Populationen der Massentierhaltung könnten sie sich dagegen verstärkt ausbreiten und mit der schnellen Folge von Übertragungen eher Mutationen anhäufen, erläutert Sebastian Duchene vom Pariser Institut Pasteur in einem "Science"-Kommentar. Die Massentierhaltung erhöhe demnach nicht nur die Zahl neuer Mutationen, sondern begünstige auch, dass sich besonders aggressive Varianten des Virus weiter verbreiten konnten.
Das gilt etwa für Stämme mit dem krebserregenden Gen Meq. Das Forschungsteam um Steven Fiddaman von der Universität Oxford baute in der Studie alte und moderne Formen dieses Gens nach und testete sie in Zellkulturen. Resultat: Im Gegensatz zu den neuen Varianten waren die alten Virenstämme wahrscheinlich nicht dazu in der Lage, Tumoren zu verursachen.
Die Autoren vermuten, dass die steigende Virulenz nicht nur auf die Zunahme der weltweiten Hühnerpopulationen zurückzuführen ist, sondern auch auf die Verwendung bestimmter Impfstoffe: Jene hätten zwar symptomatische Erkrankungen verhindert, aber die Übertragung des Virus nicht unterbunden, was wahrscheinlich zu einer beschleunigten Evolution der Virulenz führte.
Gefahren durch Hühnerhaltung
Um die Entwicklung des Erregers zu rekonstruieren, hatte das Team Virengenome aus bis zu 1000 Jahre alten Hühnerknochen aus 140 archäologischen Stätten in Europa und dem Nahen Osten analysiert. "Unsere Daten zeigen, dass das Virus mindestens 1000 Jahre vor der ersten Beschreibung der Krankheit im Jahr 1907 bereits weit verbreitet war", sagt einer der Studienleiter, Laurent Frantz von der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Seine Gefährlichkeit entwickelte es demnach erst mit dem drastischen Anstieg der Hühnerhaltung in den 1950er und 1960er Jahren.
"Die Studie liefert entscheidende Informationen darüber, wie Krankheitserreger in Wirtspopulation bestehen und wie die Ökologie die Pathogenität antreiben kann", schreibt Kommentator Duchene. "Mithilfe einer molekularen Uhr bestimmten Fiddaman et al., dass jene Mutationen, die heute typisch für die hohe Aggressivität von MDV sind, um jene Zeit entstanden, als sich die Geflügelfarmen schnell verbreiteten."
Quelle: ntv.de, Walter Willems, dpa