Rolle der Luftverschmutzung Wie beeinflusst Feinstaub den Covid-19-Verlauf?
04.11.2020, 20:23 Uhr
Computertomographieaufnahmen der Lunge eines Covid-19-Patienten: Die linke wurde zu Beginn der Behandlung der Corona-Infektion angefertigt, die rechte 13 Tage später. Die Ausbreitung der weißen Bereiche rechts zeigen eine stärke Infektion mit Wassereinlagerungen in der Lunge. Dadurch ist eine künstliche Beatmung notwendig.
(Foto: picture alliance/dpa)
Das Coronavirus greift die Lunge an und auch Feinstaub schädigt sie. Da erscheint naheliegend, dass eine hohe Luftverschmutzung die Todesfall-Rate unter Covid-19-Patienten erhöht. Aber stimmt das? Die Harvard-Universität hat das in einer Studie untersucht.
Eine starke Feinstaub-Belastung könnte möglicherweise zu einem Anstieg der Covid-19-Sterberate führen. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine Studie von Biostatistikern der US-amerikanischen Harvard-Universität, die im Fachblatt "Science Advances" veröffentlicht wurde. Schon davor hatten Arbeiten unter anderem aus Deutschland einen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und dem Verlauf von Covid-19-Erkrankungen nahelegt. Experten sind indes vorsichtig bei der Bewertung dieses Zusammenhangs.
Für die aktuelle Analyse verglichen die Forscher die Luftqualität in 3089 US-Countys und die Covid-19-Todeszahlen in den entsprechenden Regionen. Konkret wertete das Team um die Biostatistiker Xiao Wu und Francesca Dominici die durchschnittliche Konzentration sogenannter PM 2,5-Partikel - also Feinstaub-Teilchen mit einer Größe von maximal 2,5 Mikrometer - zwischen 2000 und 2016 in den untersuchten Countys aus. Dann suchten die Forscher nach Verbindungen zwischen diesen Daten und den Covid-19-Todeszahlen bis zum 18. Juni 2020.
Mehr Feinpartikel-Schadstoffe, höhere Covid-19-Mortalitätsrate
Ihre Analyse ergab, dass bereits ein Anstieg von nur einem Mikrogramm pro Kubikmeter in der langfristigen durchschnittlichen Belastung durch Feinpartikel-Schadstoffe mit einem elfprozentigen Anstieg der Covid-19-Mortalitätsrate des jeweiligen Bezirks verbunden ist. Auf welche Weise solche beeinflussbaren Faktoren wie Feinstaub Covid-19-Symptome möglicherweise verschlimmern und die Todesrate erhöhen könne, müsse dringend erforscht werden.
Erst kürzlich hatte eine internationale Forschungsgruppe, an der auch Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz beteiligt waren, im Journal "Cardiovascular Research" berichtet, dass 15 Prozent der weltweiten Todesfälle durch das Coronavirus auf die Belastung mit Feinstaub zurückzuführen sein könnten, in Deutschland liege der Anteil gar bei 26 Prozent.
Kein direkter Zusammenhang, aber indirekter Effekt
Die Forscher sehen in ihren Ergebnissen keinen Beweis für einen direkten Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Covid-19-Sterblichkeit, sondern vielmehr einen indirekten Effekt. "Unsere Schätzungen zeigen die Bedeutung der Luftverschmutzung auf Komorbiditäten, also Gesundheitsfaktoren, die sich gegenseitig verschlimmern und so tödliche gesundheitliche Folgen der Virusinfektion auslösen können", erläutert Atmosphärenforscher Andrea Pozzer. Die tatsächliche Covid-19-Sterblichkeit werde durch viele Faktoren beeinflusst, unter anderem das Gesundheitssystem eines Landes.
"Wenn Menschen verschmutzte Luft einatmen, wandern die sehr kleinen gesundheitsschädlichen Feinstaubpartikel von der Lunge ins Blut und in die Blutgefäße", erläutert der mitbeteiligte Forscher Thomas Münzel vom Universitätsklinikum Mainz die Wirkung von Feinstaub auf den Körper. Dort verursachten sie Entzündungen und starken oxidativen Stress, was wiederum die Reparatur von Zellschäden störe. Letztlich wird die innere Arterienschicht, das Endothel, geschädigt. Die Arterien verengen und versteifen.
Ähnliche Schäden verursache demnach auch das Coronavirus. Die negativen Gesundheitseffekte beider Belastungen addierten sich, die Widerstandsfähigkeit des Körpers sinke. "Wenn Sie bereits an einer Herzerkrankung leiden, verursachen Luftverschmutzung und Coronavirus-Infektionen Probleme, die zu Herzinfarkt, Herzinsuffizienz und Schlaganfall führen können", sagt Münzel.
Kritik an der Studie

Auch ohne die Corona-Pandemie gibt es genug Gründe, die Luftverschmutzung zu reduzieren.
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Allerdings gab es an der Studie auch Kritik, vor allem an der Methodik. Die Untersuchung stützt sich auf eine erst vorabveröffentlichte Arbeit zu Feinstaubbelastung und Covid-19-Sterblichkeit in den USA und eine weitere, in der Zusammenhänge zwischen Feinstaub und der Sars-Epidemie im Jahr 2003 untersucht worden waren. "Obwohl es sehr wahrscheinlich ist, dass es eine Verbindung zwischen Luftverschmutzung und Covid-19-Sterblichkeit gibt, ist es aufgrund der vorhandenen Evidenz voreilig zu versuchen, diese zu quantifizieren - wie hier geschehen", sagt Anna Hansell University of Leicester. Es gebe aber unabhängig von der Corona-Pandemie genügend Gründe, die Luftverschmutzung zu reduzieren, auf die laut Weltgesundheitsorganisation WHO bereits sieben Millionen Todesfälle jährlich weltweit zurückzuführen seien.
Auch die Autoren der aktuellen Studie betonen, dass ihre Auswertung zunächst eine Korrelation und keine Kausalität darstelle - ein Hinweis, den auch Lungenfacharzt Michael Barczok in einer unabhängigen Einordnung der Arbeit unterstreicht: So hätten die Forscher zwei statistische Ergebnisse nebeneinandergelegt, die sehr eindrücklich wirkten. "Und mit Sicherheit gibt es übereinstimmende Faktoren, die für beide Probleme maßgeblich sind, so etwa die Bevölkerungsdichte: Ist diese hoch, gibt es auch mehr Luftverschmutzung sowie mit Blick auf Covid-19 eine höhere Infektionsrate", führt Barczok aus.
"Weitere Studien nötig"
Allerdings wirkten sich Faktoren wie das Alter eines Menschen, etwaiges Übergewicht oder das Nichttragen eines Mund-Nasen-Schutzes derart mächtig aus, dass fraglich sei, wie sehr die Luftverschmutzung ins Gewicht falle: "Wir wissen zwar, dass es einen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Atemwegserkrankungen gibt, aber um die tatsächliche Rolle der Belastung durch Stickoxide und Feinstaub für den Krankheitsverlauf bei Covid-19 zu bestimmen, wären weitere Studien nötig", so Barczok.
Der Lungenspezialist, der auch Mitglied des Bundesverbands der Pneumologen, Schlaf- und Beatmungsmediziner (BdP) ist, verweist in diesem Zusammenhang auf eine Stellungnahme dreier niederländischer Wissenschaftler, die im Fachblatt "European Respiratory Journal" eindrücklich vor voreiligen Schlüssen warnten: "Um festzustellen, ob es einen kausalen Effekt gibt, und für eine genaue Abschätzung jenes Effekts ist rigorose und zeitaufwändige Forschung erforderlich."
Die Forschung zur Rolle der Luftverschmutzung für Covid-19 könne zwar für Fragen der Verbreitung von Infektionskrankheiten und zu Krankheitsprognosen von Bedeutung sein - ihre Ergebnisse würden aber vermutlich nicht zu kurzfristigen Änderungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie oder der klinischen Versorgung von Patienten führen, so dass entsprechende Arbeiten mit der gewohnten wissenschaftlichen Sorgfalt durchgeführt werden sollten.
Studie ohne Berücksichtigung individueller Risikofaktoren
Auch die Autoren der aktuellen Studie räumen ein, dass etwa individuelle Risikofaktoren keine Berücksichtigung in Analysen wie der ihren fänden. In einem zur Studie veröffentlichten Editorial betonen die beiden "Science Advances"-Redakteure Jeremy Jackson und Kip Hodges daher, dass solche individuellen Risikofaktoren vermutlich durch Umweltbedingungen wie eben die Feinstaub-Belastung beeinflusst würden.
Speziell für PM 2,5-Partikel sei bekannt, dass diese die Sterblichkeit infolge von kardiovaskulären Erkrankungen und obstruktiven Lungenerkrankungen erhöhten. "Darüber hinaus haben neuere Studien gezeigt, dass selbst eine kurzfristige Exposition gegenüber PM 2,5-Verschmutzung das Risiko für akute Infektionen der unteren Atemwege und Krankenhausaufenthalte wegen Influenza erhöht", so Jackson und Kip.
"Schockbelastung für die Lunge" durch Feuerwerk
Jene Beobachtung ist insbesondere auch mit Blick auf den kommenden Jahreswechsel von Bedeutung, denn gerade durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern werden nach Angaben des Bundesumweltamtes jedes Jahr Tausende Tonnen Feinstaub freigesetzt. Pneumologe Barczok spricht in diesem Zusammenhang von einer "Schockbelastung für die Lunge". Speziell Menschen mit Vorerkrankungen der Lunge oder Covid-19-Patienten rät er deswegen zur Vorsicht: "Wir wissen von derartigen Patienten, dass deren Lungenprobleme noch lange nach der Infektion anhalten können - an Silvester herrscht natürlich keine Kuratmosphäre, deswegen sollte man einem solchen Lungenstress aus dem Weg gehen."
Die Autoren der aktuellen Studie hoffen nun, dass ihre Analyse weitere Arbeiten anstößt, welche sich genauer mit dem Einfluss von Umweltfaktoren auf Covid-19-Symptome beschäftigen.
Jeremy Jackson und Kip Hodges ergänzen zudem, die Studienergebnisse hätten starke politische Implikationen: "Covid-19, zoonotische Influenza und andere potenziell schwerwiegende neu auftretende Zoonosen sind und bleiben langfristige Bedrohungen für unsere Spezies. Die jetzt erscheinenden Datensätze deuten darauf hin, dass diese Bedrohungen durch Luftverschmutzung wahrscheinlich noch verschärft werden."
Quelle: ntv.de, Alice Lanzke, dpa