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"Was wir verschweigen" Ein Mord, zwei Freunde - viele Finnen

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Finnland ist immer eine Reise wert.

(Foto: imago/allOver)

Drei Jahre an der Idee gefeilt, in acht Wochen geschrieben, erster Teil einer auf sechs Bände konzipierten Reihe: Mit "Was wir verschweigen" liefert Finnlands aufstrebender Thrillerautor Arttu Tuominen einen preisgekrönten Bestseller ab. Und das hat gute Gründe.

Man hat nie wieder so gute Freunde wie in der Kindheit." Wenn man als Leser diese Weisheit mitnimmt, dann hat Arttu Tuominens Meisterwerk "Was wir verschweigen" seinen Dienst erfüllt. Klappe zu, Affe tot. Ganz so einfach macht es der finnische Bestsellerautor seinen Lesern aber dann doch nicht. Denn auch im hohen Norden gilt: Mord bleibt Mord, auch wenn es ein Arschloch trifft.

Und ein Arschloch hat es getroffen. Das erkennt Ermittler Jari Paloviita, als sich mit dem Namen eines Mordopfers eine längst vergessen geglaubte Vergangenheit und mit ihr verdrängte Trauamata mit Vehemenz zurück an die Oberfläche seines Bewusstseins drängen: Rami Nieminen. Paloviita bekommt Gänsehaut, ihm bricht der Schweiß aus: Rami Nieminen ist ein Arschloch vor dem Herrn. Oder besser: War, denn er wurde mit einem großen Küchenmesser ermordet, mehrere Stiche in Rücken und Hals. Die Tat geschah in einer abgelegenen Hütte, während einer zu einem Saufgelage verkommenen Party.

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Einer typisch-finnischen Party also, denkt Paloviita und fühlt sich bestätigt: Seiner Erfahrung nach hat bei einem typisch-finnischen Kapitalverbrechen jemand entweder einfach einen Schluck aus der falschen Flasche genommen - oder einen zu großen Schluck aus der gemeinsamen. Dumm nur, denkt Paloviita weiter, dass er auch den mutmaßlichen Täter kennt: Antti Mielonen. Sein bester Freund aus Kindheitstagen.

Ein heißer Sommertag

Mit Mielonen hat Paloviita die schönste Zeit seines Lebens verbracht, unzählige Abenteuer erlebt, Mittsommer-Feste und Angel-Sessions gefeiert. Sie haben heimlich Zigaretten geraucht und schmuddelige Porno-Hefte angeschaut, bis diese auseinanderfielen. Ihr geheimer Lieblingsort: eine baufällige kleine Holzhütte irgendwo in einer Waldlichtung, samt Wiese und abgedecktem Brunnen.

Der Brunnen. Paloviita schaudert es, kalter Schweiß bildet sich urplötzlich auf seiner Stirn. Er rauft sich das Haar, streicht über die Narbe auf seinem Kopf. Der vermaledeite Brunnen. An diesem verdammten Sommertag in der sechsten Klasse. Ein Tag in einem Sommer, der der schönste in seinem Leben hätte werden sollen und der am Ende der schlimmste wurde. Ein Sommertag, den er versucht hat, zu verdrängen, zu vergessen, für immer in den Tiefen seines Gehirns zu begraben. Doch mit dem ermordeten Rami Nieminen ist alles wieder da: der Geruch des Sommers. Sonne und Wolken, die sich am Himmel einen Wettlauf liefern und in der gammeligen Hütte ein wildes Spiel aus Licht und Schatten hinterlassen. Der Geruch nach frischgewaschenen Haaren, die seiner damaligen großen Liebe gehören - und der Geschmack von Waffenöl in seinem Mund.

Paloviita schüttelt sich, will die Dämonen aus der Vergangenheit wieder vergessen. Aber es gelingt ihm nicht: Sie sind gekommen, um zu bleiben. Der Sommer. Die Hütte. Die erste Freundin - und seine kleine, Schwester Tina.

Tina. Sie starb in dem Sommer, an diesem Tag. In dem verdammten Brunnen, dessen Abdeckung vermodert war. Weil Paloviita nicht für Tina da gewesen war. Sie war in den Brunnen gefallen, weil er nicht aufgepasst hatte. Nicht aufpassen konnte, wegen Rami Nieminen. Die Waffe in dessen Hand. Ein Schuss. Paloviita greift sich geistesabwesend an die Narbe auf seinem Kopf. Nicht einmal seine Frau weiß von ihr, von dem, was genau an diesem Sommertag damals passiert ist. Tinas Schrei. Sein Entsetzen. Nieminens mörderisch-leuchtende Augen.

Ein Toter mit Geschichte

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Arttu Tuominen ist Bestsellerautor und arbeitet auch als Ingenieur für Umwelttechnik. Er lebt mit seiner Familie in Pori.

(Foto: © Mikko Rasila)

Und nun ist Nieminen tot. Zu spät, denkt Paloviita zwar, aber es war absehbar. Nieminen war ein kriminelles Arschloch, wie aus dem Lehrbuch. Schon in der Schule malträtierte er jüngere, kleinere Kinder, hakte auf den Schwächeren herum - auch auf Paloviita. Nieminen zwang ihn, Hundescheiße zu essen. Dafür schwor Paloviita Rache: Gemeinsam mit Mielonen knöpfte er sich Nieminens geliebtes Rad vor. Überhaupt: Mielonen. Antti. Paloviitas bester Kumpel. Kindliche Schwüre ewiger Freundschaft. Träumereien, die schon früh dazu verdammt sind, sich in Luft aufzulösen. Denn während Paloviita wohlbehütet aufwächst, ist Mielonen mit einem gewalttätigen, eifersüchtigen Vater geschlagen, der ebenso wie die Mutter säuft - nur die Gründe unterscheiden sich. Mielonens schiefe Laufbahn ist vorgezeichnet: Kriminalität, Knast, schneller Tod.

Der Knast kam. Mehrfach. Wie bei Rami Nieminen. Wieder überlegt Paloviita: Kann er seinem Kumpel aus Kindheitstagen doch helfen? So wie dieser ihm einst gegen die Gewalt-Ausbrüche Nieminens? Ist es ok, wenn er, Paloviita, seine Karriere, sein Familienleben mit Frau und zwei Kindern aufs Spiel setzt, um einen alten Freund aus der Patsche zu helfen? Seinem besten Freund? Seinem einzigen Freund?

Freundschaft ist …

Das ist der Stoff, den Arttu Tuominen, den Leser seines fesselnden Bestsellers "Was wir verschweigen" an die Hand gibt. Die Frage nach dem "Wer war es" spielt für den 1981 geborenen Finnen dabei keine Rolle. Das ist schnell klar. Aber das Warum, Wieso, Weshalb ist es, dass sein Werk, der Start einer sechsbändigen Krimi-Serie, so besonders macht.

Im Vordergrund stehen die einzelnen Charaktere und ihre jeweiligen Entwicklungen. Immer wieder greift Tuominen zu Rückblenden, um aus der gemeinsamen Kindheit der drei Hauptfiguren zu erzählen. Diese Kapitel und Geschichten sind es, die den Leser an den Stoff fesseln. Das gilt erst recht für das ebenfalls bei Lübbe erschienene Hörbuch mit der Stimme von Wolfram Koch, der Stimme der Carl-Moerck-Reihe von Jussi Adler-Olsen.

Und dann wäre da natürlich noch der Punkt, dass das Buch in Finnland spielt. Mal ehrlich: Was wissen Sie über Finnland? Ja, Samu Haber kommt daher, der Lieblingssport der Finnen ist Eishockey, sie mögen ihren Finlandia, ihren Salmiaki und es gibt gefühlt mehr Saunen als Einwohner.

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Aber Finnland mausert sich immer mehr zu einem fantastischen Krimi- und Thriller-Land. Zu einem Blockbuster-Macher Ilkka Remes kam ein Antti Tuoaminen dazu, der sich mit seinem schrägen Humor und Büchern wie "Klein Sibirien", "Palm Beach, Finland" oder "Die letzten Meter bis zum Friedhof" längst zum Kultautor auch außerhalb des kleinen skandinavischen Landes gemausert hat. Und nun schafft es mit Arttu Tuominen ein weiterer Finne auf die internationale Bestsellerbühne. Arttu Tuominen aus Pori, einer kleinen Küstenstadt in Mittelfinnland. Pori, in der auch seine Jari-Paloviita-Reihe spielt. Richtig: Heimatverbunden ist der Finne an sich auch.

Als Leser darf man nach "Was wir verschweigen", dessen Grundidee Tuominen mehrere Jahre reifen ließ, ehe er sie und das gesamte 416-Seiten-Buch in gerade einmal acht Wochen zu Papier brachte, wie die Reihe weitergeht. Das Ende hat zumindest einen Twist parat, den man vorher nicht unbedingt hat kommen sehen. Alte Freunde sind eben doch immer für eine Überraschung gut.

Quelle: ntv.de

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