
Ramstein ist die größte US-Basis in Europa- und Treffpunkt der Unterstützerländer der Ukraine.
(Foto: picture alliance/dpa)
Auf der US-Militärbasis in Ramstein kommt heute die Militärallianz aufseiten der Ukraine zusammen. Für Deutschland ist es die Stunde der Wahrheit: Die Entscheidung, ob die Bundesregierung "Leopard"-Lieferungen freigibt und auch eigene Kampfpanzer bereitstellt, kann sie nicht weiter hinauszögern.
Auf die Bündnistreue der Amerikaner kann sich Olaf Scholz verlassen. Ungeachtet des hörbar auch in Washington verbreiteten Frustes über die zögerliche Haltung des Bundeskanzlers in der Frage von Kampfpanzer-Lieferungen an die Ukraine lässt die US-Regierung öffentlich nichts auf den deutschen Regierungschef kommen. "Die Deutschen verstehen sehr gut, was in der Ukraine auf dem Spiel steht", kommentierte John Kirby, Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, die deutsche Ukraine-Politik. "Wir sind dankbar für das, was sie zur Verfügung gestellt haben, und wir sind dankbar dafür, dass sie darüber nachdenken, Kampfpanzer zu liefern - wir werden sehen, was sich daraus ergibt."
Wer hieraus eine gewisse Zuversicht lesen möchte, könnte diese auf den heute anstehenden Gipfel der NATO-Staaten und weiterer Ukraine-Unterstützer im rheinland-pfälzischen Ramstein zurückführen. Auf der dortigen US-Militärbasis wollen die versammelten Verteidigungsminister ab 10 Uhr über weitere Hilfen für das von Russland angegriffene Land entscheiden. Sie eint die Sorge, dass der Kreml eine weitere große Offensive vorbereitet. Einem Bericht der "Washington Post" zufolge war CIA-Direktor William Burns in der vergangenen Woche eigens zu einem Geheimtreffen mit Wolodymyr Selenskyj in Kiew gereist, um den ukrainischen Präsidenten persönlich darüber zu informieren, was der US-Auslandsgeheimdienst über die russischen Angriffspläne weiß.
Wer macht hier "Alleingänge"?
Die Zeit drängt also, auch weil den ukrainischen Streitkräften allmählich die Munition ausgeht, insbesondere für ihre Panzer sowjetischer Bauart. Und damit zurück zu Scholz: Die Bundesregierung steht unter dem gewaltigen Druck, dass ihre Bündnispartner Estland, Großbritannien, Polen, Lettland, Litauen, Dänemark, Tschechien, Niederlande und Slowakei die gemeinsame Lieferung von Kampfpanzern fordern. Frankreich soll zudem die Lieferung eigener Leclerc-Panzer prüfen. Großbritannien schickt hochmoderne Challenger-2-Kampfpanzer und die übrigen genannten Staaten wollen "Leopard 2"-Panzer aus deutscher Produktion bereitstellen, wofür sie aber eine Genehmigung aus dem Herstellerland brauchen.
Dass Bidens Sicherheitsberater Kirby sagt, die USA seien "dankbar" dafür, dass Berlin über die "Leopard"-Lieferungen nachdenkt, deutet ebenfalls auf eine entsprechende Erwartungshaltung in Washington. Das von Scholz mantraartig wiederholte Diktum, wonach es bei Waffenlieferungen an die Ukraine "keine Alleingänge" geben dürfe und alle Hilfen koordiniert stattfänden, wird damit zur argumentativen Sackgasse: "Alle agieren jetzt und viele beknien den deutschen Kanzler um Exportgenehmigungen für 'Leopard 2', und Scholz sagt, 'keine Alleingänge', während er durch seine Verweigerung exakt das macht: einen Alleingang", befindet Sicherheitsexperte Frank Sauer von der Bundeswehruniversität München im Interview mit ntv.de.
Wiederholt sich das "Marder"-Szenario?
Tatsächlich gibt das Kanzleramt derzeit das Bild eines Getriebenen ab: Die Bündnispartner stocken wegen der militärisch prekären Lage der Ukraine schon seit Wochen ihre Materiallieferungen auf. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron setzte mit seinem offensichtlich im Alleingang entschiedenen Vorstoß, der Ukraine Spähpanzer vom Typ AMX-10 zu liefern, seinen vermeintlich "lieben Freund Olaf" unter Druck: Binnen 48 Stunden entschied der Kanzler, dass Deutschland nach langem Zögern nun doch "Marder"-Schützenpanzer liefern werde, nachdem US-Präsident Joe Biden ihm versichert hatte, seinerseits US-Schützenpanzer vom Typ Bradley zu liefern.
Hernach wurde deutlich, dass Scholz und seine damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht auf eine solche Entscheidung aber gar nicht vorbereitet waren. Eiligst mussten die "Marder" zusammengekratzt werden. Lambrechts Nachfolger Boris Pistorius steht vor einem ähnlichen Dilemma. Er muss in Ramstein nicht nur bekannt geben, ob Deutschland anderen Ländern den Export ins Kriegsgebiet gestattet, sondern ob Berlin auch selbst zu geben bereit ist. "Meine Sorge ist, dass das nicht vorbereitet worden ist", sagt Grünen-Politiker Anton Hofreiter im Gespräch mit ntv.de. Mit Blick auf den Verlauf der "Marder"-Entscheidung schiebt der Vorsitzende des Europaausschusses des Bundestags nach: "Nun besteht die Gefahr, dass sich genau dieses Szenario mit den 'Leopard 2' wiederholt."
Totalblockade unwahrscheinlich
Pistorius muss die Entscheidung keine fünf Tage, nachdem Scholz ihm die Lambrecht-Nachfolge angetragen hat, fällen. Er trifft sie also im Zweifel nicht nur in Absprache mit, sondern auf Geheiß des Kanzleramts. Dabei wäre die Lieferung von "Leopard 2"-Panzern aus dem Bundeswehrarsenal alles andere als trivial. Mit dem Export ist es nicht getan. Es müssen komplexe Logistikketten zur Instandhaltung und Reparatur aufgebaut werden, während die deutsche Armee mangels Personal und Ausstattung schon jetzt am Limit operiert, wenn sie ihren NATO-Verpflichtungen nachkommt, die Ukraine mit anderem wichtigen Kriegsgerät unterstützt und auch noch den komplexen und gefährlichen Stabilisierungseinsatz in Mali fährt.
Ob Deutschland selbst liefern werde, wollte Pistorius am Abend vor dem Ramstein-Treffen nicht sagen: "Ich bin ziemlich sicher, dass wir in den nächsten Tagen eine Entscheidung dazu bekommen werden. Wie die aussehen wird, kann ich Ihnen aber heute noch nicht sagen." Der Genehmigung an andere "Leopard"-Nutzer, den Panzer der Ukraine zu überstellen, dürfte aber mit hoher Sicherheit schon gefallen sein. "Das wird sich in den nächsten Stunden oder morgen früh herausstellen", sagte Pistorius der ARD. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte bereits gesagt, Deutschland dürfe sich diesem Ansinnen seiner Bündnispartner nicht in den Weg stellen.
Ukraine hat Hunderte westliche Panzer in Aussicht
Zumal sich das Ramstein-Treffen nicht auf die "Leopard"-Frage begrenzt. Vor dem Zusammenkommen machten mehrere Länder neue Lieferankündigungen. Die USA wollen zwar nicht, wie von Scholz erhofft, eigene Kampfpanzer liefern, senden aber insgesamt 109 Schützenpanzer Bradley und 90 Radpanzer Stryker. Schweden will 50 Schützenpanzer bereitstellen. Das Bündnis an der Seite der Ukraine fährt die Militärhilfen also substanziell hoch, erst recht, wenn zusätzlich eine am Ende dreistellige Zahl "Leoparden" zusammenkommen sollte.
Wenn aber alle anderen in die Vollen gehen, wird eine Verweigerung von Bundeswehr-Panzern argumentativ kaum mehr durchzuhalten sein für den Kanzler, weder nach innen noch nach außen. Die ukrainische Regierung, die wiederholt ein gutes Gefühl für die innenpolitischen Debatten in Deutschland bewiesen hat, erhöhte am Vorabend des Ramstein-Gipfels ebenfalls den Druck. Präsident Selsenskyj erklärte in seiner allabendlichen Videoansprache: "Wenn es in einer Frage keinen politischen Willen gibt, dann muss man nicht nach Vorwänden suchen. Dann sagt man: Nein! Man muss nicht sagen, dass irgendetwas oder irgendwer noch nicht bereit ist."
Quelle: ntv.de