Politik

Der Kriegstag im Überblick Evakuierungen laufen langsam an - Ukraine enttäuscht von EU und Deutschland

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Seit genau zwei Wochen tobt der Krieg in der Ukraine. Die russischen Soldaten verzeichnen aktuell kaum Landgewinne, dafür laufen die ersten Evakuierungen an. Im besonders umkämpften Mariupol wird eine Geburtsklinik von Raketen getroffen. Derweil erhält die Ukraine humanitäre Unterstützung aus China, fühlt sich aber von der EU in Sachen schneller Mitgliedschaft und von Deutschland in Sachen Waffenlieferungen und Exportverzicht im Stich gelassen. Der Kriegstag im Überblick.

Rettung aus umkämpften Städten

Die militärischen Fronten schienen am heutigen Mittwoch weitgehend statisch, größere Gebietsgewinne der russischen Armee wurden nicht bekannt. Nach ukrainischen Angaben gab es aber erneut Angriffe auf mehrere Städte und dabei Tote und viele Verletzte. Die Evakuierungen der Zivilbevölkerung aus den umkämpften Städten sind inzwischen angelaufen. Ukrainische Medien veröffentlichten Bilder aus Irpin bei Kiew, die zeigten, wie alte und kranke Menschen auf Tragen in Sicherheit gebracht wurden. In der Stadt Sumy im Nordosten des Landes, wo seit Beginn der russischen Invasion intensive Kämpfe toben, trafen am Mittag Busse ein. Nach Angaben des Vizechefs des Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, fuhren im südukrainischen Enerhodar sowie in Isjum nahe Charkiw im Nordosten die ersten Fahrzeuge mit Zivilisten ab.

In der Hafenstadt Mariupol, in der die Lage seit einigen Tagen besonders dramatisch ist, funktioniert nach Angaben der Separatisten im Gebiet Donezk der vereinbarte "humanitäre Korridor" weiterhin nicht. "Die Menschen verlassen Mariupol so schnell wie möglich aus eigener Kraft", sagte der Sprecher der prorussischen Kräfte, Eduard Bassurin, im russischen Staatsfernsehen. Die Ukraine gab den Angreifern die Schuld dafür. Außenminister Dmytro Kuleba schrieb bei Twitter: "Russland hält weiterhin mehr als 400.000 Menschen in Mariupol als Geiseln, blockiert humanitäre Hilfe und Evakuierung." Um die Evakuierung von Mariupol wird seit Tagen gerungen. Seit Samstag sind mehrere Anläufe gescheitert. In der Hafenstadt wurde am Nachmittag eine Entbindungsstation von Raketen getroffen, 17 Mitarbeiter wurden nach ukrainischen Angaben verletzt, viele Schwangere mussten evakuiert werden.

Einige Beobachter befürchteten angesichts des Stromausfalls in der Ruine des Atomkraftwerks Tschernobyl eine Katastrophe. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) gab im Laufe des Tages allerdings Entwarnung. Sie sehe "in diesem Fall keine kritischen Auswirkungen auf die Sicherheit". Der ukrainische Energiekonzern Ukrenergo hatte zuvor erklärt, die Elektrizitätsversorgung der Anlage und ihrer Sicherheitssysteme sei infolge "der militärischen Aktivitäten des russischen Besatzers komplett gekappt".

Weitere Kämpfer, Gefangene, Geflüchtete, Opfer

Nach Angaben des ukrainischen Militärs sind in den vergangenen Tagen etwa 14.500 Menschen zum Kampfeinsatz in die Ukraine eingereist. 12.000 von ihnen seien heimkehrende Ukrainer, die sich der Landesverteidigung anschließen wollten, teilte die Armee mit. Zudem erwartet die Regierung in Kiew zahlreiche Ausländer, die eine sogenannte internationale Legion bilden könnten. Angeblich sollen auch 1000 Deutsche zu dieser Legion gehören.

PolitikUkraine-Videos vom 9. März 2022

Derweil wurden nach ukrainischen Angaben etwa 400 Protestierende in der von Russland eroberten Großstadt Cherson im Süden festgenommen. In vielen Städten gehen Ukrainer seit Tagen auf die Straße und Protestieren gegen die Anwesenheit der Besatzer. Bisher kam es dabei nicht zu Zwischenfällen, nun nahm das russische Militär offenbar erstmals im großen Stil Menschen fest.

Die UN dokumentierte bisher 516 tote Zivilisten im Ukraine-Krieg. Darunter sollen 37 Kinder sein. Unter den 908 erfassten Verletzten befinden sich 50 Kinder. Nach ukrainischen Angaben kamen allein in Mariupol seit Kriegsbeginn mehr als 1000 Zivilisten ums Leben. Die Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Die Zahl der Flüchtlinge bleibt weiterhin hoch. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR meldete allein in den letzten 24 Stunden rund 140.000 Kriegsflüchtlinge, die in den Nachbarländern der Ukrainer angekommen sind. Der Großteil von ihnen, rund 1,3 Millionen Menschen, befindet sich in Polen. Seit Kriegsbeginn sollen gut 2,1 Millionen Menschen die Ukraine bereits verlassen haben.

Hilfe aus China

China will der Ukraine Hilfsgüter senden. Auf Bitten der Regierung in Kiew plant das Land, eigentlich Verbündeter Russlands, Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs im Wert von 720.000 Euro an die Ukraine zu senden. Parallel dazu ruft die Regierung in Peking die Konfliktparteien dazu auf, ihre Gespräche fortzusetzen. China könne "zur Beruhigung der Lage beitragen", wurde Präsident Xi Jinping zitiert.

Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) hat ein Unterstützungspaket von zwei Milliarden Euro für die Betroffenen des Ukraine-Kriegs geschnürt. Von den Zuschüssen und Krediten profitieren sollen Bürgerinnen und Bürger des Kriegslandes sowie Unternehmen und andere Länder, die von dem Angriff betroffen sind - etwa durch die Aufnahme von Flüchtlingen, wie die Bank mitteilte.

EU: Sanktionen für Russen, Dämpfer für Ukraine

Die EU-Staaten haben sich angesichts des anhaltenden Kriegs auf eine erneute Ausweitung der Sanktionen gegen Russland und dessen Partnerland Belarus verständigt. Wie der EU-Außenbeauftragte Borrell in Brüssel mitteilte, werden insgesamt 160 russische Oberhaus-Abgeordnete und Oligarchen neu auf die Sanktionsliste gesetzt, da sie den Ukraine-Krieg befürworten oder finanzieren. Zu den 14 betroffenen Oligarchen gehören der Kohle- und Dünger-Magnat Andrej Melnischenko, Aeroflot-Chef Michail Polubojarinow, Pipeline-Tycoon Dmitri Pumpjanski und der Sponsor des Formel-1-Teams Haas, der Chemie-Magnat Dmitri Mazepin. Auch sein Sohn Nikita, der für das Team Haas fuhr, taucht auf der Sanktionsliste auf. Ihre Vermögen in der EU werden eingefroren, gegen sie selbst werden Einreiseverbote verhängt.

An anderer Stelle hält sich die EU bedeckt: beim Antrag der Ukraine auf eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten werden die Hoffnung der Ukraine auf einen schnellen Beitritt voraussichtlich enttäuschen. Ein Entwurf der Abschlusserklärung für den bevorstehenden EU-Gipfel weist lediglich darauf hin, dass die EU-Kommission um eine Einschätzung zum Antrag der Ukraine auf Mitgliedschaft gebeten wurde.

Kein Boykott russischer Energie

Die Bundesregierung sieht weiter keine Möglichkeit für einen sofortigen Boykott russischer Energielieferungen nach dem Vorbild der USA. Die USA seien Exporteur von Gas und Öl, was man für Europa insgesamt nicht sagen könne, betonte Bundeskanzler Olaf Scholz in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Kanadas Premierminister Justin Trudeau. "Und deshalb sind die Dinge, die getan werden können, auch unterschiedlich."

Derweil stiegen die Spritpreise in Deutschland weiter kräftig an. Die EU bezieht nach Brüsseler Angaben gut 40 Prozent ihres Erdgases aus Russland, Deutschland sogar 55 Prozent. Die EU-Kommission drängt die Mitgliedsländer dazu, ihre Nachfrage nach russischer Energie bereits in diesem Jahr um zwei Drittel zu reduzieren und stattdessen Flüssiggas (LNG) aus den USA, Katar oder Ägypten einzukaufen.

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk warf der Bundesregierung daraufhin mangelndes Engagement im Ukraine-Krieg vor. Berlins Weigerung, ein Embargo auf Gas und Öl aus Russland zu erheben, sei wie ein "Messer in den Rücken der Ukraine", sagte der Diplomat der "Welt".

Streit um Kampfjets für die Ukraine

Der Vorschlag des polnischen Außenministeriums, der Ukraine Kampfflugzeuge zu überlassen, ist bei Bundeskanzler Scholz ebenfalls auf Ablehnung gestoßen. Er verwies auf Finanzhilfen, humanitäre Unterstützung und die Lieferung einzelner Waffensysteme. "Und ansonsten ist es aber so, dass wir sehr genau überlegen müssen, was wir konkret tun. Und dazu gehören ganz sicherlich keine Kampfflugzeuge", sagte Scholz.

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Alle weiteren Entwicklungen des Tages können Sie in unserem Liveticker zum Ukraine-Krieg nachlesen.

Quelle: ntv.de, als/dpa/AFP/rts

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