Fußball

Mein Gott, Barça! Die enorme Fehleinschätzung des FC Bayern

Exakt 13 Monate nach dem historischen 8:2 des FC Bayern gegen den FC Barcelona beim Finalturnier der Champions League geht es zum Start in die neue Saison weniger furios los. Ohne Lionel Messi fehlt den Katalanen nicht nur Kreativität. Die Münchner nutzen das gnadenlos aus.

Der FC Bayern hatte die Lage vorab völlig falsch eingeschätzt. Das kommt nicht häufig vor. Zumindest nicht auf der Ebene, die sich fast ausschließlich mit dem Arbeitsbereich Fußball beschäftigt. Auf anderen, auf höheren Ebenen passiert es dagegen durchaus regelmäßiger, dass man von der massiven Wucht der Reaktionen über die eigene Meinung überrollt wird. Ganz aktuell kann Sportvorstand Hasan Salihamidžić darüber berichten. Der hatte es am Wochenende einfach mal knallen lassen, als er sich über Marco Reus und dessen 90-Minuten-Spiel gewundert hat, nachdem der BVB-Kapitän zuvor angeschlagen von der Nationalmannschaft abgereist war. In Dortmund kam das nicht gut an. Und vermutlich auch nicht bei Bundestrainer Hansi Flick. Wobei die Geschichte der beiden sich ewig zoffenden Alphatiere ja ohnehin eine unsägliche ist.

FC Barcelona - FC Bayern 0:3 (0:1)

Tore: 0:1 Thomas Müller (33.), 0:2 Lewandowski (56.), 0:3 Lewandowski (85.)
Barcelona: ter Stegen - Araujo, Pique, Garcia (66. Mingueza) - Roberto (59. Demir), Busquets (59. Gavi), Alba (73. Balde) - de Jong, Pedri - de Jong (66. Coutinho), Depay; Trainer: Koeman.
München: Neuer - Pavard (66. Hernandez), Upamecano, Süle (82. Stanisic), Davies - Kimmich, Goretzka - Musiala (69. Gnabry), Thomas Müller (82. Sabitzer), Leroy Sane (82. Coman) - Lewandowski; Trainer: Nagelsmann.
Schiedsrichter: Michael Oliver (England)
Zuschauer: 40.000

Nun, darum ging es an diesem Dienstagabend nicht. An diesem Dienstagabend ging es im legendären Camp Nou darum, einen guten Start in die neue Saison der Champions League zu erwischen. Tja, und was soll man sagen: hat geklappt. Das ist die Münchner Sicht der Dinge. Die katalanische Sicht der Dinge ist folglich eine andere, ein ziemlich erschütternde: Das 0:3 gegen den FC Bayern war höchst verdient. Der FC Barcelona war hilflos, wehrlos. Im ersten Jahr ohne Lionel Messi fehlt dem Verein ein Spieler wie er. Das klingt ziemlich banal und ist es auch. Denn im Camp Nou wird sehr deutlich, dass die Fußballer von Ronald Koeman nicht wissen, wer ihnen helfen soll, wenn sie selbst überfordert sind. Und genau das waren sie. "Barça trägt seine Größe zu Grabe", stellte die Zeitung "El Mundo" fest. Piqué und seine Kollegen seien "Lichtjahre von den Bayern entfernt", hieß es. Die katalanischen Zeitungen waren nicht minder gnadenlos: "Barça macht sich lächerlich", schrieb "El Periódico" auf Seite eins, und "Sport" analysierte: "Das ist die traurige Wirklichkeit. Die Blaugranas sind heute von den Großen der Champions League weit entfernt."

Die Münchner hatten das nicht erwartet. Sie hatten sich höflich bemüht, die Katalanen stärker zu reden, als sie waren. Da wären schließlich noch andere Spieler, die den Ball beherrschen würden (stimmt natürlich). Und ein Barça ohne Messi sei für viele Spieler die Chance, sich zu beweisen und zu behaupten (stimmt natürlich auch). Nur passt das derzeit überhaupt nicht zusammen. Die Wahrheit ist vermutlich auch ohnehin eine andere: Die Transferpolitik des massiv verschuldeten Vereins hatte nur eines im Sinn, den denkbar brutalsten Absturz zu verhindern. Der Kader, in dem immer noch sehr viele Toptalente schlummern, wurde mit routinierten Fußballern ergänzt. Gehobene internationale Qualität haben nur die wenigsten. Dass es Barça im Prinzip nun nie gelang, die Münchner unter Stress zu setzen, das ist dann die aktuelle Realität, die mit diesem Aufgebot möglich ist.

Champions-League-Titel ist das Ziel

Was für den FC Bayern möglich ist? Gute Frage, vermutlich sehr viel. Vielleicht sogar der Triumph in der Champions League? Tja, wer möchte das nach dem ersten Spieltag seriös beantworten? Trainer Julian Nagelsmann jedenfalls (noch) nicht. "Wenn wir weiter so spielen, werden wir in die K.-o.-Phase kommen, das ist das erste Ziel. Dann geht es darum, wieder so eine Leistung zu zeigen und dass wir uns weiterentwickeln", sagte er. "Nur dann sind wir einer der Favoriten - wenn nicht, nicht." Aber, fügte Nagelsmann dann doch ambitioniert hinzu, "wir probieren, einer zu sein. Jeder hat große Lust, noch öfter vor dieser Werbebande zu sitzen." Schon vor dem Start in die Königsklasse hatte der 34-Jährige schließlich betont, dass der Henkelpott die erstrebenswerteste Trophäe sei.

In München, auf der höchsten Klubebene, sind sie sich ja seit Wochen sicher, dass sie mit "kreativen Lösungen" am Transfermarkt einen Kader zusammenbekommen haben, der absolut in der Lage ist, die hohen Ziele des Rekordmeisters zu erfüllen. Die Meisterschaft gehört eh dazu, der Pokal auch und eben immer die Champions League. Das soll auch so bleiben, obwohl die Konkurrenz sich in diesem Corona-Sommer einen historischen Aberwitz im Duell um die Superstars geleistet hat. Profiteur des wilden Pokerns war Paris St. Germain. Dort spielt Lionel Messi, den sich der FC Barcelona nicht mehr leisten konnte und den Klub deshalb nach 20 Jahren verlassen hatte, jetzt an der Seite von Neymar und Kylian Mbappé. Messi ist dabei nur das schönste Pferd im Stall. Dort hat auch ein Abwehr-Zenturio Sergio Ramos Unterschlupf gefunden, nach einem bizarren Abgang bei Real Madrid.

Dass sich der Rausch der Euros, Dollars und sonstiger Währungen nicht immer auszahlt, das hat etwa Manchester United am Dienstagabend erlebt. Die Mannschaft, die sich Cristiano Ronaldo als Sahne-Häubchen gegönnt hat, kassierte bei den Young Boys Bern einen Last-Minute-Knockout nach spektakulärem Blackout. Die Schweizer werden übrigens von David Wagner trainiert, der zuletzt beim FC Schalke 04 einen sportlichen Horror durchleiden musste, wie er nur alle paar Ewigkeiten vorkommt. Nun, zurück zum FC Bayern. Der erledigte seine Aufgabe in Barcelona äußerst souverän. Ein bisschen verpennt ging es los, wurde aber immer besser. Allerdings war ein demütigendes 8:2 wie beim letzten Duell der stolzen Klubs am 14. August des vergangenen Jahres nie im Bereich des Denkbaren. Eine Demütigung für die Gastgeber wurde es trotzdem, weil sie eben nicht das Hauchlein einer Chance hatten.

Sané deutlich verbessert

Das Mittelfeld des FC Bayern, es war gnadenlos dominant. Die Viererkette, die wurde nur selten bis nie gefordert. Und vorne, ja, da machte Leroy Sané einfach mit den guten Dingen weiter, die ihm bei der Nationalmannschaft wieder gelungen waren. Dort eben unter Ex-Coach Flick. Ob es wirklich klug von den Münchnern ist, Attacken gegen den Bundestrainer zu lancieren? Nun ja, Sané dribbelte, er trieb immer wieder an und er arbeitete gut gegen den Ball. Er scheint wirklich verstanden zu haben, dass sich Talent nur entfaltet, wenn auch die Einstellung passt. Einer, dessen Arbeitsweise sie loben, ist Jamal Musiala. Mit jedem Tag verliebt sich der Verein ein bisschen mehr in sein Super-Talent, das auch im Camp Nou wieder Momente hat, die eine Weltkarriere ankündigen. Sein Schuss vor dem 2:0 war überragend, dass er nur an den Pfosten klatschte, Pech.

Aber Pech ist keine gültige Kategorie in München. Denn wo andere Spieler und Teams verzweifeln, weil ihnen die Präzision fehlt, da hat der FC Bayern Robert Lewandowski. Der Stürmer blieb in der Aktion (und das tut er eigentlich immer) aufmerksam, ging nach und staubte ab. Auch beim 3:0 traf er nach einem Pfostenschuss, für den war Serge Gnabry verantwortlich. Dieses Mal musste der Pole allerdings ein bisschen mehr leisten, als nur den Fuß hinhalten. Er ließ erst noch einen grätschenden Gegenspieler aussteigen. Sehr elegant war das. Fehlt eigentlich nur noch Thomas Müller. Was tat der eigentlich? Der tat das, was er so oft tut, wenn es gegen Barcelona geht. Er erzielte ein Tor, das 1:0. Kein Spieler hat in der Champions League nun häufiger gegen die Katalanen getroffen als Müller. Es war sein siebter Treffer im sechsten Spiel. Dieses Mal mit reichlich Glück. Wäre sein Schuss aus 20 Metern nicht abgefälscht worden, wäre er wohl nicht reingegangen. Aber (auch) so ist Müller. Auch das ist der FC Bayern. Sie machen, sie drücken, sie dominieren. Und erzwingen so eben Tore.

Nagelsmann kennt so etwas nicht, aber er genießt es. In München reise er nun, anders als noch mit Ex-Klub RB Leipzig, nicht mehr als "Underdog" zu den Auswärtsspielen in der Königsklasse, sondern mit dem klaren Anspruch, diese auch zu gewinnen. "Ich bin unglaublich froh. Es war für mich auch spannend, wie es ist, mit Weltstars zusammenzuarbeiten", sagte der durchaus begeisterte Coach. Dann lobte er den enorm gierigen Lewandowski, "er hört nicht auf. Das ist schon ein Charakterzug." Und auch noch seinen "spielenden Co-Trainer" Müller. Der befand schließlich: "Insgesamt macht es einfach richtig Spaß, hier zu spielen. Die Jungs haben es genossen. Wenn du hier zum Auftakt 3:0 gewinnst, dann ist das ein ganz wichtiges Signal." Das ist richtig. Und keine Fehleinschätzung. Egal wie schwach Barça war.

Quelle: ntv.de

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